COVID-19 gegen Teflon-Trump
Höchststände für das Coronavirus, Tiefstände für den Präsidenten
Einen besseren Beweis, dass COVID-19 in den USA nicht unter Kontrolle ist, gibt es kaum: Die Walt Disney Company teilt mit, dass die für Mitte Juli geplante Wiedereröffnung ihres Vergnügungsparks Disneyland in Kalifornien verschoben werden muss. Mitarbeiter von Disney World in Florida fordern, dass die dort für Juli geplante Wiedereröffnung ebenfalls aufgeschoben wird.
Die USA haben soeben die höchste tägliche Fallzahl seit Beginn der Pandemie bestätigt. Damit wurden die Höchststände überschritten, die vor zwei Monaten, dem ersten Höhepunkt der Pandemie in den Vereinigten Staaten, verzeichnet worden waren. Bei dem neuerlichen rapiden Anstieg der Fallzahlen handelt es sich um die Verfestigung einer seit bereits über einer Woche anhaltenden Trendumkehr.
Viele der knapp zwei Dutzend Bundesstaaten, in denen die Coronafälle derzeit ansteigen, gehören zu den Südstaaten. Drei der besonders betroffenen Gebiete sind die bevölkerungsreichsten Bundesstaaten der USA, Kalifornien, Texas und Florida, mit einer Bevölkerung von insgesamt über 90 Millionen Menschen. Florida meldete zuletzt einen neuen Höchststand von 5.500 Infizierten. In Texas wurden an mehreren Tagen Rekordzahlen von über 5.000 Fällen gezählt. In Kalifornien wurden zuletzt über 7.000 Fälle an einem Tag bestätigt.
Houston hat ein Problem
In Texas steigen die Infiziertenzahlen und die Krankenhausfälle seit mehreren Wochen. Der republikanische Gouverneur Greg Abbot hatte sich im Mai der von Präsident Trump angestoßenen schnellen Öffnung der Wirtschaft bereitwillig angeschlossen und erklärt, dass das Virus in Texas unter Kontrolle sei. Mittlerweile wird immer deutlicher, dass die von ihm angeordnete vorschnelle Rücknahme der Corona-Maßnahmen eine Hauptursache für die neue Infektionswelle darstellt.
Eben erst aufgehobene Restriktionen zur Eindämmung des Virus werden nun wieder eingeführt, auch im Hinblick auf den anstehenden Nationalfeiertag am 4. Juli. Bürgermeister und Bezirksrichter sind bevollmächtigt, Versammlungen von mehr als 100 Personen einzuschränken."Weil die Verbreitung des Virus momentan so um sich greift, gibt es keinen Grund für Sie, Ihr Zuhause zu verlassen", sagte der Gouverneur den Bürgern von Texas. "Wenn Sie nicht unbedingt hinaus müssen, ist der sicherste Ort für Sie bei Ihnen zu Hause."
Die aktuellen Prognosen verheißen gerade für Texas nichts Gutes. "In den großen Metropolregionen scheint der Anstieg sehr stark zu sein und einige der Prognosemodelle stehen kurz vor apokalyptisch", erklärte Dr. Peter Hotez, ein führender Virologe gegenüber dem Nachrichtenkanal CNN. Man müsse sofortige Maßnahmen einleiten, um in Houston, Dallas, Austin und San Antonio das Schlimmste zu verhindern. Bei einer Sterblichkeitsrate von 1 Prozent seien allein im Großraum Houston bis zu 30.000 Toten möglich.
Der Computerhersteller Apple hat bereits alle seine sieben Geschäfte im Raum Houston, die erst Ende Mai wiedereröffnet wurden, nun erneut und bis auf Weiteres geschlossen. Eine wachsende Zahl von Restaurants in der Stadt muss schließen, weil immer mehr Mitarbeiter positiv auf COVID-19 getestet werden. Viele Arbeitgeber in Houston sind zunehmend nervös und schicken ihre Mitarbeiter ins Home Office. Und Gouverneur Abbot hat soeben angekündigt, alle weiteren Phasen der Wiedereröffnung der Wirtschaft anzuhalten.
Zwischenzeitlich sorgte die Befürchtung für Aufregung, in Houston könnten bereits die Intensivbetten knapp werden. Im Texas Medical Center (TMC), das als eines der größten Krankenzentren der Welt gilt, ist derzeit die normale Kapazität von 1.330 ICU-Betten fast komplett ausgelastet. Allerdings hat das TMC eine Notfallkapazität von weiteren etwa 900 Betten.
Wenn der Präsident kommt, ist das Virus schon da
Während das Coronavirus sich rapide weiter verbreitet, verbreitet Donald Trump die Nachricht weiter, dass es verschwinden werde. "Es geht weg", so der noch amtierende Präsident dieser Tage auf einer Wahlkampfveranstaltung vor einer Gruppe von etwa 3.000 Studenten namens "Studenten für Trump" in Phoenix, Arizona.
Doch sehr schnell "weg" zu gehen scheint eher der Nimbus von Trump als unverwundbarem Teflon-Präsident. Sein Image ist, vorsichtig formuliert, angekratzt. Nach der Corona-Pause war sein "Comeback" für eine Rede im kleinen Tulsa im abgelegenen Oklahoma groß angekündigt worden. Doch das Event erinnerte weniger an ein Comeback, wie das von Elvis im Jahr 1968, als an den Auftritt eines abgehalfterten Idols kurz vor dem letzten Vorhang.
Schon ist von einer strategischen Neuausrichtung von Trumps Wahlkampf die Rede. Zu den angedachten, mehr oder minder originellen Maßnahmen gehören: neue Angriffe auf seinen Konkurrenten Joe Biden, eine Verlegung von Veranstaltungen ins Freie und die Auswechselung des Wahlkampfmanagers. Zunächst jedoch werden für die Dauer von mindestens zwei Wochen überhaupt keine Wahlkampfveranstaltungen stattfinden. Der Rückschlag von Tulsa muss erst verarbeitet werden.
Die Besucher der Wahlkampfveranstaltung in Tulsa waren aufgefordert worden, eine Einverständniserklärung zu unterzeichnen, dass sie auf sämtliche Haftungsansprüche bei einer etwaigen Ansteckung mit COVID-19 verzichten würden. Letztendlich handelte es sich um nichts anderes als ein Eingeständnis von Trumps Mannschaft, dass, anders als von ihrem Boss behauptet, das Virus nicht "weg", sondern da war.
Wahlkampf 2020: Das Coronavirus redet mit
Bis zur Wahl im November, dies ist mittlerweile absehbar, wird COVID-19 im Management von Trumps Wahlkampf, und natürlich auch dem seines Konkurrenten, ein gehöriges Wort mitreden. Die Pandemie hat einen direkten Einfluss auf die Wahlkampf-Logistik. Wann, wo und wie Veranstaltungen abgehalten werden, kann nur noch unter Berücksichtigung des lokalen Infektionsgeschehens entschieden werden.
Und auch auf die Inhalte wird COVID-19, direkt oder indirekt, einen verstärkten Einfluss nehmen. Aus Umfragen ist mittlerweile bekannt, dass einer Mehrheit der Bevölkerung die Eindämmung des Virus wichtiger ist als eine schnelle Öffnung der Wirtschaft. Dass sich das Virus nun ausgerechnet in einigen der Gebiete vermehrt, in denen Trump bislang die treuesten Unterstützer hatte, wird seine Erfolgschancen kaum verbessern.
Vielen politischen Beobachtern steckt noch das Wahljahr 2016 in den Knochen als sie mit ihren Prognosen daneben lagen. Doch vielleicht ist es nicht nur Wunschdenken, wenn die sicherlich nicht ganz schlecht informierte "Washington Post" konstatiert, dass eine wachsende Zahl von Trumps Unterstützern im Kongress zu ihm auf Distanz gehe.
Bewunderung oder Vertrauen sei nie die Basis von Trumps Kontrolle über die republikanische Mehrheit im Senat gewesen. Eher schon seine Ruchlosigkeit und der Respekt vor seinen leidenschaftlichen Anhängern. Man habe Trump lediglich toleriert, unter der Voraussetzung, dass er alle mitziehen werde.
Dass das Zugpferd nicht mehr so richtig zieht, machen jedoch seit einiger Zeit auch eine steigende Zahl von Meinungsumfragen deutlich. Der einstige Corona-Bonus ist schon seit Monaten verloren. Im März hatte Trump unter dem Eindruck des Beginns der Corona-Krise noch die höchsten Zustimmungswerte seiner Amtszeit erzielt.
Doch seit fast drei Monaten geht es für Trump in den Umfragen beständig bergab. Die Zahl derjenigen, die Trump ablehnen, nimmt seit Anfang April kontinuierlich zu. Der Vorsprung seines Präsidentschaftskonkurrenten Joe Biden wird, wie selbst der konservative Sender Fox News nicht umhinkam zuzugeben und die New York Times nun bestätigt, immer größer.
Der Gegner heißt nicht Joe Biden, sondern COVID-19
Trumps Chancen auf eine erfolgreiche Wiederwahl basieren vorwiegend auf einer schnellen Erholung der Wirtschaft. Zwar kann Trump nach wie vor auf eine ihm geradezu fanatisch verbundene Anhängerschaft zählen. Doch kaum minder motiviert ist die wachsende Zahl seiner erbitterten und verbitterten Gegner.
Auf vielen Politikfeldern trauen viele Wähler Trump ohnehin nur noch wenig zu.
Somit handelt es sich um ein systematisches Problem, wenn die Pandemie sich in ungefähr der Hälfte der Bundesstaaten derzeit stark ausbreitet und die Behörden vielerorts dazu nötigt, die gerade erst initiierte Wiedereröffnung abzuwürgen. Denn damit schwinden zusehends die Hoffnungen auf eine zügige wirtschaftliche Erholung.
Der eigentliche Gegner von Donald Trump im Wahlkampf 2020 heißt nicht Joe Biden, er heißt COVID-19. Jeder weitere Fortschritt, den das Virus in der Kolonisierung der USA von nun an erzielt, wird zulasten der Chancen des amtierenden Präsidenten auf eine Wiederwahl gehen.
Dr. habil. Thomas Schuster, ehem. Berater bei Roland Berger und ehem. Autor der Frankfurter Allgemeine ist Hochschullehrer für Kommunikations- und Medienwissenschaft. Seine Bücher "Staat und Medien. Über die elektronische Konditionierung der Wirklichkeit" und "Die Geldfalle. Wie Medien und Banken die Anleger zu Verlierern machen" sind bei S. Fischer und im Rowohlt Verlag erschienen.
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