CDU begibt sich auf den Netzpfad

Die Internet-Kommission der CDU zeigt sich mit ihrem Netz-Fahrplan liberaler als die Partei und entdeckt den Wähler im Surfer

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Die Internet-Kommission der CDU hat nach über einem Jahr Arbeit einen umfassenden Fahrplan zur Netzpolitik vorgelegt. Darin fordert sie einen weitgehend unbeschränkten und unzensierten Zugang zum Netz, individuelle Abrechungssysteme für urheberrechtlich geschützte Werke, günstigere Rahmenbedingungen für die Netz-Ökonomie sowie Softwarepatente unter Vorbehalt. Auch beim Steuerrecht rund ums Internet will die Partei aufräumen.

Sätze wie "Im Internet muss das bisher prägende Prinzip des 'free flow of information' so weit wie möglich Bestand haben" oder "Territoriale Herrschaft passt nicht in virtuelle Räume", lassen sich in der Regel Offshore-Server bevorzugenden Cypherpunks oder gestandenen Cyberlibertarians zuschreiben. Doch nachzulesen sind sie schwarz auf weiß jetzt just im 50 Seiten umfassenden Abschlussbericht der Internet-Kommission der CDU, der Telepolis in Auszügen vorliegt und Ende des Monats auf der Website der Partei veröffentlicht werden soll.

Der liberale Geist, der zumindest den wirtschafts- und ordnungspolitischen Teil durchweht, überrascht zunächst, da die konservative Partei bislang eher mit "Law-and-Order"-Parolen rund ums Netz auf sich aufmerksam machte (Polizisten sollen ohne richterliche Genehmigung Computer durchsuchen dürfen) und dafür wenig Beifall erhielt (CDU-Leitlinien zur inneren Sicherheit in der Schusslinie). Im Programm der CDU/CSU-Fraktion zur Bundestagswahl von 1998 tauchte das Wörtchen "Internet" zudem noch gar nicht auf.

Demgegenüber schlägt die Internet-Kommission nun ganz andere Töne an. In einem Absatz macht sie sich beispielsweise auf der Basis des "grundgesetzlichen Zensurverbots" für die "Beschränkung" staatlicher Hürden beim Zugang zu Inhalten im Netz "auf das Notwendigste" stark. "Internet-Service-Provider müssen grundsätzlich den Zugang zu allen Angeboten ermöglichen können", heißt es in dem Papier.

Allein "auf der Grundlage überprüfbarer hoheitlicher Entscheidungen" und im Rahmen "internationaler Vereinbarungen" dürfe "im Einzelfall" von diesem Prinzip abgewichen werden. "Zumutbare Anstrengungen" müssten Provider also schon unternehmen, um den "Zugang zu rechtswidrigen Inhalten zu unterbinden." Zum Problem der Propaganda von Neonazis im Netz, die vor allem Bundesinnenminister Otto Schily den Schlaf raubt (Und er hat es doch gesagt ...), nimmt die Kommission in diesem Zusammenhang nicht direkt Stellung.

Mit Hinblick auf die heftig umstrittene Telekommunikations-Überwachungsverordnung (Kosmetik an der Lauschverordnung) fordern die CDU-Experten, dass es "eine generelle Verpflichtung der Provider, Netzinhalte zu überprüfen oder das Nutzungsverhalten von Kunden zu dokumentieren, nicht geben darf." Das entbinde die Zugangsanbieter allerdings nicht von ihrer Aufgabe, "die Ermittlung konkreter Straftaten zu unterstützen."

Heilmann an den Stellschrauben

Dass die Schwarzen nun die Netzgemeinde als potenzielle Wahlklientel entdeckt haben, liegt neben der relativ frisch ins Amt der "Internet-Beauftragten" eingeführten Bundestagsabgeordneten Martina Krogmann vor allem am Werber Thomas Heilmann, den Parteichefin Angela Merkel im Mai 2000 zum "Internet-Sprecher" ernannt hatte. Als Leiter der sich nach getaner Arbeit auflösenden Netz-Kommission sorgte der Vorstand der Werbeagentur Scholz & Friends für frischen Wind in der konservativen Medienpolitik und holte sich für die Erstellung des Abschlussberichts Experten aus Startups, großen Medienkonzernen, Beratungshäusern und dem Bundestag ins Boot. Sein Ziel war es, der seiner Meinung nach planlos im Datenmeer treibenden Bundesregierung ein "ganzheitliches Konzept" fürs Internet entgegenzusetzen und so die Potenziale des Mediums auszuschöpfen.

Grundsätzlich betrachtet die Internet-Kommission das Netz der Netze als "Basisinnovationstechnik" und als "neue Infrastruktur" innerhalb der Gesellschaft. "Das Internet ist Datenautobahn, Marktplatz, öffentliches Forum und individuelles Kommunikationsmittel zugleich" und habe sich zum "Interaktionsraum für mehrere hundert Millionen Menschen" entwickelt. Der rasanten Anstieg der Nutzerzahlen nach der Geburt des World Wide Web während der vergangenen zehn Jahre "basiert in hohem Maße auf seiner freien Entfaltung einerseits und auf seinem Charakter eines öffentlichen Guts andererseits." Wie bereits die frühen Internet-Fahrpläne der Clinton/Gore-Administration (A Framework for Global Internet Commerce) oder der europäischen Bangemann-Kommission (Die Informationsgesellschaft in Europa und ihre Macher: People first?!) plädiert die CDU daher für ein "Gebot weitestmöglicher Zurückhaltung" bei Fragen staatlicher Eingriffe. Der "Anbieter-Selbstkontrolle" wird somit gegenüber Regulierungsmaßnahmen "von oben" in vielen Bereichen der Vorzug gegeben.

Die New Economy ist tot, lang lebe das "Start-up Deutschland"

Gerade angesichts der schlechten Stimmung auf den Aktienmärkten, die von der gestürzten "New Economy" längst auf die gesamte Wirtschaft übergegriffen hat, geht es der Internet-Kommission aber auch um die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen, um den Gründungselan der vergangenen Jahre am Leben zu erhalten und das Internet als Geschäftsumfeld zu fördern. Von "E-Commerce" ist dabei interessanterweise nicht mehr die Rede. Dafür findet sich eine Stelle, wonach "die Politik" die Aussichten der Startups und des Neuen Marktes "überschätzt" habe.

Nichtsdestoweniger ist der Teil des Abschlussberichts zur Wirtschaftsordnungspolitik mit "Start-up Deutschland" überschrieben und soll zur "dringend notwendigen Verstärkung einer Kultur der Selbständigkeit in unserem Land" beitragen. Steine legt den Gründern dabei vor allem noch das Steuerrecht in den Weg, glauben die Verfasser des Kommissionstextes. Die geltenden Regeln zur Behandlung von Aktienoptionen halten die Netzexperten der CDU für "global nicht wettbewerbsfähig". Statt der Orientierung der Besteuerung am tatsächlichen Aktienkurs bei der Verteilung von Optionen, schlägt die Kommission beispielsweise eine pauschale Besteuerung in Höhe von 7,5 Prozent des Aktienkurses am Tage der Optionsgewährung vor. Dadurch würde eine "übermäßige Steuerlast" vermieden, falls der Aktienkurs einbreche.

Wohin steuert das Netz?

Generell ist es ein Hauptanliegen der CDU, die Steuergesetzgebung rund ums Internet zu entrümpeln. Gerade beim Eintreiben der Umsatz- und Gewerbesteuer stellt das internationale Internet, über das sich digitale Güter von überall in der Welt direkt beziehen lassen, die Finanzbehörden bislang vor große Herausforderungen. Politiker in Europa und den USA drängen zwar verstärkt darauf, die im Cyberspace nicht erfassten Millionen endlich abzugreifen (Finanzstaatssekretär: Steuerfreies Internet kann es nicht geben). Doch bisher haben sie keine durchsetzbare Lösung für die Besteuerung digitaler Konsumgüter gefunden. Die Europäische Kommission etwa stieß mit ihrem vor einem Jahr vorgestellten Regelungsvorschlag, der eine verworrene Mixtur aus Bestimmungs- und Ursprungslandsprinzip sowie einer zusätzlichen Trennung zwischen Firmen- und Privatkunden konstruierte, in der Fachwelt auf wenig Gegenliebe.

Die CDU will nun ein "einfaches", "gerechtes" und "einheitliches" Steuersystem in der "grenzenlosen" Welt des Internet schaffen. Gewerbesteuern, denen sich Unternehmen durch die Verlagerung ihrer Server und Betriebsstätten in Offshore-Gebiete entziehen könnten, sollen entfallen und durch Ertragssteuern ersetzt werden. Der Ort, an dem ein Gewinn anfällt, spiele damit keine Rolle mehr. Bei der Umsatzsteuer befürwortet die Kommission die einheitliche Geltung des "Bestimmungslandsprinzips". Dadurch würden die Kassen bei den Finanzämtern in dem Land klingeln, in der eine Ware per Mausklick geordert wird und in das sie geliefert wird. Wie aber der Download von digitalen Gütern wie Musikstücken überhaupt erfasst werden soll, lässt die CDU offen.

Absprachen mit der FDP bei Themen wie Urheberrecht und Flatrate

Während sich die Forderung, die Gewerbesteuer ganz abzuschaffen, noch von den Programmen der meisten anderen Parteien unterscheidet, fällt den Schwarzen die Differenzierung nach außen in anderen Bereichen der Netzpolitik deutlich schwerer. Die Medienpolitiker der großen Parteien sind sich einig, dass Datenschutz und Datensicherheit im Netz erhöht werden müssen, um die Akzeptanz in das Medium zu stärken. Entsprechende Passagen finden sich daher natürlich auch im Papier der CDU. Besonders viele und auffällige Parallelen auch bei anderen Fragen existieren zudem mit dem Leitpapier Zukunft.de der FDP, das der Bundesparteitag der Liberalen bereits im Frühjahr verabschiedete. Die Übereinstimmungen sind allerdings nicht weiter verwunderlich, da sich Mitglieder der CDU-Kommission sowie Medienpolitiker der FDP im Juni in Berlin zu gemeinsamen "Netz-Gesprächen" getroffen hatten.

Die alten Koalitionsparteien sind sich dabei beispielsweise einig geworden in ihrer Ablehnung von pauschalen Copyright-Abgaben auf PCs und andere digitale Kopiergeräte. "Der Anteil wissens- und informationsbasierter Wertschöpfung nimmt im Zeitalter des Internet zu", heißt es bei der CDU. Ein "wirksamer Urheberschutz", ohne den die Vielfalt von Informationsangeboten und die Attraktivität des Internet insgesamt in Frage gestellt würde, sei daher zu gewährleisten. Dazu müsse "auch im Internet eine Kultur der Vergütung für konkret genutzte Leistungen" entwickelt werden. Unisono mit der FDP plädiert die Netzkommission daher für den Einsatz "individueller Abrechnungssysteme". Mit den dazu erforderlichen "Digital Rights Management"-Systemen tun sich die Technologieanbieter allerdings noch schwer, wie das Beispiel SDMI zeigt (SDMI kopfloser denn je.

Gemeinsam machen sich CDU und FDP auch für eine günstige Flatrate stark, damit die Menschen auch hierzulande bald das Internet ohne Angst vor unübersehbaren Kosten intensiv nutzen können. Das Prinzip des offenen Zugangs wollen sich auch auf andere, mobile Netzwerktechnologien ausgedehnt wissen. So fragen sie sich denn, ob bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen tatsächlich alles mit rechten Dingen zugegangen ist – oder ob die ganze Aktion allein dem Füllen des Staatssäckels diente.

Patentschutz nur für Programme mit offenem Quellcode

Wie die anderen großen Parteien fordert die CDU zudem den stärkeren Einsatz von Open-Source-Software. Die CDU-Kommission dringt konkret darauf, in öffentlichen Stellen ausschließlich Software mit offen liegendem Quellcode einzusetzen. Damit würden "herstellerneutrale" Schnittstellen zur Öffentlichkeit und gegenüber den Bürgern geschaffen und zugleich die IT-Sicherheitsstrukturen verbessert werden.

Eine eigene Richtung schlagen die Konservativen dagegen bei der Streitfrage "Softwarepatene" ein. Während sich im Bundestag eine rot-grün-gelbe Koalition gegen Möglichkeiten zum patentrechtlichen Schutz von Computerprogrammen abzeichnet, ist die CDU für die Einführung von Softwarepatenten. Allerdings sollen sie auf fünf Jahre beschränkt sein und nur Firmen oder Erfindern erteilt werden, die sich in den Quellcode blicken lassen und zum Spiel mit offenen Karten bereit sind. Ob sich mit einer solchen Regelung die Gegner von Softwarepatenten in der Open-Source-Gemeinde anfreunden können, muss sich noch zeigen.

Bisher lehnt das Linux-Lager Patente auf Computerprogramme ab. Es befürchtet, dass das Programmieren andernfalls zum Tretminenlauf zwischen all den geschützten Codezeilen wird. Ein vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten kam daher im vergangenen Jahr zu dem Schluss, Open-Source-Software vom Patentschutz auszunehmen (Streit um Softwarepatente geht in die nächste Runde).