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CDU, Merz und AFD: Die Brandmauer ist doch nur eine Nebelkerze

Bild Friedrich Merz: European People's Party / CC-BY-2.0 / Grafik: TP

Hat Merz eine Zusammenarbeit mit der AfD gefordert? Er stellt das nun in Abrede. Warum das nicht glaubwürdig ist. Ein Telepolis-Leitartikel.

Das ging selbst für populistische Verhältnisse schnell - so schnell, dass Friedrich Merz selbst in Erklärungsnot geriet. Bevor er den Parteivorsitz übernahm, ließ er ein viel beachtetes Zitat verbreiten, eine "glasklare Ansage", wie er betonte, vor allem an die ostdeutschen Parteistrukturen: Wer mit der AfD kooperiere, dem drohe ein Parteiausschlussverfahren. Das war vor knapp eineinhalb Jahren.

Seitdem ist die Angst vor einer erstarkenden AfD gewachsen. Der Faschist Björn Höcke sitzt fester im Sattel denn je, eine - wenn auch politisch wenig durchdachte - Debatte über eine Eindämmung der Rechten bis hin zu einem Verbot ist im Gange.

Merz‘ Aussage von Ende 2021 gilt daher mehr denn je: Damals kündigte er der noch deutlich von seiner Vorgängerin Angela Merkel geprägten CDU an, eine Zusammenarbeit mit der AfD unter allen Umständen zu verhindern. "Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben", fügte er im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel hinzu:

Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.

Nun aber das: "Das Thema Zusammenarbeit mit der AfD betrifft die gesetzgebenden Körperschaften, also im Europaparlament, im Bundestag und in den Landtagen", twitterte er am Sonntagabend. Konkreter hatte er sich zuvor auch im ZDF-Sommerinterview geäußert.

Dort hatte er unmissverständlich erklärt, Kommunalpolitik sei etwas anderes als Landes- und Bundespolitik. Und wenn in Thüringen ein Landrat und in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister von der AfD gewählt würden, könne man den demokratischen Charakter der Entscheidung nicht in Abrede stellen. "Das müssen wir akzeptieren. Und natürlich muss man dann in den Kommunalparlamenten nach Wegen suchen, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet."

Merz und die AfD: Wohl kaum ein Missverständnis

Und das alles soll ein großes Missverständnis gewesen sein? "Um es noch einmal klar zu sagen und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben."

Nun kann man Merz alles Mögliche vorwerfen oder unterstellen. Nur eines nicht: Er ist kein Amateur. Das Twitter-Intermezzo vom Wochenende war ganz offensichtlich kein Ausrutscher.

Hier kündigt sich Größeres an: Ein Austesten roter Linien, innerparteilicher Widerstände, zivilgesellschaftlicher Proteste. Und das alles war erheblich und stärker als erwartet. So folgt Merz vorerst den politischen Abstandsregeln, die er Ende 2021 betont hatte, die aber eigentlich ein Erbe der verhassten Merkel-Ära sind.

Niemand, der politisch halbwegs aufgeschlossen ist und auch nur einen Funken analytischen Verstand besitzt, glaubt Merz noch. Denn die Abgrenzung zur AfD kam aus der Merkel-CDU und entsprach nie seiner Überzeugung.

Dafür spricht auch die Personalpolitik von Merz, zuletzt die Absetzung von Mario Czaja und die Einsetzung von Carsten Linnemann als Generalsekretär. Ein deutlicher Rechtsruck, der zum Teil der Konkurrenz durch die AfD geschuldet ist, dieser aber auch ideologische Anknüpfungspunkte bietet.

Betrachtet man die langfristige Entwicklung, so wird deutlich, dass viele der AfD-Positionen einst von CDU-Größen der alten Bundesrepublik besetzt wurden. Erst in der Nach-Kohl-Ära öffnete sich die zuvor streng konservative Christdemokratie politisch, was nicht allen gefiel. Zeitweise war die Abwanderung so stark, dass jedes zehnte AfD-Mitglied direkt aus der CDU kam.

Die beachtlichen Umfrageerfolge der neuen Rechten und vor allem ihre starke Stellung im Osten der Republik, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll, bringen Merz in die Bredouille. Will er Kanzler werden, muss er neue Allianzen schmieden.

Brandmauer fällt, Linke versagt

Es ist völlig illusorisch zu glauben, dass die Brandmauer hält. Sie ist eher eine Nebelkerze, die darüber hinwegtäuschen soll, dass ein großer Umbau der Christdemokratie im Gange ist. Oder, wenn man so will, ein ideologischer Rückbau. Denn eigentlich geht die Abgrenzung immer noch von der Bundes-CDU aus, die noch stark vom Personal der Merkel-Jahre geprägt ist.

Auf lokaler, vielleicht sogar regionaler Ebene hingegen sind sich CDU- und AfD-Politiker manchmal näher, als man das im politischen Berlin wahrhaben will.

All dies ist Ausdruck einer bundes- und europaweiten Entwicklung. Es formiert sich ein neues rechtskonservatives Lager, das in unterschiedlicher Ausprägung in der Lage ist, Regierungsmacht zu übernehmen und Gestaltungsspielräume zu erobern.

An diesem Wochenende war es Friedrich Merz, der austestete, wie weit er gehen kann; wenige Tage zuvor war es die ehemalige Merkel Kontrahentin Ursula, von der Leyen, die mit der Postfaschistin Giorgia Meloni und tunesischen Menschenschindern gemeinsam in die Kamera lächelte. Alter sind Anzeichen eines neuen Europas, das vielen nicht gefallen wird.

Dazu trägt auch bei, dass die Linke dieser Entwicklung wenig entgegenzusetzen hat. Die gleichnamige Partei in Deutschland kann kaum noch mit überzeugendem Personal aufwarten, selbst die beiden B-Promi-Kandidaturen für das Europaparlament zielen auf eine politische Blase.

Die Orientierung an Mehrheitsinteressen oder gar an den Interessen der Lohnabhängigen tritt zugunsten einer illusionären Migrationspolitik und einer sektiererisch anmutenden Genderpolitik in den Hintergrund.

Zur Wahrheit gehört also auch, dass ausgerechnet die Linke den Aufstieg der Rechten begünstigt, und zwar ohne Not. Doch die Realität ist gnadenlos. In Zeiten multipler Krisen werden Wahlentscheidungen stärker von Ängsten getrieben.

Die AfD nutzt das offen und übrigens nachhaltiger, als manchem bewusst ist.

Die CDU mit Merz steht in den Startlöchern.

Und die Linke steht am Rande.


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