China und die Angst vor der harten Landung
Der Wachstumsmotor im Reich der Mitte, der zugleich das Zugpferd der Weltwirtschaft ist, stottert; die Marktliberalisierer rufen nach dem Staat, um die Überhitzung zu stoppen
Ohne China läuft nichts mehr in der globalen Wirtschaft. Doch die Jagd nach dem großen Reibach im Massenmarkt des Reichs der Mitte und die Hoffnung auf den großen Boom hat die chinesische Ökonomie und die Politik in Bedrängnis gebracht. Wie beim Internet-Hype droht die Blase zu platzen, was die Weltwirtschaft aber vermutlich deutlich schlechter wegstecken würde als das Sterben einiger Dotcoms. Just die noch verbliebenen Reste der Planwirtschaft Pekings sollen nun den globalen Kapitalismus retten.
China zieht ausländische Unternehmen nach wie vor an wie der Kot die Fliegen. Für BASF-Chef Jürgen Hambrecht ist es beispielsweise keine Frage mehr, "dass China der Wachstumsmotor der Weltwirtschaft ist". Die Verlagerung von Produktionsstätten und Arbeitsplätzen ins Reich der Mitte folgt dem Vorstandsvorsitzenden des Chemie-Riesen gemäß alten kapitalistischen Grundsätzen: "Der Wettbewerb führt dorthin, wo die günstigsten ökonomischen Rahmenbedingungen bestehen." Und in China produziert es sich nicht gut und billig, sondern das Land hat laut Hambrecht auch die Chance, "die größte Economy of Scale weltweit aufzubauen."
Noch stehen zwar den rund 76 Millionen Chinesen, die im Jahr 10.000 US-Dollar für den Konsum zur Verfügung haben, 236 Millionen gleich ausgestattete US-Amerikaner und etwa 70 Millionen Deutsche gegenüber. Doch 2015 soll es seinen Rechnungen nach schon gut 700 Millionen kleine gelbhäutige Konsumtiger geben - während im Westen nur noch die USA recht gemächlich ein wenig zulegen.
China wird enorm wachsen, es wird einen enormen Hunger haben.
Jürgen Hambrecht
China ist theoretisch der Traummarkt. Zumal, wenn man bedenkt, dass die Lohnkostenunterschiede zu Deutschland 18 Euro pro Stunde betragen - und sich dieses Delta bis 2015 vermutlich auch kaum schließt. Schnell aufgezählt hat daher auch Siemens-Chef Heinrich von Pierer die drei Gründe, die Konzerne und auch immer mehr mittelständische Firmen ins Reich der Mitte pilgern lassen: Es gelte, "nahe am Kunden zu sein". Dann gebe es natürlich die klaren Kostengründe: "Sechs Ingenieure in China kosten so viel wie einer hier", weiß der Konzernführer. Und sie arbeiten deutlich länger.
Schließlich spricht laut von Pierer die "Kreativität der chinesischen Ingenieure und ihr Wissen" gerade bei Technikfirmen für China. Jedes Jahr würden die rund 1.500 chinesischen Hochschulen etwa 360.000 Ingenieure ausspucken - und dass sie weniger qualifiziert seien wie die hiesige Zunft, sei doch sehr zu bezweifeln. Ein Mythos sei es auch, stellte der Siemens-Chef klar, dass man nur Kohle nach China trage, aber keines mit nach Hause nehme: "Wir verdienen Geld in China."
Mit einer weiteren Fehleinschätzung räumt Thomas Eichelmann von Roland und Berger auf. Laut einer eigenen Umfrage seines Hauses bei rund 100 deutschen Unternehmen würden diese mehrheitlich die Fertigungsqualität der in China produzierten Waren als "sehr hoch" einschätzen. Auch bei einer EU-Studie habe sich die Mehrzahl der Befragten "positiv überrascht von der Qualität des Off-Shoring" gezeigt, betont der Berater. Risiken beim Markteintritt wollte er aber nicht verschweigen, darunter ganz weit vorn: Pekings Ein-Kind-Politik: "Quasi eine ganze Generation geht verloren", gibt Eichelmann den China-Enthusiasten mit auf den Weg. Paradoxerweise steht auf seiner Risikoliste neben der Umweltverschmutzung und den heterogenen chinesischen Binnenmärkten aber gleichzeitig auch der Stichpunkt "Bevölkerungsgröße".
Unentrinnbare Sogwirkung
Bundeswirtschaftminister Wolfgang Clement sieht China bis 2010 zumindest nach den USA als zweitstärksten, wenn nicht sogar als wichtigsten Handelspartner Deutschlands außerhalb der EU. Allein die Zunahme der deutschen Ausfuhren nach China betrage jährlich 25 Prozent, um 20 Prozent wachse das deutsch-chinesische Handelsvolumen. 2010 könne es so rund 100 Milliarden Euro erreichen. Es geht also selbst für Größen wie die Deutsche Bank nicht um Peanuts. Generell entfalte der chinesische Markt eine "Sogwirkung, dem sich kein international ausgerichtetes Unternehmen entziehen kann." Sein Haus sei daher entschlossen, "die nach China aufbrechenden Firmen zu unterstützen und ihren Markteintritt zu flankieren" - genau so, wie es auch von Pierer anmahnt.
Ermutigend ist es für den Wirtschaftsminister da schon, erzählte er auf dem China-Kongress der WirtschaftsWoche und des Euroforums am Mittwoch in Berlin, wenn er vor Peking im Stau stehe "und nur Volkswagen um mich herum sehe". Doch vielleicht ist VW gar nicht das beste Beispiel: Die Wolfsburger haben zwar mit ihrem Joint-Venture Partner SAIC und dem Santana tatsächlich den ersten Volkswagen Chinas unter die Leute gebracht. Doch inzwischen ist der Marktanteil des Unternehmens von satten 50 auf schlappe 18 Prozent gefallen. Der Autobauer hat sich daher eine radikale Umstrukturierung verordnet, setzt jetzt stärker auf den Privatkundenmarkt und will in den kommenden zwei Jahren etwa 570 Millionen Euro einsparen - Wachstumsmarkt hin oder her.
"Wir haben einige Probleme"
Fast nur rosige Aussichten also fürs Chinageschäft? Nicht ganz. Seit einem guten halben Jahr geht die Angst vor der "harten Landung" der Wirtschaft im Reich der Mitte - und gleichzeitig auch der Weltwirtschaft - um, vom globalen Crash ist die Rede. Cheng Lu, stellvertretender Präsident der Pekinger All-China Federation of Industry and Commerce (ACFIC), konnte in Berlin denn auch nicht den Sand im Getriebe verheimlichen: "Wir haben einige Probleme", gab der Vizechef des Pendants zu den hiesigen Industrie- und Handelskammern zu:
"Das Investitionsvolumen ist zu groß, wir haben Inflation. Alle reden über die wirtschaftliche Überhitzung.
Bildlich führte Cheng aus: "Stahl und Eisen, Kohle, Strom und Öl haben hohes Fieber." Tatsächlich hat der große Hunger Chinas im vergangenen Jahr die Preise etwa für die Rohstoffe der Stahlverarbeitung enorm nach oben getrieben. Zudem kommt es in vielen Städten immer wieder zu Stromausfällen, denn die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem.
Doch "die Regierung hat rechtzeitig Maßnahmen ergriffen", erklärte Cheng mit chinesischer Bestimmtheit, "und wirkungsvoll den Trend gestoppt". Als Beispiele für die begrüßenswerten "makroökonomischen Maßnahmen" nennt der ACFIC-Abgesandte die begonnene Umleitung von Investitionen in die noch unterentwickelten ländlichen Gebiete und den Dienstleistungssektor sowie die Reform des Bankenwesens mit strengeren Regeln zur Kreditvergabe. Gleichzeitig forderte Cheng aber, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, eine stärkere Liberalisierung im mikroökonomischen Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen. "Wir müssen die Regierung reformieren", gab er als Parole aus. "Sie hat den Marktbedingungen zu dienen." Investitionen sollten künftig "stärker durch die Gesellschaft überwacht werden." Insgesamt geht er aber davon aus, dass "die Inflationsfaktoren im vierten Quartal verschwinden". Auch dem Himmel sei Dank: "Wir hatten in diesem Sommer die beste Jahresernte seit 1997", freute sich Cheng. "Wir sind gelassen, denn wir haben das Getreide in der Hand."
Es kann nicht sein, was nicht sein darf
Ohne den Segen von oben zu thematisieren, machen sich derweil auch die Konzernbosse Mut. "Es kann keine harte Landung geben", erklärte Hambrecht. China habe seine eigene Agenda und die bestehe vor allem in der Stabilität für das gesamte Land. Mit diesen Worten stimmte der deutsche Marktbefürworter plötzlich einen Lobgesang auf die in China doch so enorm wichtigen zentralen staatlichen Steuerungselemente an und wandte sich gegen die in den letzten Jahren doch etwas zu schnell vorangeschrittene Liberalisierung. So pries er die Pekinger "State Development and Reform Commission", die über Investitionen im Milliarden-Dollarbereich entscheide. Leider sei hier die Planung in jüngster Zeit immer mehr hin zu regionalen Ebenen delegiert worden. Dabei sei die Kommission doch eine "sehr erfolgreiche Einrichtung", da sie Überkapazitäten verhindere und dabei "in der Aufbauphase" wichtige Dienste leiste.
Noch ist trotz des guten Zuredens der Firmenleiter längst nicht klar, ob China die Gratwanderung zwischen dem hohen Wirtschaftswachstum von gut sieben Prozent, das zur weiteren Erschließung des Entwicklungslands nötig ist, und der Überhitzung hinbekommt. Doch Konfuzius kann helfen, den Wirtschaftsminister Clement zum Ende seines Vortrags zitierte:
Die Zukunft gehört denen, die an die Schönheit ihrer Träume glauben.
Gute Worte hatten auch die großen Off-Shorer auf Lager: So trat Hambrecht der gerade hierzulande verbreiteten Sorge, dass China der große Jobkiller in Europa sei, entschieden entgegen. "China wird vor allem Produktionsplattform für China, nicht für die Welt", suchte der BASF-Chef zu beruhigen. Und von Pierer gab die "Faustregel" aus, dass "vier Arbeitsplätze im Ausland einen Arbeitsplatz in Deutschland sichern". An ihrer Globalisierungsagenda wollen die Konzerne eben nicht rütteln lassen - und China spielt längst die Hauptrolle in ihrem Projekt. Schiefgehen darf daher einfach nichts.
Stefan Krempl gibt regelmäßig einen pointierten Nachrichtenüberblick über die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Veränderungen im Reich der Mitte in seinem Weblog China in the News.