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CO2-Ausstoß muss spätestens 2035 enden

Bild: Bundesverband Erneuerbare Energie e.V.

Die Energie- und Klimawochenschau: Verbleibendes Kohlenstoffbudget überschätzt, Korallenriffe, Feuchtgebiete und Wälder stark gefährdet

Deutschland wird sein Klimaschutzziel noch weiter verfehlen als bislang angenommen. In einer Kurzstudie [1] im Auftrag es Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) legt der Energieexperte Joachim Nitsch dar, dass es Deutschland in einem Weiter-So-Szenario bis 2020 lediglich gelingen wird, seinen CO2-Ausstoß um 32% gegenüber 1990 zu mindern, und nicht, wie im Rahmen von COP21 vereinbart, um 40%.

Bezogen auf das Jahr 2050, bis zu dem eine nahezu vollständige Dekarbonisierung der Weltwirtschaft stattfinden müsste, sieht es noch schlechter aus. Bis zur Mitte des Jahrhunderts würde Deutschland seinen CO2-Ausstoß statt um 95% nur 58% reduzieren. "Die derzeitige Energiewendepolitik lässt noch keine kohärente Strategie erkennen, mit der die großen Herausforderungen eines Komplettumbaus aller Sektoren der Energieversorgung in der notwendigen Zeit bis 2050 wirksam bewältigt werden könnten", so Joachim Nitsch. Die EEG- Ausbaukorridore der Bundesregierung müssten bis 2030 um das Dreifache wachsen.

Für einen wirksamen Klimaschutz kommen niedrige Börsenstrompreise und niedrige Mineralölpreise erschwerend hinzu. Besonders im Wärme- und im Verkehrssektor gibt es bislang wenig Fortschritt. Im Verkehrssektor ist der Energieverbrauch seit 2003 nicht gesunken, das Ziel von minus 10% in 2020 gegenüber 2008 ist quasi nicht mehr zu erreichen.

Ernüchternd ist die Gesamtbilanz aller Sektoren: Ohne deutliches Umsteuern läge der fossile Anteil des gesamten Energieverbrauchs im Jahr 2050 noch bei 70 bis 75%. Nitsch sieht aber noch nicht alles verloren. Bis 2030 könnte Deutschland in seiner Klimabilanz wieder aufholen, insbesondere dann, wenn CO2-Preise oder entsprechende Steuern auf mindestens 40 bis 50 Euro pro Tonne steigen würden. "Investitionen in Effizienzsteigerungen wären dann sehr viel wirtschaftlicher und die EE-Technologien könnten sich ohne kompliziertes Förderinstrumentarium im Energiemarkt weiter etablieren."

Gerade im Stromsektor ist ein schnellerer Umbau durchaus möglich, wie die jüngst veröffentlichten Zahlen [2] des Fraunhofer ISE zu Deutschlands Stromexporten 2015 mal wieder verdeutlichen. Mit etwa 50 Terawattstunden exportiertem Strom und einem Saldo von über 2 Milliarden Euro stellte Deutschland im Jahr 2015 einen neuen Rekord auf. Die durchschnittlich exportierte Leistung entsprach der von vier Kernkraftwerken, 92% der Zeit war die exportierte Strommenge größer als die importierte.

Das zeigt, dass ein weiteres Abschalten von Atom- und Braunkohlekraftwerken nicht die Versorgungssicherheit gefährden würde. "Aufgrund der gestiegenen Produktion aus erneuerbaren Energien können wir es uns leisten, schneller aus der klimaschädlichen Braunkohle auszusteigen und schon dieses Jahr erste Kraftwerksblöcke stillzulegen", meint Bruno Burger vom Fraunhofer ISE.

100% Erneuerbare bis 2035

Laut Nitsch kann Deutschland vielleicht mit ein paar Jahren Verspätung noch die Kurve im Klimaschutz kriegen. In seine Studie dürfte aber keineswegs die jüngste Berechnung [3] des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) eingeflossen sein. Die besagt nämlich, dass die bisherigen Schätzungen über das verbleibende Kohlenstoffbudget, also die Menge, die die Menschheit insgesamt noch ausstoßen darf, um die Klimaerwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen, um 50 bis 200% zu hoch sind. In der in Nature Climate Change veröffentlichten Studie geben die Autoren das Budget mit 590 bis 1240 Milliarden Tonnen an. Immerhin das untere Ende verschiebt sich gegenüber früheren Schätzungen nicht, diese beliefen sich auf verbleibende 590 bis 2390 Milliarden Tonnen.

Sofortiger Handlungsdruck ergibt sich auch aus einer Studie [4] des NewClimate Institute im Auftrag von Greenpeace. Selbst wenn Deutschland sich an seinen Klimafahrplan halten würde, würde das für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens nicht ausreichen. Der Menschheit bleiben nach dieser Berechnung 20 Jahre, um die globalen Emissionen aus der Energieerzeugung und -nutzung sowie der Land- und Forstwirtschaft auf null zu senken.

Industrienationen wie Deutschland sollten sogar noch vor dem Jahr 2035 kein Kohlendioxid mehr ausstoßen, damit anderen Ländern eine Entwicklungsperspektive bleibt. Dafür müsste der Anteil Erneuerbarer nicht nur in der Stromerzeugung, sondern auch im Wärme- und Verkehrssektor vor 2035 100% betragen.

Kohlekraftwerke müssten bis spätestens 2025 abgeschaltet sein und auch Gaskraftwerke könnten nur fünf Jahre länger laufen. In der Landwirtschaft müssten Düngemittel effizienter genutzt und die Tierhaltung erheblich reduziert werden, die CO2-Speicherfähigkeit von Böden und Wäldern müsste erhöht werden. Die Möglichkeiten von CO2-Abscheidung und Speicherung wurden in der Studie nicht berücksichtigt, da die Technologie erhebliche Probleme und Risiken berge.

Meeresspiegelanstieg bedroht neben Siedlungsgebieten auch Feuchtgebiete

Immer wieder gibt es neue Schätzungen zum Anstieg des Meeresspiegels, Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) kommen in einer Studie [5] auf mindestens 20 bis 60 Zentimeter bis zum Ende des Jahrhunderts, selbst wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden. "Mit all den bereits emittierten Treibhausgasen in der Atmosphäre können wir den Meeresspiegelanstieg zwar nicht mehr verhindern, aber durch das Beenden der Nutzung fossiler Brennstoffe noch deutlich begrenzen", sagt [6] Ko-Autor Anders Levermann.

Die Computersimulation der Wissenschaftler soll vor allem Daten für die künftige Risikoabschätzung und den Küstenschutz liefern. Den Code der Computersimulation wollen sie Experten zur Verfügung stellen. "Wir können bestätigen, was frühere und lokalere Meeresspiegeldaten schon nahegelegt haben: In den vergangenen Jahrtausenden ist der Meeresspiegel nie schneller angestiegen als im letzten Jahrhundert", erklärt Stefan Rahmstorf, Forscher am PIK.

Der Anstieg des Meeresspiegels hat natürlich nicht nur Folgen für menschliche Siedlungen an Küsten. Feuchtgebiete, die wichtige Küstenschutzfunktionen erfüllen, CO2 speichern, und Habitat vieler Arten sind, sind stark durch das vorrückende Meer bedroht [7]. Bereits zwischen 1970 und 2008 ist fast die Hälfte der küstennahen Feuchtgebiete verschwunden. Das liegt vielfach daran, dass die Feuchtgebiete auf der einen Seite dem Meer zum Opfer fallen und auf der anderen nicht weiter ins Inland zurückweichen können, weil dies mit Deichen geschützt ist.

Würde der Meeresspiegel um einen Meter ansteigen, könnten bis zu vier Fünftel aller Feuchtgebiete verloren gehen. Aber auch bei einem moderaten Anstieg, der sich im Rahmen des oben zitierten PIK-Modells bewegt, drohen noch erhebliche Verluste: Bei einem Anstieg von 50 Zentimetern könnte immer noch die Hälfte der küstennahen Feuchtgebiete verschwinden. Und selbst ein Anstieg um 30 Zentimeter würde Feuchtgebiete gefährden, die sich in Gebieten geringer Gezeitenunterschiede befinden.

Korallen leiden unter Kalkmangel

Höhere Temperaturen und der damit verbundene Anstieg des Meeresspiegels sind nur eine Folge des Kohlendioxidausstoßes, eine andere, weniger beachtete ist die Versauerung der Ozeane. Und die wiederum hat erhebliche Folgen für kalkbildende Meeresorganismen, insbesondere für Korallen.

Das One Tree Reef, an dem die Wissenschaftler unter Leitung con Ken Caldeira das Experiment durchführten. Bild [8]: Ken Caldeira

Ein Team von Wissenschaftlern unter Leitung von der Carnegie Institution for Science wählte einen interessanten Weg, um die Auswirkungen der Versauerung [9] auf die Korallen zu zeigen [10]: Sie versetzten einen Ausschnitt des Great Barrier Reefs chemisch in die Zeit vor der industriellen Revolution zurück, indem sie den pH-Wert anhoben. Innerhalb kurzer Zeit verstärkte sich das Wachstum der Korallen. Korallen brauchen ausreichend Kalk in Form von Aragonit im Wasser. Bei einem niedrigeren pH-Wert nimmt die Aragonitsättigung ab und Organismen wie Korallen oder Muscheln können schlechter wachsen. Im Extremfall lösen sich Skelette und Schalen sogar wieder auf.

Wie viel Aragonit vorhanden ist, ist jedoch nicht allein vom CO2-Eintrag aus der Luft abhängig. Forscher der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation zeigten, dass die Aragonitsättigung innerhalb der einzelnen Riffe des Great Barrier Reefs heute schon höchst unterschiedlich ist. Die Unterschiede ergeben sich durch Wasserströmungen, Süßwassereintrag durch Flüsse und Ähnliches. Für die Korallen bedeutet dies aber, dass manche bei weiterer Versauerung bereits schlechtere Ausgangsbedingungen haben. Die Aragonitsättigung [11] sei stellenweise heute schon so niedrig, wie sie im IPCC-Bericht für das Ende des Jahrhunderts erwartet wurde.

Die anhaltende Trockenheit hat in einem Pinyon-Kiefernwald im Südwesten der USA kaum mehr hinterlassen als Baumskelette. Foto: USGS

Aber nicht nur die Bedingungen für Meeres- und Küstenökosysteme verändern sich. Auch Wälder - denen zusätzlicher Kohlenstoff in der Atmosphäre erstmal nichts ausmacht - sind durch den Klimawandel gefährdet. Ein Forscherteam unter Leitung der Duke University warnt [12] davor, dass fast alle Wälder in den USA durch Trockenheit bedroht seien.

Unter höheren Temperaturen und Trockenheit hätte längst nicht nur der Westen der USA zu leiden. Das führt zu Trockenschäden an den Bäumen, der Vermehrung von Borkenkäfern und erhöhter Waldbrandgefahr. Baumarten sind durchaus in der Lage sich anzupassen, indem sie in höhere Lagen ausweichen. Eine solche Verschiebung des Lebensraums erfolgt aber zu langsam, um mit den derzeitigen klimatischen Veränderungen Schritt zu halten.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3378672

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.bee-ev.de/fileadmin/Publikationen/Studien/Joachim_Nitsch_Energiewende_nach_COP21.pdf
[2] https://www.ise.fraunhofer.de/de/aktuelles/meldungen-2016/deutsche-stromexporte-erloesten-im-saldo-rekordwert-von-ueber-2-milliarden-euro
[3] http://www.iiasa.ac.at/web/home/about/160224-CarbonBudget-NCC.html
[4] http://www.greenpeace.de/files/publications/160222_klimaschutz_paris_studie_02_2016_fin_neu.pdf
[5] http://www.pnas.org/content/early/2016/02/17/1517056113
[6] https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/meeresspiegelanstieg-in-vergangenheit-und-zukunft-robuste-abschaetzungen-fuer-kuestenplaner
[7] http://www.cam.ac.uk/research/news/up-to-four-fifths-of-wetlands-worldwide-could-be-at-risk-from-sea-level-rise
[8] http://dge.stanford.edu/labs/caldeiralab/OneTreePress/OneTreePressPhotos.html
[9] http://dge.stanford.edu/labs/caldeiralab/OneTreePress/OneTreePressPhotos.html
[10] http://carnegiescience.edu/node/1994
[11] http://www.eco-business.com/news/ocean-acidification-decline-of-great-barrier-reef-likely-to-be-worse-than-feared/
[12] http://www.wsl.ch/medien/news/trockenheit_amerika/index_DE