China: Versöhnliche Worte aus Taiwan
Ehemaliger Präsident Taiwans wirbt für Frieden und beschwört gemeinsame Zukunft Chinas.
Es ist ein ungewöhnlicher Besucher, der da am Dienstag im chinesischen Nanjing (Nanking) im Mausoleum des Gründers der chinesischen Republik einen Kranz ablegte und Sun Yat-sen – in Deutschland eher als Sun Jatsen bekannt – seinen Respekt zollte.
Mit Ma Jing-jeou besuchte erstmalig seit dem Ende des Bürgerkrieges vor mehr als 70 Jahren ein ehemaliger Präsident der Republik China die chinesische Volksrepublik, wie die in Hongkong erscheinende South China Morning Post berichtet.
Wer welches China vertritt
Ma war für die Guomindang (Kuomintang, KMT, Nationalistische Partei) von 2008 bis 2016 Präsident von Taiwan, dessen offizieller Name "Republik China" ist, was auf die Geschichte der Insel verweist. 1895 im chinesisch-japanischen Krieg von Japan erobert, war sie nach Tokios Kapitulation 1945 an China zurückgegeben worden.
Zuvor hatten die Armeen der Kommunistischen Partei und der Guomindang im Zweiten Weltkrieg gemeinsam gegen die japanischen Invasoren gekämpft, doch 1946 flammte der Bürgerkrieg zwischen ihnen wieder auf.
Die KMT unter Chiang Kaischeck (Tschiang Kaischek) zog sich schließlich 1949 nach Taiwan zurück. Noch bis 1971 wurde ihre dortige Militär-Regierung von den meisten Staaten als die legitime Vertreterin Chinas angesehen und hatte dessen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat inne, der für die wichtigsten Sieger des Zweiten Weltkrieges bei Gründung der Vereinten Nationen eingerichtet worden war.
In den 1980er-Jahren stürzten dann Arbeiter- und Studentenunruhen die jahrzehntelange diktatorische Herrschaft der KMT auf der Insel, die seitdem eine parlamentarische Demokratie hat.
Argwohn von der Demokratischen Volkspartei
Derweil spricht die Hongkonger Zeitung von einer "historischen Reise" Mas und zitiert ihn mit den Worten, er und seine Partei würden im Geiste des auch in der Volksrepublik verehrten Republikgründers Sun Yat-sen hart daran arbeiten, "den Frieden zu suchen, Krieg zu vermeiden und die Revitalisierung Chinas zu erreichen". Und weiter: "Dies ist eine gemeinsame Verantwortung der Menschen beiderseits der Straße von Taiwan."
Mas Besuch, der noch bis nächste Woche dauern soll, wird von der Regierung in Taipeh argwöhnisch beobachtet. Auf der Insel hat derzeit die der vollen Unabhängigkeit zuneigende Demokratische Volkspartei das Sagen, die Ma einerseits im Verdacht hat, sich zum Instrument Beijings machen zu lassen, andererseits aber kritisiert, dass das offizielle Protokoll ihn ohne roten Teppich und ähnlichem nicht respektvoll genug als ehemaligen Präsidenten behandelt.
Dem Bericht der South China Morning Post zufolge benutzte Ma in einer öffentlichen Rede in Nanjing den offiziellen Titel seines Landes Republik China und verwies darauf, dass diese seit 112 Jahren bestehe. Damit bekräftigte er die alte, in Taipeh heutigen Tags selten vertretene Lesart, wonach die dortige Regierung die Fortsetzung der 1911 gegründeten Republik darstelle.
Das mag aus europäischer Sicht anmaßend und als Provokation gegenüber den Gastgebern erscheinen. Doch diese haben längst keine Angst mehr vor diesen alten Ansprüchen der KMT, die demnächst die 23,5-Millionen-Einwohner-Insel wieder regieren könnte.
Die Haltung der Kuomintang
Vielmehr ist die gewählte Formel für Beijing eine Vergewisserung, dass die KMT-Führung nichts von einer Unabhängigkeitserklärung hält. Gleichzeitig signalisiert Mas Wortwahl dem heimischen Publikum auf Taiwan, dass die KMT auch nicht an Unterwerfung denkt, sondern die Interessen der Insel – und die eigenen, denn der Partei wird nachgesagt, die weltweit reichste Organisation ihrer Art zu sein – nicht vergisst.