China auf Schrumpfkurs: Warum die Geburtenrate des einst größten Lands immer schneller sinkt
Menschenmenge vor dem Himmelstempel in Beijing. Bild: Shreyans Bhansali / CC BY-NC-SA 2.0 Deed
Indien hat China überholt. Nur noch acht Millionen Geburten gab es im letzten Jahr im Land der Mitte. Warum das für die Wirtschaft nicht wirklich ein Problem ist.
Die Zahl der chinesischen Bürgerinnen und Bürgere ist im vergangenen Jahr um rund zwei Millionen Menschen zurückgegangen, wie unter anderem die in Hongkong erscheinende Tageszeitung South China Morning Post [1] meldet.
Mehr Sterbefälle als Geburten
Die Zahlen stammen vom nationalen Büro für Statistik, wo man nur die Chinesinnen und Chinesen zählt. Die im Lande lebende Ausländer werden nicht in die Bevölkerungsstatistik einbezogen, aber ihre Zahl ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ohnehin nur sehr gering.
Letzteres nur am Rande. China beginnt offensichtlich zu schrumpfen. Im Vorjahr, 2022, hatte es in der Volksrepublik erstmals seit 61 Jahren mehr Sterbefälle als Geburten gegeben, wie wir auch auf Telepolis berichtet hatten [2].
Rund 800.000 Bürgerinnen und Bürger weniger als noch ein Jahr zuvor wurden Ende Dezember 2022 gezählt, und ein Jahr später betrug das Minus nun bereits zwei Millionen.
"Nur" noch 1,4 Milliarden
Damit beträgt Chinas Bevölkerung „nur“ noch knapp über 1,4 Milliarden Menschen. Entsprechend wurde das Land im April letzten Jahres von Indien überholt, das nunmehr der bevölkerungsreichste Staat der Erde ist.
Neun Millionen Geburten hatte es 2023 in China gegeben. Das ist die niedrigste Zahl seit 1949, als nach der Gründung der Volksrepublik erstmalig entsprechende Daten erhoben wurden. Der Rückgang hat vor sieben Jahren eingesetzt und ist durchaus drastisch. 2016 hatte es noch 17,86 Millionen Geburten gegeben.
Zwischenzeitlich waren alle Beschränkungen der Familiengrößen aufgehoben und sogar einige materielle Anreize für junge Familien geschaffen worden. Doch bisher zeigen diese keinen Erfolg. Die Maßnahmen sind nicht einmal als Verlangsamung im Abwärtstrend auszumachen.
Lange Arbeitszeiten und Geldsorgen
Interviews mit jungen Städtern, die die Zeitung in Videos veröffentlicht, zeigen, dass zumindest ein Teil der Gründe für die Geburten-Abstinenz universell sind. Für Kinder ist in modernen Gesellschaften wenig Platz, lange Arbeitszeiten und Geldsorgen halten jungen Erwachsene davon ab, Familien zu gründen.
Und was bedeutet das alles für Chinas künftige Entwicklung? Der erste Blick geht natürlich auf den Umfang der sogenannten aktiven Bevölkerung, das heißt, die Menschen im erwerbstätigen Alter.
Die Daten [3] der UNO unterscheiden zwischen vier Altersgruppen, wobei die der 25- bis 64-Jährigen in China in etwa mit der Erwerbsbevölkerung gleichgesetzt werden kann. Über die Hälfte eines Jahrgangs hat dort, wie berichtet [4], inzwischen zumindest einen Bachelor-Abschluss und das durchschnittliche Alter der Absolventen liegt bei 23,7 Jahren [5].
Wenn die Boomer in Rente gehen
Besagte Altersgruppe bewegt sich nach den UN-Daten und -Projektionen derzeit auf einem hohen Plateau, ihrem Allzeit-Höhepunkt, und wird irgendwann in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts rasch kleiner werden. Das liegt daran, dass die bisher geburtenstärksten Jahrgänge der Jahre 1963 bis 1972 beginnen, in Rente zu gehen.
Seinerzeit wurden pro Jahr jeweils mehr als 25 Millionen Menschen geboren, heute ist es nicht einmal mehr die Hälfte. Hierzulande gibt es übrigens ein sehr ähnliches Zahlenverhältnis zwischen den Boomer-Jahrgängen und den aktuellen Geburten.
Die Bildungsoffensive
Eine andere Frage ist allerdings, ob für China damit auch ein Arbeitskräftemangel entsteht. Angesichts der großen Bedeutung, die im Land der Mitte der technologischen Entwicklung und der Robotik beigemessen wird, muss das nicht unbedingt sein.
Eine vor einigen Jahren unter anderem mit der Gründung zahlreicher neuer Universitäten gestartete Bildungsoffensive [6] sorgt dafür, dass China schon bald die vermutlich am besten ausgebildete Erwerbsbevölkerung haben wird. Billiglohnland war gestern.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.scmp.com/economy/economic-indicators/article/3248695/chinas-population-falls-208-million-14097-billion-2023-births-tumble-adding-demographic-concerns
[2] https://www.telepolis.de/features/China-droht-zu-ueberaltern-9200364.html
[3] https://population.un.org/wpp/Graphs/DemographicProfiles/Line/156
[4] https://www.telepolis.de/features/China-Auf-dem-Weg-zur-technologischen-Grossmacht-9545339.html
[5] https://asiatimes.com/2023/11/a-brighter-demographic-story-for-china/
[6] https://www.telepolis.de/features/China-Auf-dem-Weg-zur-technologischen-Grossmacht-9545339.html
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