Business - fast - as usual
Nach dem Terroralarm in Großbritannien: Spekulationen in den Medien und löchrige Sicherheitskontrollen in London-Heathrow
Lufthansa-Flug von London-Heathrow nach München am Freitagnachmittag. Kurz vor der Landung in München sorgt eine Durchsage der Kabinencrew für Verwunderung unter den Passagieren: "Meine Damen und Herren, wir bitten Sie, jetzt Ihre mitgeführten elektronischen Geräte auszuschalten." Doch niemand zieht iPod-Stöpsel aus den Ohren oder klappt den Laptop zu.
Seitdem am frühen Donnerstagmorgen an britischen Flughäfen die höchste Alarmstufe in Kraft gesetzt wurde, dürfen solche Geräte nicht in den Kabinen der startenden Maschinen mitgeführt werden. Lediglich Ausweise, Reisedokumente und kleine Geldbörsen sind erlaubt. Unzählige Sicherheitskräfte wachen in Heathrow und anderswo darüber, dass selbst Brillenetuis oder Notizblöcke nicht in die Passagierkabinen gelangen. Wer besondere Arzneien während des Fluges benötigt, muss dieses den streng blickenden Beamten ausführlich erläutern. Als Lieblingsszenario für die Darstellung der unnachgiebigen Kontrollen haben britische Medien längst Mütter bei der Probeverkostung mitgeführter Säuglingsmilch an den Sicherheitschecks entdeckt.
Achselzucken beim Sicherheitsbeamten
Wer nach stundenlangem Anstehen den letzten Kontrollpunkt passiert hat, erlebt allerdings eine Überraschung. In Zeitungskiosken, Souvenirläden und all den anderen Geschäften vor den Flugsteigen herrscht lebhafter Verkaufsbetrieb. "Sie können hier ruhig einkaufen und die Sachen mit an Bord nehmen", versichert die Verkäuferin in einer Parfümerie neugierig fragenden Reisenden. Ein Sicherheitsbeamter bestätigt diese Aussage grundsätzlich, schränkt allerdings ein, dass für Flüge in die USA schärfere Beschränkungen gelten würden. "Könnten in Parfumflaschen, die vor den Flugsteigen verkauft - und mit an Bord genommen werden, nicht auch gefährliche Substanzen platziert sein?" Die Nachfrage bleibt unbeantwortet - der Beamte reagiert nur mit einem Achselzucken.
Das vermeintlich dichte Netz der Sicherheitskontrollen scheint löchrig zu sein, zumal einer der festgenommenen Verdächtigten nach übereinstimmenden Medienberichten als Mitarbeiter des Flughafens Zutritt zu nahezu allen Bereichen in Heathrow gehabt haben soll.
Dennoch - am Tag 2 des Terroralarms scheint sich die Lage auf den britischen Flughäfen fast schon wieder zu normalisieren, sieht man von den verschärften Kontrollen des Handgepäcks einmal ab. Im Terminal 2 von London-Heathrow, dort wo die Flüge der Lufthansa in Richtung Deutschland abgefertigt werden, erinnert das Szenario eher an einen lebhaften Rückflugtag auf einem typischen Urlauberflughafen. Von dem Chaos, das offenbar am Donnerstag an gleicher Stelle geherrscht hatte, ist nichts mehr zu verspüren. Die langen Schlangen der geduldig wartenden Passagiere vor den Check-in-Schaltern werden routiniert abgefertigt. Noch am Donnerstag hatte die Lufthansa praktisch alle Flüge von und nach Großbritannien abgesagt. Einen Tag später betreibt die größte deutsche Fluglinie nahezu "Business as usual". Sogar Sitzplatzwünsche der Reisenden werden berücksichtigt. Ab Freitagmittag starten die meisten Maschinen schon fast wieder pünktlich in Richtung Deutschland.
Viele Fragen - kaum Antworten
Die Passagiere spekulieren derweil immer noch über die Hintergründe, die dazu geführt hatten, dass die höchste Terrorwarnstufe für die britischen Flughäfen ausgerufen wurde (Im Krieg mit "islamischen Faschisten"). Londoner Zeitungen sorgten am Freitagmorgen kaum für Aufklärung. Einige Blätter haben ihre überdimensional großen Schlagzeilen mit Fragezeichen versehen, ohne wirklich Antworten auf die selbst gestellten Fragen liefern zu können: "10.8. - war das der nächste Termin im Kalender des Terrors?" titelte "The Independent" und der "Daily Mail" schloss fast gleichlautend an "Wollten Sie einen weiteren 9. September?"
Für Aufsehen sorgte der "Guardian", der eine Liste von 19 Verdächtigen zuerst veröffentlichte, deren Konten von der "Bank of England" gesperrt wurden. Später am Tag gaben auch deutsche Medien, darunter SPIEGEL Online, Namen, Geburtsdaten und Wohnorte der pakistanisch stämmigen Männer bekannt.
"Blair erholt sich bestens"
Reichlich Kritik - und regelrechte Schimpftiraden - gab's in diesen Tagen für Premierminister Tony Blair, der Urlaub auf seiner Luxusjacht in der Karibik macht: "4.000 Meilen entfernt - Blair erholt sich bestens", spottete beispielsweise "Daily Mail" am Freitag. Vergeblich hatte ein Downing-Street-Sprecher zuvor beteuert, dass der Premier niemals seinen Urlaub angetreten hätte, wenn die dramatische Entwicklung absehbar gewesen wäre. Warum Blair jedoch bis Freitag nicht nach London zurückkehrte, blieb unbeantwortet.
Während der Regierungschef wegen seiner Abwesenheit heftig kritisiert wurde, gab es breite mediale Anerkennung für die Sicherheitskräfte. Nach Einschätzung der BBC haben Scotland Yard und der Geheimdienst MI5 durch ihr entschlossenes Handeln eine Katastrophe verhindert, deren Ausmaß wohl zumindest die schlimmen Folgen der Terrorangriffe vom 11. September 2001 erreicht hätte. Auf großflächigen Abbildungen waren zudem im "Evening Standard" und anderen Londoner Boulevardblättern immer wieder schwer bewaffnete Polizisten zu sehen, die wartenden Passagieren auf Flughäfen Angst vor Terroristen nehmen sollen. Weit weniger martialisch präsentieren sich am Freitagmittag die britischen Sicherheitskräfte, zumindest in Terminal 2 am Londoner Großflughafen Heathrow. Nur am Eingang ist ein Uniformierter mit Schnellfeuergewehr postiert.
Auch im Londoner Stadtbild deutete seit Ausrufung der höchsten Terrorwarnstufe zwei Tage lang kaum etwas auf die außergewöhnliche Situation hin. Zwar berichtete die BBC in ihren Sondersendungen wiederholt über verschärfte Sicherheitsvorkehrungen in U-Bahnen und Bussen, zumal dort am 7. Juli 2005 bei vier Terroranschlägen 56 Menschen getötet worden waren. Tatsächlich gab es jedoch weder Sicherheitskontrollen in Zügen oder Stationen. Auch an den zahlreichen Sehenswürdigkeiten der Stadt wie dem Tower herrschte seit Donnerstag "Business as usual".