Chaos zur besten Sendezeit

Polens öffentlich-rechtlicher Fernsehsender hat nun zwei Intendanten, nachdem der abgesetzte Rechtsradikale Farfal seine Absetzung als illegal bezeichnet

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Einen besonders guten Ruf genoss das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Polen noch nie. Vor der Wende galt TVP, neben der Zeitung Trybuna Ludu, als das Zentralorgan des kommunistischen Regimes. Nach 1989 besetzte jede Regierung, egal ob links oder konservativ, die Führungspositionen mit ihren eigenen Leuten, die im Sender auf die Interessen der jeweiligen Koalition achtete. Doch so ein beschämendes Chaos wie momentan, herrschte in der öffentlich-rechtlichen Anstalt noch nie. Seit Dezember war ein ehemaliger Neo-Nazi Intendant von TVP. Und seit Freitag hat TVP neben dem rechtsradikalen Piotr Farfal mit Slawomir Siwek einen weiteren Intentanden. Wer es rechtens ist, muss demnächst ein Gericht entscheiden.

„Teraz kurwa my“, was so viel bedeutet wie „Verdammt, jetzt sind wir dran“, ist in Polen auch kurz als das TKM-Prinzip bekannt. Ein Prinzip, das zu einem festen Bestandteil der polnischen Politik nach 1989 wurde. Jeder Regierungswechsel bedeutete in den letzten 20 Jahren auch eine personelle Fluktuation in den staatlichen Organisationen, Institutionen und Unternehmen, wie beispielsweise dem weltweit agierenden Kupfer- und Silberkonzern KGHM.

Besonders bemerkbar machten sich die Regierungswechsel aber in der Führungsetage des öffentlich-rechtlich Fernsehens TVP. Spätestens alle vier Jahre, wenn nicht vorgezogene Parlamentswahlen für Veränderungen auf der Regierungsbank sorgten, erhielt das Staatsfernsehen eine neue Führungsriege, die in erster Linie die Interessen der jeweiligen Regierungskoalition vertrat. Eine Praxis, die vor allem die Regierung von Jaroslaw Kaczynski, die sich von der Presse immer diffamiert fühlte, perfektionierte (Lieb mich oder geh). In den zwei Jahren ihrer Amtszeit, von 2005 bis 2007, gab es so tiefgehende personelle Veränderungen in den öffentlich-rechtlichen Medien, wie zuletzt nach der Wende 1989, und die sie auch für die nächsten Jahre zu zementieren versuchte. Kaczynski und seine Koalitionspartner, die rechtsklerikale Liga Polnischer Familien (LPR) und die populistische Bauernpartei Samoobrona, verabschiedeten ein Mediengesetz, das der jetzigen Regierung unmöglich macht, Einfluss auf die Personalpolitik von TVP zu nehmen.

Doch Ex-Premier Kaczynski und seine nationalkonservative PiS dürften seit Dezember ihre Medienpolitik bedauert haben. Denn ausgerechnet das Gesetz, welches ihre nationalkonservative Vorherrschaft auch nach einem Regierungswechsel in den öffentlich-rechtlichen Medien garantieren sollte, wurde der PiS zum Verhängnis und machte stattdessen ihre braunen Partner, die Kaczynski während seiner Regierungszeit erst hoffähig machte (Das braune Erbe der Kaczynskis), zu der treibenden Kraft bei TVP.

Kurz vorm Jahresende wagten die ehemaligen Koalitionspartner von Jaroslaw Kaczynski, die seit der Link auf www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26473/1.html nicht mehr im Sejm vertreten sind, dafür aber im Aufsichtsrat von TVP, den Aufstand gegen ihren einstigen Verbündeten. Durch Mauscheleien und überraschende Pakte und begünstigt durch die innerparteiliche Kritik an Andrzej Urbanski, dem die PiS vorwarf, zu viele liberale Journalisten bei TVP zu beschäftigen, bekamen die LPR und die Samoobrona die nötige Mehrheit, um den Kaczynski-Mann von der Spitze des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu verdrängen.

Rechte Parteien machen ehemaligen Neonazi zum Intendanten

Es war eine Absetzung, die in Polen wahrscheinlich sehr große Zustimmung gefunden hätte, wenn man nicht ausgerechnet den 31-jährigen Piotr Farfal zum kommissarischen Intendanten von TVP gemacht hätte. Bereits im Sommer 2006 fand die Gazeta Wyborcza heraus, wenige Wochen nach Farfals Ernennung zum stellvertretenden Intendanten von TVP, dass der aus dem niederschlesischen Glogau stammende Jurist, der politisch der rechtsklerikalen LPR nahe steht, in seiner Jugend ein Neo-Nazi war. „Wir tolerieren keine Feiglinge, Denunzianten und Juden“, schrieb Farfal bereits mit 17 in dem von ihm herausgegeben Heftchen Front, das sich bei Glogauer Rechtsradikalen großer Beleibtheit erfreute. Später, als Jurastudent in Stettin, war Farfal Mitglied der rechtsradikalen Partei Nationale Wiedergeburt Polens und schrieb für deren Monatsheft Szczerbiec.

Diese Vergangenheit hatte in Polen schon 2006 für große Empörung gesorgt, der aber die damalige Regierung mit dem Argument der „Jugendsünde“ trotzte. Als Farfal aber zum TV-Intendanten aufstieg, kannte die Wut über dessen Karriere in vielen Kreisen der Gesellschaft keine Grenzen mehr. Die 1999 gegründete Organisation Otwarta Rzeczpospolita (Offene Republik), die sich die Bekämpfung von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zur Aufgabe gemacht hat, forderte in einem offenen Brief an die polnische Regierung, den Sejm sowie den Senat, die Absetzung des ehemaligen Neo-Nazi.

Noch entrüsteter als die gesellschaftliche Organisation Otwarta Rzeczpospolita, zeigten sich die meisten polnischen Künstler. Der in Polen Kultstatus besitzende Musiker Kazik Staszeweski sagte Mitte April seine Auftritte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ab und rief die Bevölkerung dazu auf, aus Protest gegen die TVP-Führung die Rundfunkgebühren nicht zu zahlen. Ähnlich reagierte auch Wilhelm Sasnal. Polens bekanntester Maler der jüngeren Generation verweigerte aus Protest die Annahme der von TVP gestifteten Kulturgarantie, einen der renommiertesten Kulturpreise östlich der Oder. „Es war eine staatsbürgerliche Geste“, begründete der Künstler tags darauf in der Gazeta Wyborcza.

Doch für das meiste Aufsehen sorgte Krzysztof Krauze. Für den 3. Mai, den polnischen Nationalfeiertag, rief der Regisseur zum Boykott des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf und fand unter seinen Kollegen sehr viele Unterstützer. Der mit einem Oscar ausgezeichnete Andrzej Wajda und die Regisseurin Agnieszka Holland gehören nur zu den im Ausland prominentesten Unterzeichnern dieses Protests , ebenso wie der letzte noch lebende Anführer des Warschauer Ghettoaufstands, Marek Edelman. Der Boykottaufruf fand jedoch in der Bevölkerung nicht viel Gehör. Dabei hätten die Polen gut getan, wenn sie am 3. Mai ein Signal gesetzt hätten. Wegen Farfals politischer Gesinnung setzte der deutsch-französische Sender ARTE bereits Anfang März die Zusammenarbeit mit TVP aus.

„Politkommissar“ für die Nachrichtenredaktion

Piotr Farfal kann die Kritik und die Proteste nicht verstehen kann. In einem Interview für die Tageszeitung Dziennik warf der kommissarische TVP-Intendant Krzysztof Krauze vor, nur aus Eigeninteresse den Boykottaufruf initiiert zu haben. „Als ich Krauze zufällig kennen lernte, noch bevor ich Intendant wurde, ist er mir fast um den Hals gefallen, nachdem ich ihm als Mitglied des TVP-Vorstands vorgestellt wurde“, behauptete Farfal und warf auch der Presse vor, egal ob links, liberal oder konservativ, nur aus eigenen politischen und wirtschaftlichen Gründen Kritik an seiner Person zu üben. Im Gegenzug stellte sich Farfal als einen aufrechten Demokraten konservativer Prägung dar, den einzig und allein das Wohl der Fernsehzuschauer interessiert, weshalb er auch der erste Intendant seit Jahren sei, der das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu einem pluralistischen Medium gemacht habe.

Das Selbstlob hat jedoch nichts mit der Realität bei TVP zu tun. Gleich in den ersten Wochen seiner Amtszeit besetzte Farfal alle Schlüsselpositionen im polnischen Staatsfernsehen mit Politikern der Liga Polnischer Familien und Funktionären der ihr nahe stehenden, rechtsradikalen Allpolnischen Jugend. Eine „Farfalisierung“, wie die polnische Öffentlichkeit die Umstrukturierungen bei TVP nennt, die sich seitdem auch im Programm bemerkbar macht. Aus einer schon vereinbarten Filmproduktion über das Leben der 2008 verstorbenen Irena Sendler, die während des Krieges 2.500 jüdische Kinder aus dem Warschauer Ghetto rettete, stieg die Anstalt überraschend aus. Angeblich überstiegen die 4.3 Millionen Zloty, ca. 1 Million Euro, die finanziellen Möglichkeiten des Senders. Doch stattdessen planten die Verantwortlichen von TVP eine Fernsehserie über Roman Dmowski, einem einflussreichen Nationalisten der Zwischenkriegszeit und heutigem Helden der Allpolnischen Jugend. Erst nach Protesten rückte TVP von dem Vorhaben ab, zumindest vorerst.

Besonders auffallend sind die personellen Veränderungen jedoch im Nachrichtenprogramm von TVP. Wie schon die Regierung von Jaroslaw Kaczynski, setzte auch der neue TVP-Direktor einen „Politkommissar“ in der Nachrichtenredaktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ein, dessen Arbeit vor allem während des Europawahlkampfs unübersehbar war. Als einziger Sender berichtete TVP ausführlich über den polnischen Ableger der europafeindlichen Libertas und erweckte dabei den Eindruck, als ob es sich bei den Kritikern des Vertrags von Lissabon um die zweitwichtigste politische Kraft im Lande handeln würde. Die Berichterstattung kostete kritischen Journalisten, wie der bekannten Hanna Lis, den Job und war für viele Beobachter der endgültige Beweis dafür, dass Piotr Farfal nur eine Marionette von Roman Giertych sei, dem ehemaligen Vorsitzenden der LPR, der noch heute die Strippen im Hintergrund zieht. Und Freude dürfte Giertych an solch einer journalistischen Arbeit tatsächlich gehabt haben. Unter der Flagge der polnischen Libertas traten vorwiegend LPR-Politiker bei den Europawahlen an. Jedoch ohne Erfolg. Gerade mal ein Prozent der Stimmen erhielt die Libertas bei den Wahlen am 7. Juni, trotz der Unterstützung von TVP.

Neues Mediengesetz ist gescheitert

Die einzige Möglichkeit, um die Intendantur von Piotr Farfal zu beenden, ist ein neues Mediengesetz, auch wenn es in den letzten Monaten im Aufsichtsrat von TVP immer wieder erfolglose Versuche gab, Farfal abzusetzen. Und solch ein Gesetz hat die Regierung von Donald Tusk auch erarbeitet. Dieses sieht neben der Umstrukturierung der Aufsichtsräte auch die Abschaffung der Rundfunkgebühren vor und stattdessen die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien aus dem Staatshaushalt. Das Projekt stieß von Anfang an zu Recht auf sehr viel Kritik sowohl in der Politik als auch in der Öffentlichkeit, da man dadurch auch zukünftig die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten gefährdet.

Doch durch einen Kompromiss, den die Regierungskoalition aus PO und PSL mit der linken SLD schloss, hätte das neue Mediengesetz trotz aller Kritik und eines Vetos des Präsidenten in Kraft treten können, wenn Premierminister Tusk aufgrund der leeren Staatskassen es sich nicht anders überlegt hätte. Da die PSL und die SLD auf ein Mindestbudget bestanden, einigten sich die drei Parteien auf eine Finanzierung von mindestens 880 Millionen Zloty jährlich, ca. 220 Millionen Euro. Da sich aber die Wirtschaftskrise auch im polnischen Staatshaushalt bemerkbar macht, appellierte Tusk in letzter Minute an die Abgeordneten seiner PO, bei der Abstimmung am 24. Juni gegen das Mindestbudget zu stimmen. Ein vom Senat gemachter Vorschlag, den die SLD nicht ohne Grund als Wortbruch verstand und das neue Mediengesetz zum Scheitern brachte.

Damit schuf die Politik ein Vakuum in den Strukturen von TVP, welches das Staatsfernsehen am vergangenen Freitag in das endgültige Chaos stürzte. An diesem Tag tagte unter der Leitung des Schatzministers Aleksander Grad zum letzten Mal in seiner bisherigen Zusammensetzung der Aufsichtsrat von TVP. Bei dieser Sitzung erneuerten die einstigen Koalitionäre Recht und Gerechtigkeit und Samoobrona überraschend ihren Pakt und setzten Piotr Farfal ab. Als seinen Nachfolger berief der Aufsichtsrat den Kaczynski-Mann Slawomir Siwek.

Doch sowohl Piotr Farfal als auch Schatzminister Aleksander Grad, der um jeden Preis die Rückkehr eines PiS-Politikers auf den Sessel des TVP-Intendanten verhindern möchte, bezeichneten die Absetzung als illegal, da diese nach dem offiziellen Ende der Aufsichtsratssitzung beschlossen wurde. Seit Freitag letzter Woche erheben sowohl Siwek als auch Farfal Anspruch auf das Amt des Intendanten. Nun soll nach dem Willen der Regierung ein Kurator die Leitung von TVP übernehmen, mindestens solange, bis das Gericht endgültig entschieden hat, ob die Absetzung Farfals rechtens war.