Chinas Agrarlüge: Warum die Selbstversorgung scheitern muss

Uwe Kerkow
Luftbild kleinteiliger Felder

Gemüseanbau bei Kunming, China. Bild: Captain Wang/ Shutterstock.com

China produziert Rekordmengen an Getreide. Die Regierung verspricht dem Volk Ernährungssicherheit durch Selbstversorgung. Doch Experten sehen eine tickende Zeitbombe.

Als weltweit größter Agrarproduzent und -importeur spielt China eine zentrale Rolle auf den globalen Getreidemärkten. Dieses Jahr sieht sich das Land möglicherweise einer Lücke zwischen einheimischer Produktion und Bedarf von etwa 130 Millionen Tonnen Getreide und Sojabohnen gegenüber.

Deshalb überwacht Peking die langfristige Stabilität seiner Nahrungsmittelversorgung weiterhin sehr genau.

Denn die Landwirtschaft Chinas befindet sich in einem entscheidenden Wandel von einem "großen Land mit kleinen Bauern" zu einer "großen und starken Agrarnation". Das hilft zwar, die Produktion anzukurbeln und die Abhängigkeit von externen Quellen zu verringern.

Entscheidender Wandel

Doch angesichts eines zunehmend fragilen geopolitischen Klimas wächst die Dringlichkeit, die zuverlässige und nachhaltige Nahrungsmittelversorgung der mehr als 1,4 Milliarden Menschen Chinas zu sichern.

Zwar stieg die inländische Getreideproduktion von 2003 bis 2013 von 430 Millionen Tonnen auf über 600 Millionen Tonnen. Im Jahr 2024 erreichte Chinas Getreideproduktion ein Rekordhoch von 706,5 Millionen Tonnen. Bis 2030 sollen noch einmal um 50 Millionen Tonnen jährlich hinzukommen.

Doch nicht nur geopolitische und geoökonomische Spannungen, sondern auch der Klimawandel, Handelsunterbrechungen und ein instabiler internationaler Lebensmittelmarkt machen eine resiliente Lebensmittelversorgung wichtiger denn je.

Die Lebensmittel des chinesischen Volkes müssen von Chinesen hergestellt werden und in ihren Händen bleiben.

Xi Jinping, chinesischer Präsident

Wie die Asia Times berichtet, liegt der Schwerpunkt auf der Ausweitung der Produktion von Sojabohnen und Ölsaaten (wie Raps und Erdnüsse), wobei gezielte Subventionen genutzt werden. So zielen etwa Pilotkreditprogramme darauf ab, Anreize für die Getreide- und Ölsaatproduktion zu schaffen.

Um die Landwirte vor Weltmarktturbulenzen zu schützen, plant die Zentralregierung außerdem die Einführung eines marktpolitischen Instrumentariums, das Mindestabnahmesätze für Reis und Weizen mit Marktstützungskäufen in verschiedenen Provinzen (u.a. Henan, Jiangsu, Heilongjiang und Anhui) sowie die Ausweitung der Getreidelagerung in wichtigen Provinzen vorsieht.

Demografischer und ökologischer Druck

Doch es gibt weitere Herausforderungen: Demografischer und ökologischer Druck erschwert die Steigerung der Getreideproduktion. Die große Mehrheit (90 Prozent) der Arbeitskräfte sind Kleinbauern, die mehr als 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Chinas bewirtschaften. Diese verstreuten Familienbetriebe stehen vor erheblichen Modernisierungsherausforderungen.

Finanzielle Hindernisse verschärfen die Lage: Viele Kleinbauern verfügen nur über einen begrenzten Zugang zu Krediten. Etwa ein Viertel von ihnen ist nicht in der Lage, die Finanzierungslücken vollständig zu schließen.

Gleichzeitig kämpft China mit sinkenden Geburtenraten und einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung. Das Durchschnittsalter der Landarbeiter liegt laut Asia Times mittlerweile bei 53 Jahren, wobei mehr als ein Viertel 60 Jahre oder älter ist. Das stellt ein erhebliches Hindernis für die landwirtschaftliche Produktivität dar.

Düstere Prognosen

Die Prognosen sind düster. Bis 2050 könnte der Anteil der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in China auf etwa drei Prozent sinken und die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte auf unter 31 Millionen Menschen. Das ist für sich betrachtet kein Problem. In Deutschland arbeiten zum Beispiel nur zwei Prozent der Erwerbsbevölkerung in der Landwirtschaft.

Doch muss ein derartiger Arbeitskraftverlust mit erheblicher Rationalisierung und Modernisierung aufgefangen werden.

Die Herausforderungen im Bereich der Arbeitskräfte wirken sich auch auf Sektoren wie Transport und Logistik aus, die für landwirtschaftliche Lieferketten von entscheidender Bedeutung sind. Bereits heute fehlen laut Asia Times Millionen Lkw-Fahrer, da die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter abnimmt und die jüngeren bessere Jobs in den Städten suchen.

Hinzu kommt, dass der Anbau bestimmter landwirtschaftlicher Erzeugnisse in China deutlich schwieriger sein kann als in anderen Ländern. Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zeigen, dass die Mais- und Sojabohnenerträge in China etwa halb so hoch sind wie in vielen Exportländern Amerikas.

Erträge teils immer noch zu niedrig

Bei Sojabohnen beispielsweise liegt der durchschnittliche Ertrag in den USA bei 3,5 Tonnen pro Hektar, in China dagegen lediglich bei 1,9 Tonnen. Ähnlich verhält es sich bei Mais: In den USA liegt der durchschnittliche Maisertrag bei 11 bis 12 Tonnen pro Hektar, in China dagegen bei 6,4 Tonnen.

Und noch aus einem anderen Grund muss China seine Erträge weiter steigern: Die Ernährungsgewohnheiten ändern sich rasant. Die chinesische Mittelschicht wächst weiter, was den Lebensmittelbedarf des Landes bis 2050 um 16 bis 30 Prozent steigern dürfte. Die Nachfrage nach veredelten Lebensmitteln wie Rindfleisch und Milchprodukte könnte sich demnach sogar verdoppeln.

Bleibt das Land von Nahrungsmittelimporten aus westlichen Ländern abhängig, könnte das Reich der Mitte zu einem Koloss auf tönernen Füßen werden. Die aktuellen Entwicklungen auf dem internationalen Parkett geben Anlass zu der Vermutung, dass jede Schwäche Pekings unnachgiebig ausgenutzt werden dürfte.