COP28 und Klima-Realität: Psychologie der Verleugnung

Es geht nicht gleich die Welt unter... Symbolbild: Hermann Traub / Pixabay Licence

Das 1,5-Grad-Ziel ist tot. Psychische Abwehrmechanismen sind menschlich. Warum wir sie hier ablegen sollten. Ein Gastkommentar.

Jana Mestmäcker ist Psychologin und Aktivistin der Klimabewegung. Sie nahm an Aktionen von Extinction Rebellion teil und unterstützt die "Letzte Generation". Über ihr Engagement und die politische Auseinandersetzung darum schrieb sie bereits für die Berliner Zeitung.

Es war wieder Klimakonferenz. Es wurde wieder die Hoffnung heraufbeschworen, dass wir jetzt – endlich – die Kehrtwende schaffen können. Doch seit es Klimakonferenzen gibt, steigen die Emissionen weiter.

Zu einem expliziten Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen konnten sich die Teilnehmenden der COP28 in Dubai nicht durchringen. Den Vorsitz der Veranstaltung hatte dieses Jahr der Chef eines Ölkonzerns.

Mein Eindruck als Psychologin

Wie ist es möglich, zu einer solchen Konferenz zu fahren, geschweige denn im Kampf gegen die Klimakatastrophe wirklich auf sie zu setzen? Mein Eindruck als Psychologin ist: nur unter enormem Einsatz psychischer Abwehrmechanismen.

Sehr präsent ist zum Beispiel die Affektisolierung, also eine Entkoppelung von den eigenen Gefühlen. So ist es möglich, auf nüchterne Art und Weise über Themen zu sprechen, die Leid und Tod von Menschen bedeuten.

Jana Mestmäcker

Der hervorstechendste Abwehrmechanismus auf der Weltklimakonferenz ist jedoch die allgegenwärtige Verleugnung der Realität.

Verleugnung auch ohne vollständiges Abstreiten

Verleugnung – im alltäglichen Sprachgebrauch begrifflich oft mit Verdrängung verwechselt – ist, wenn man einen unerwünschten Teil der Realität ausblendet.

Es muss dabei nicht unbedingt so sein, dass die menschengemachte Erderwärmung komplett bestritten wird. Verleugnung ist es auch schon, wenn lediglich die Tragweite von etwas heruntergespielt wird. Das Ganze findet unbewusst statt.

Der neue Chef des Weltklimarats sagte zum Beispiel kurz nach seiner Ernennung: Die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze bei der globalen Erwärmung sei "völlig ausgeschlossen", das sei jedoch kein Weltuntergang. Dabei ist es so, dass jenseits von 1,5 Grad die pazifischen Inselstaaten im Meer versinken werden.

Für Bewohner mancher Inseln geht ihre Welt unter

Was – anderes als ein Weltuntergang – soll es aber für die dortige Bevölkerung sein, wenn Staaten vernichtet werden, ohne jeglichen Plan, wohin die Menschen gehen könnten? Der Präsident des pazifischen Inselstaats Palau sagte einmal, es könnten genauso gut Bomben abgeworfen werden.

Die 1,5-Grad-Grenze an sich beinhaltet einiges an Verleugnung der Realität. Denn die Zweifel, ob sie überhaupt noch eingehalten werden kann, bestehen bereits, seit sie 2015 im Pariser Abkommen ausgerufen wurde.

Prof. Hans-Joachim Schellnhuber etwa sagte, er hätte sich damals gewundert, denn eine Begrenzung auf 1,5 Grad sei praktisch gar nicht mehr möglich. Prof. Mojib Latif äußerte sich ähnlich.

Wurde die Lage schon 2015 schöngeredet?

Drei renommierte Klimaforscher schrieben sogar, sie würden keinen einzigen Wissenschaftler kennen, der das Pariser Abkommen von 2015 damals für umsetzbar hielt.

Wie kann weiterhin ein Klimaziel ausgerufen werden, das gar nicht im Rahmen des Möglichen liegt? Der Grund dafür ist naheliegend. Niemand möchte sich vor die Weltöffentlichkeit stellen und zugeben, wie viel bereits verloren ist.

Lieber wird eine falsche Hoffnung kreiert: Wir können es noch schaffen. Eine Illusion, der sich alle anschließen können. Doch wie ist es wissenschaftlich möglich, zu einem solchen Fehlschluss zu kommen?

Die Unterbewertung der Kipppunkte

Zwei Punkte werden immer wieder an der Arbeitsweise des Weltklimarats kritisiert: Die Auswirkungen von Kipppunkten werden nicht ausreichend in die Prognosen einbezogen – und es werden Negativemissionen einberechnet, die es jedoch gar nicht gibt.

Zweiteres zeigt den Mechanismus der Verleugnung besonders deutlich. Negativemissionen einzuberechnen bedeutet, davon auszugehen, dass wir Treibhausgase wieder aus der Luft herausholen werden.

Die Technologie hierfür existiert jedoch nicht, zumindest ist sie nicht in relevantem Ausmaß einsetzbar. Wir können der Atmosphäre nicht ansatzweise so viele Emissionen entziehen wie notwendig, nicht einmal einen Bruchteil.

Magisches Denken trifft "Technologieoffenheit"

Der Klimaforscher James Hansen drückte sich in einer aktuellen Studie so aus: Der Plan des Weltklimarats für die Bekämpfung der Klimakatastrophe sei, "auf ein Wunder zu setzen".

Trotz aller Zweifel – Bundeskanzler Olaf Scholz sagte dieses Jahr in seiner Rede auf der Weltklimakonferenz, er glaube daran, dass die 1,5-Grad-Grenze eingehalten werden könnte.

Damit widerspricht der SPD-Politiker zwar dem Chef des Weltklimarats, doch bei all der Realitätsverleugnung fällt das gar nicht weiter auf.

Wir müssen uns der Realität stellen

Luisa Neubauer von Fridays for Future hat Scholz‘ Rede gelobt. Psychische Abwehrmechanismen wie die Verleugnung sind in uns allen. Sie haben die wichtige Funktion, uns vor Überlastung, letztlich dem Zusammenbruch, zu schützen.

Um mit der Realität umzugehen, müssen wir jedoch einen Blick auf sie wagen.

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