Bunte Welterklärung

Weiße Männer. Hier auf dem Rittersturz bei Koblenz, Juli 1948. Bild: Bundesarchiv

Vom Wichtigsten im Leben und anderen Abstraktionen. Was die LGBT- und andere Identitäten bewegt (Teil 2)

Das staatlich versprochene Recht auf Selbstverwirklichung nimmt die queere Bewegung beim Wort. Was der Mainstream in heterosexuellen Bindungen samt Kindersegen sucht und gegen die Zwänge des Gelderwerbs als den eigentlichen Lohn festhalten will, nämlich so etwas wie das Lebensglück, beanspruchen sie auf ihre Weise.

Dabei soll auch ihnen die Reputation und Sittlichkeit mit der gleichen Selbstverständlichkeit zugestanden werden, wie das bei den Heteros der Fall ist. "Queere Vielfalt im Bildungsbereich sichtbar machen" und ihn "diskriminierungsfreier gestalten" ist für die bunte GEW deshalb dasselbe, wie dies zum "Pflichtthema im Studium" und zum "festen Bestandteil der Bildungspläne" zu erklären sowie in "Unterrichtsmaterialien auch queere Lebenswelten abzubilden".

"Warum nicht eine Matheaufgabe, in der zwei verheiratete Frauen die Finanzplanung ihres Hauses kalkulieren?" Das passt zur Eigentumsordnung, zum Institut der Ehe und zur üblichen Notengebung.

Wer an seinem Queer-Sein nur festhalten will, dass es genauso "selbstverständlich wie andere Lebensrealitäten" sei, für den erübrigt sich deren Kritik. Oder sie besteht darin, den Spieß umzudrehen und die Normalität des Normalen in Zweifel zu ziehen, um sie auch für die eigene Identität zu reklamieren.

Wenn die Mitbürger ihre Freiheitsrechte als Gelegenheiten verstehen, "das Wichtigste im Leben", nämlich ihre ganz eigene Subjektivität zu realisieren, dann möchte das Regenbogen-Spektrum dem nicht nachstehen.

Dass ihm diese alternative Entfaltung in vielen Fällen nicht einfach eingeräumt wird, sondern zu verfechten ist, kann die Bedeutung stärken, um die sich die identitäre Persönlichkeit dann maßgeblich dreht. Das zeigt sich beispielsweise, wenn aus der eigenen Intimität ein öffentliches Aufheben gemacht wird.

Die jeweiligen Inhalte des Lebenssinns mögen für LGBT-Leute anders ausfallen als für Aktivisten der Persons of Color (PoC) oder des Frauseins. Wie bei den Normalos auch, wenn sie das Ausleben ihrer Individualität für das Wesentliche und Bestimmende halten, gerät ihnen gemeinsam aus dem Blick, welche Instanzen des Geldes und der Macht die individuellen Lebensläufe stattdessen und tatsächlich bestimmen.

Die Resultate davon, die für die Mehrheit erfahrungsgemäß unbefriedigend ausfallen, bestärken bürgerliche Individuen aller Couleur dann darin, ihre Beheimatung in der widrigen Welt auf diversen Wegen zu fordern und anzustreben. Seitens der Identitätsbewegungen geht das mit einigen Implikationen und Fortgängen einher.

Konkurrenzgesellschaft

Um mit dem Politökonomischen zu beginnen: Die Klage über Diskriminierung am Arbeits- oder Wohnungsmarkt neigt dazu, zu übersehen, dass es sich hier vor allem um Märkte handelt. Der Gender Pay Gap etwa beruht darauf, dass Unternehmen Arbeitskräfte aller Art gegen einen Lohn einkaufen, der ihre Gewinne vermehrt.

Zu denen steht er im Gegensatz, weswegen er sehr kostenbewusst gezahlt wird. Wenn also manche Frauenarbeit mit Abschlag entlohnt werden kann, folgt dies derselben marktwirtschaftlichen Logik, die auch für die Billiglöhne osteuropäischer Paketzusteller verantwortlich ist.

Wo es die Umstände hergeben, dürfen einheimische Frauen sogar deutsche Männer unterbieten oder werden ihrerseits durch preiswertere Fremdarbeiter ersetzt. Falls eine Person of Color eine Premiummiete bezahlen kann, steht ihr der Markt offen, auf dem sie gegebenenfalls hellhäutigere Mitbewerber verdrängt.

Wo sie mit Weißen in Wohnungsnot auf einem sog. Angebotsmarkt konkurrieren muss, kann die Hautfarbe von Nachteil sein. Grundlage ist aber die Angewiesenheit aller Mieter auf ein Wirtschaftsgut, das sie nur behaust, wenn sie es vermehren. Was entsprechend auch für Arbeitnehmer gilt

Dieses ökonomisch Bestimmende begründet also eher eine Gemeinsamkeit zwischen weiblichen und männlichen Lohnabhängigen oder zwischen schwarzen und weißen Wohnungssuchenden, als dass es sie trennt.

Wer allerdings die Konkurrenz, in die er gestellt ist, nicht als feindlich nimmt, sondern sich in ihr bewähren will, sieht sich durch Leute benachteiligt, denen es im Prinzip so ergeht wie ihm. Die vorhandenen Diskriminierungen könnten zwar etwas anderes lehren.

Trotzdem verlassen die Einwände dagegen selten oder nie die Ebene der Konkurrenz, beklagen vielmehr, dass sie nicht richtig dazugehören dürfen.

Eine junge britische Aktivistin kennt "unendlich viele Belege dafür, dass die Chancen in deinem Leben eingeschränkt und verzögert werden, wenn du in Großbritannien mit schwarzer Hautfarbe auf die Welt kommst", was "nicht das Resultat eines Mangels an schwarzer Exzellenz, Begabung, Bildung, harter Arbeit oder Kreativität" sei (Reni Eddo-Lodge).

Sie teilt damit nicht nur die verbreitete Auffassung, dass jeder seines Glückes Schmied ist, wenn man ihn lässt, und verkennt, wie sehr die Lebensläufe der Erwerbsbürger von ihrer Billigkeit und Verfügbarkeit für die kapitalistischen Zwecke abhängen. Sie vereinnahmt für die People of Color auch das, was jeder Unzufriedene als Grund seiner Lage anführen kann, dass es nämlich an Gerechtigkeit fehle.

Als läge nur im beschränkten Zugang zur Konkurrenz der Schaden und in der Öffnung schon der Nutzen, spricht die Aktivistin allen Ernstes von einem "Versagen der Leistungsgesellschaft" - und geht noch einen Schritt weiter.

"Farbenblindheit" derart, dass die Hautfarbe keine Rolle spielen solle, wie gutmeinende Weiße fordern, sei der falsche Weg. Fällig sei dagegen eine positive Diskriminierung von Schwarzen, eine Voraussetzung, die "die Vorstellungen von gleichen Fähigkeiten unabhängig der Hautfarbe erst herausstellt".

Ein Princeton-Professor für Altertumswissenschaften liefert ein Beispiel, wie das funktionieren könnte: "Weiße Männer werden das Privileg aufgeben müssen, dass ihre Worte gedruckt und verbreitet werden. Sie müssten endlich in den Hintergrund treten, damit Persons of Color, zu denen auch farbige Frauen und 'gender-nonconforming scholars' zähl(en), ihre Arbeiten in einer angesehenen Zeitschrift veröffentlichen können." (Dan-el Padilla Peralta, FAZ, 26.11.20)

Kritiker werfen einer Bevorzugung dieser Art natürlich Intoleranz und Niveauverlust vor, als sei freie Konkurrenz ein Qualitätsgarant. Das ändert aber nichts daran, dass sich der Antirassismus, der dabei sein und mitmachen will, hier auf ein Feld begibt, das er ansonsten als Racism zurückweist.

Unter dem Begriff "Klassismus" registriert die Gender-Bewegung zwar die Phänomene eigentumsloser Abhängigkeit und Prekarität, liegt aber auch hier nicht richtig. Vor allem deshalb nicht, weil ihr der Klassismus als ein Unterfall von Diskriminierung schlechthin gilt, zu der er so gleichrangig zählt wie die Benachteiligung von Frauen, Schwarzen, Schwulen, Alten oder Behinderten.

Es trifft ja zu, dass die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft Angehörige dieser Gruppen in unterschiedlicher Weise zu ihren Betroffenen macht. Wo es geht, schlägt sie aus ihnen wirtschaftlichen Nutzen, wo nicht, zählen sie als finanzielle Last. Unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit beargwöhnen die Konkurrenzbürger Andersartige wie Ihresgleichen, mehr zu kriegen, als ihnen zusteht.

Und bezüglich der Sittlichkeit bescheinigen sie sich und bezweifeln bei anderen, dass sich alle den Gewohnheiten beugen, zu denen Wirtschaft und Staat sie angehalten haben. Wenn die Gender-Bewegung aber den allgemeinen Grund der intersektionalen -Ismen nur als eine der Folgen einer unbestimmten Diskriminierung betrachtet, dann verbuchen sie ihn unter ferner liefen.

White Privilege

Das zeigt sich auch in den Kollektiven, die die identitär Bewegten um den Preis der Abstraktion an die Stelle der gesellschaftlichen Klassen setzen. People of Color eint von der Putzfrau bis zum Professor und vom Obdachlosen bis zur Vorstandsvorsitzenden die Hautfarbe samt der gleichen Opfererfahrungen, die ihr angeblich anhaften.

Frauen aller Schichten trifft eine vergleichbare Kollektivierung, die auch für das Gender-Spektrum jenseits der heterosexuellen cis-Männer gilt. Diesen konstruierten Identitäten werden Kollektive desselben Verallgemeinerungsgrads gegenübergestellt. Demnach soll sich ein klassenübergreifendes Patriarchat zusammengefunden haben, um über die Weiblichkeit zu herrschen.

Und Weiße aller Schichten verbindet angeblich, dass ihnen die PoC-Erfahrungen abgehen und sie ihr pures Weißsein gegenüber dunkleren Hautfarben privilegiert. Das kleine Paradox, dass Weiße auch weiblich und Patriarchen auch farbig sein können, löst sich gegebenenfalls auf in einer Schnittmenge namens "Suprematie der weißen cis-Männer".

Theorien, die solche Abstraktionen fortsetzen, haben mit Überlegungen zur politischen Ökonomie des Rassismus oder der Frauenfrage nichts zu tun.

Ihre Bestimmungen bleiben oft eigentümlich negativ bzw. unbestimmt: "Wie soll ich White Privilege definieren? Es ist so schwierig, eine Leerstelle zu beschreiben, etwas, das abwesend ist. Und White Privilege ist die Abwesenheit der negativen Folgen von Rassismus." (Eddo-Lodge, s.o.)

Ein pro-feministischer Blog meint: "Es ist ein Privileg von weißen Menschen, sich nicht mit Rassismus beschäftigen zu müssen."

Logisch gesehen handelt es sich hier um Tautologien: Ein Vorteil ergebe sich aus der Abwesenheit des Nachteils und umgekehrt. Darin wird der Grund einer grundlosen Vorherrschaft gesehen, die sogar dann funktioniert, wenn die Profiteure und Bewahrer es nicht merken: "Wesentlich am White Privilege ist, dass seine Träger es in der Regel nicht unwillkürlich selbst sehen." (Eddo-Lodge)

Ein US-Professor mit asiatischer Familiengeschichte bestätigt das so: Die gesellschaftliche Mehrheit sei geprägt von "Vorurteilen, Stereotypen und Ansichten (…) außerhalb ihrer Bewusstseinsebene". Beispiel: "Die Macht der Mikroaggressionen liegt in ihrer Unsichtbarkeit für den Täter". (Derald Wing Sue).

Eine weiße Vorherrschaft, die von sich nichts wissen soll, ist zwar eine erneute Herausforderung der Logik, verträgt sich aber mit der Vorstellung eines Oben und Unten, dessen inhaltsloser Zweck der Selbsterhalt ist. Rassismus sei die "Überlebensstrategie systemischer Macht", "ein soziales Konstrukt" aus "Vorurteil plus Macht" (Eddo-Lodge).

Das will die Aktivistin dann ausgerechtet auch dadurch belegen, dass "es einfach nicht genügend Schwarze in Machtpositionen (gibt), um sich in dem großen Ausmaß rassistisch gegenüber Weißen zu verhalten". Das klingt ein wenig nach Schweinehund als Conditio humana - ist aber "strukturell" gemeint.

Genauer erklärt das der dritte und letzte Teil.

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