Burgfrieden statt Streiks und der vorgebliche Kampf gegen Rechts

Letzter demokratischer Staatspräsident? "Er macht einfach Scheiße" heißt es auf diesem Demo-Plakat über Macron. Foto: William Jexpire / CC-BY-SA-4.0

Die Diffamierung der französischen Streikbewegung als Wegbereiter der Rechten ist nur die Spitze des Eisbergs: Linke sollen gefälligst stillhalten. Die unterschätzte Gefahr: Extremismus von oben.

Als Ex-Mitglied der Bild-Chefreaktion sollte man eigentlich den Ball flach halten, wenn es um Schuldzuweisungen für den Aufstieg rechter Parteien geht. Kein anderes Medium hat in den letzten Jahrzehnten mit dieser Reichweite Stimmung gegen Minderheiten, gegen die Umwelt- und Klimabewegung sowie gegen Linke und Gewerkschaften gemacht.

Regelmäßig hob das Blatt den häufigen Bezug von Lohnersatzleistungen durch erwerbslose Ausländer hervor, ohne sich angemessen mit Gründen wie struktureller Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt auseinanderzusetzen. Klimaschutz wird hier als zu teuer für die kleinen Leute geframed – aber deren Wohl ist es dann doch wieder nicht wert, "Vermietern die Preise für ihre Immobilien zu diktieren und damit den freien Markt zu zerstören".

So entstand schon fast der Eindruck, billiger Populismus ganz im Sinne der AfD sei hier Programm. Aber Nikolaus Blome, der jahrelang stellvertretender Chefredakteur der Bild und dort zuletzt verantwortlich für das Politik- und Wirtschaftsressort war, weiß besser, was zum Aufstieg rechter Parteien führt: starke Gewerkschaften, Linke und – zumindest in Frankreich – auch die Grünen.

Inzwischen gehört Blome der Zentralredaktion der Mediengruppe RTL Deutschland an und ist nebenbei Kolumnist bei Spiegel Online, wo er kürzlich seine Ansichten zum französischen Widerstand gegen die dortige Rentenreform ausbreiten durfte. "So gefährlich dumm kann nur die Linke sein", lautete am Montag die Überschrift – und die Unterzeile gab gleich mehrere Rätsel auf:

Der Verkehrsstreik heute ist nichts gegen den Irrsinn in Frankreich. Kommunisten und Grüne streiken den letzten demokratischen Staatspräsidenten kaputt. Und Berlin schaut zu.


Nikolaus Blome

Der "letzte demokratische Staatspräsident"? Und wieso "zuschauen"? Was sollte Berlin denn bitte sonst tun? Deutsche Truppen zur Aufstandsbekämpfung nach Frankreich schicken, um im Nachbarland ein durch Gutachten alter Nazijuristen beschnittenes Streikrecht durchzusetzen, das hier seit Jahrzehnten politische Streiks illegalisiert?

Es folgte eine empörte Abhandlung darüber, dass die Franzosen partout nicht so lange arbeiten wollen wie die Deutschen – vor allem nicht die französischen U-Bahn-Fahrer, was mit der Arbeit unter Tage begründet wird. Dazu fällt Blome nur ein: "Augen auf bei der Berufswahl". Was wäre, wenn den Job am Ende keiner machen wollen würde, lässt er außen vor – direkte Werbung für Zwangsarbeit macht sich eben nicht so gut, wenn man im selben Atemzug meint, Freiheit und Demokratie verteidigen zu müssen.

Und überhaupt: Es gibt ja noch den Kreml

In einem Tweet zu dem Artikel stellte Blome klar, dass Linke, Grüne und Streikende in Frankreich nicht nur Steigbügelhalter des ultrarechten Rassemblement National von Marine Le Pen seien, sondern auch Vaterlandsverräter – denn es gibt ja auch noch Russland, mit dem sich zwar kein westeuropäisches Land offiziell im Krieg befindet, aber irgendwie soll nun doch eine feindliche Übernahme drohen, wenn beispielsweise in Frankreich zu viel gestreikt wird:

Linke und Grüne in Frankreich wollen sich im Aufstand ein letztes Mal selbst fühlen und zahlen jeden Preis dafür: Sie machen sich zur fünften Kolonne des Kreml und werfen ihr Land LePen in den Rachen.

Mit anderen Worten: Bloß keine Gegenwehr von Linken, wenn eine Rentenreform, die für die überwiegende Mehrheit ein späteres Renteneintrittsalter bedeutet, einfach mal ohne das Parlament beschlossen wird. Denn wenn Linke hier die sozialen Interessen der Bevölkerung vertreten, kann das nur den Rechten nutzen, die dann, wenn sie an der Macht sind, alles Linke unterdrücken.

Tatsächlich war in Frankreich neben dem aktuellen Präsidenten Emmanuel Macron im vergangenen Jahr die Ultrarechte Le Pen in die Stichwahl gekommen. Im ersten Wahlgang hatte aber der linke Bewerber Jean-Luc Mélenchon nicht weit abgeschlagen hinter ihr gelegen. Er hatte immerhin mehr als 20 Prozent erreicht – ein Ergebnis, von dem die Partei Die Linke in Deutschland nur träumen kann. Und da sollen sich Linke in Frankreich wegducken, am besten so tun, als wären sie gar nicht da – oder sich gleich an die Seite einer Regierung stellen, die soziale Härten am Parlament vorbei beschließt?

Dass es den Rechten viel mehr nützen könnte, wenn Linke jetzt nicht an der Seite der Bevölkerung stehen, wird gar nicht in Betracht gezogen. Was für den vorgeblich liberalen Bürgerblock zählt, ist nur, dass die Regierung Emmanuel Macrons, des vermeintlich "letzten demokratischen Staatspräsidenten" geschwächt wird – und das darf nicht sein, denn zumindest indirekt hat Westeuropa einen Krieg gegen Russland zu gewinnen. Opposition ist hier unangemessen; wer keinen Burgfrieden mit der eigenen Regierung schließt, ist ein Verräter.

Kampf gegen Links unter falscher Flagge

Blomes Kommentar ist hier nur die Spitze des Eisbergs: Der vorgebliche Kampf gegen Rechts von staatstragender Seite entwickelt sich hierzulande immer mehr zum Kampf gegen Links. Traditionell von Linken erhobene soziale und friedenspolitische Forderungen werden immer öfter Rechten zugeordnet und ihnen quasi "geschenkt", um Proteste möglichst schon vorab zu diskreditieren und kleinzuhalten.

Das fing schon damit an, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eine Dominanz von Rechten bei Sozialprotesten gegen hohe Energiepreise und Inflation vorhersagte, bevor diese überhaupt angefangen hatten. So lässt sich natürlich auch erreichen, dass verunsicherte Linke im Zweifel zu Hause bleiben.

"Populisten und Extremisten" würden jede Krise für Angst und Spaltung, aber auch für Hass und Bedrohungen nutzen, erklärte Faeser im Juli 2022. "Sie wollen Krisen noch verschärfen, um daraus Profit zu schlagen".

Damit wurde bereits die Hintertür geöffnet, um im Fall anhaltend schlechter Stimmung zu sagen: Wir waren es nicht; links- und rechtsextreme Querulanten haben den Zusammenhalt untergraben. So erscheint der zunehmende Extremismus von oben als Verteidigung der Demokratie.

Linke sollen stillhalten, wenn die bürgerliche Demokratie im Zuge einer neoliberalen Basta-Politik von innen ausgehöhlt wird, denn wer Regierende dafür abstrafen will, riskiert, dass die Rechten damit weitermachen, so die gängige Unlogik.

Vieles spricht aber dafür, dass Rechte davon profitieren, wenn Linke ihren Job nicht machen. Eine starke Linke, starke Gewerkschaften und soziale Bewegungen, die den Mächtigen Grenzen aufzeigen, können noch am ehesten verhindern, dass in der Krise Schwächere als Sündenbock dienen und Rechte davon profitieren.