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Chinesisch-russische Mondbasis schon in fünf Jahren?

Künstlerische Darstellung von Chang'e 5 auf der Mondoberfläche. Bild: China News Service / CC-BY-3.0

Unbemannte Mondstation ab 2035 geplant. Erdabgewandte Seite soll erforscht werden. Mission ist Antwort auf möglichen Bruch des Weltraumvertrags durch USA und Alliierte

Auf einmal soll es schnell gehen. Bisher hatte die Planung der chinesischen Weltraumagentur CNSA eine dauerhafte, wenn auch unbemannte Mondstation ab 2035 vorgesehen. Nun soll das nach der chinesischen Mondgöttin benannte Landefahrzeug Chang'e 8 schon 2027 mit dem Aufbau einer solchen Station auf dem Erdtrabanten beginnen. Das kommt einigermaßen überraschend, denn Peking ist für ein schrittweises und systematisches Vorgehen bekannt, mit dem etwaige Risiken minimiert werden.

Doch wie die South China Morning Post schreibt, erklärte Wu Yanhua, stellvertretender Direktor der CNSA kürzlich, dass die neue Aufgabe von Chang'e 8 [1] darin bestehen wird, den Grundstein für eine Forschungsstation (International Lunar Research Station, ILRS) zu legen, um "ein solides Fundament für die friedliche Nutzung der Ressourcen auf dem Mond zu schaffen."

Laut Asia Times besteht die chinesische Präsenz auf dem Erdtrabanten [2] derzeit aus zwei aktiven Komponenten: Da ist zum einen die Chang'e 4 Mondlandefähre. Sie hat unter anderem Experimente mit Seidenraupen und Kartoffeln an Bord, um den Einfluss der geringen Schwerkraft auf dem Mond auf diese Organismen zu erforschen.

Dann ist da außerdem der Yutu 2-Rover, der seit 2019 die erdabgewandte Seite des Mondes erforscht. Yutu 2 ist das erste Raumfahrzeug, das auf der "dunklen" Seite des Mondes unterwegs ist, und es kann mit der Erde nur indirekt über Satelliten in der Mondumlaufbahn kommunizieren.

Chinas Weltraumprogramm (0 Bilder) [3]

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Zu den Gründen für die plötzliche Eile Pekings bei der Mondfahrt äußerte Wu sich nicht. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass die nach der griechischen Jagdgöttin Artemis benannte Initiative der USA zur Monderforschung den Ausschlag gegeben haben dürfte.

USA wollen sich mit eigenem Mondprogramm profilieren

Diese Initiative besteht auf technischer Seite aus einem Mondlandeprogramm [5], das auch wieder Menschen auf dessen Oberfläche transportieren soll. Politisch stellt die Artemis Übereinkunft [6] vom Oktober 2020 eine Koalition der Willigen dar, die hoffen, technologisch und letztlich auch wirtschaftlich zu profitieren.

Aber in "den Tiefen der 13 Paragrafen geht es vor allem um die Nutzung und Ausnutzung des Mondes, um [US-]amerikanische Dominanz und darum, das Völkerrecht zu unterwandern [7]", stellt Spektrum der Wissenschaft klar.

Bislang bildet der Weltraumvertrag von 1967 die völkerrechtliche Grundlage für die Erkundung und Nutzung des Alls. Er legt unter anderem fest, dass der Mond keiner "nationalen Aneignung durch Beanspruchung der Hoheitsgewalt" unterworfen werden darf. Im Gegensatz dazu beabsichtigen die (bisher) sieben Artemis-Vertragsstaaten, Sicherheitszonen einzurichten, etwa rund um ihre Mondbasis oder rund um Orte, an denen sie Bergbau betreiben.

China ist von diesem "Vertrag" seitens der USA ohnehin ausgeschlossen, aber auch Russland geht der Vorstoß zu weit. Deutschland, Frankreich und Indien sind (bisher) ebenfalls nicht dabei [8]. In Moskau findet man, dass Artemis zu einseitig auf die Interessen Washingtons zugeschnitten ist.

Man möchte mehr internationale Zusammenarbeit [9] – so wie etwa bei der Internationalen Raumstation ISS. Washington und Moskau arbeiten bei der Erforschung des Alls immerhin seit 1975 zusammen [10].

China und Russland haben denn auch prompt auf Artemis reagiert und schon Anfang März 2021 einen Vorvertrag (Memorandum of Understanding) ratifiziert [11] und die Zusammenarbeit beim Aufbau der permanenten Forschungsstation auf dem Mond beschlossen. Demnach soll das Projekt "allen interessierten Nationen zugänglich gemacht werden, wie auch Partnern in der internationalen Gemeinschaft".

USA schließen China aus und sanktionieren Russland

Das russische Raketenprogramm unterliegt ebenfalls US-Sanktionen. Deshalb ist man in Moskau wohl dabei, sich umzuorientieren. Der Direktor des staatlichen russischen Raumfahrtunternehmens Roscosmos, General Dmitry Rogozin hat kürzlich öffentlich erwogen, die Zusammenarbeit mit der EU und den USA bei der ISS 2025 – nach Auslaufen des derzeitigen Vertrages – zu beenden [12], wenn die USA die Sanktionen gegen die russische Raumfahrt nicht aufheben.

Und Russland bereitet sich offensichtlich auch ganz praktisch auf die strategische Neuausrichtung seiner Raumfahrtprojekte vor: Im Sommer 2021 haben zwei Kosmonauten die Pir, ein russisches Segment der ISS während einer 6,5-stündigen Schicht im Weltall (vulgo Weltraum-"Spaziergang") abmontiert [13], damit es kontrolliert zur Erde stürzen konnte.

Kurz darauf wurde Pir durch das Forschungsmodul Nauka (russisch für Wissenschaft) ersetzt, das aber ebenfalls über eine multifunktionale Andockstation verfügt. Diese Vorarbeiten beweisen, dass die schon seit 2015 bestehenden Überlegungen Moskaus, nach der Mir wieder eine eigene Raumstation zu betreiben, [14] überaus realistisch sind. Man ist schon vor Ort, und eine Raumstation in der Erdumlaufbahn könnte für Flüge zum Mond von unschätzbarem Nutzen sein.

Der von Peking avisierte Zeitplan mag ambitioniert erscheinen und natürlich ist es nicht sicher, dass das hohe Tempo gehalten werden kann. Andererseits sollte man die chinesische Raumfahrt nicht unterschätzen: 55 der weltweit 145 Raketenstarts in 2021 gingen auf das Konto Chinas, 51 führten die USA durch [15]. In den letzten 33 Monaten bis Ende 2021 hat das staatliche chinesische Raumfahrtunternehmen CASC stolze 100 Raketenstarts [16] absolviert. Das ist alle zehn Tage einer.

Darunter waren auch viele herausragende Missionen wie der Start des Kernmoduls der Tianhe Raumstation, bemannte Shenzhou Missionen, um TaikonautInnen dorthin zu bringen, der Start des Mondrovers Chang'e-5, der Mondgestein zur Erde zurückgebracht hat [17] sowie der Mars-Satellit Tianwen-1.

Und auch für 2022 sind mehr als 40 Raketenstarts geplant. In Arbeit ist zudem eine noch leistungsfähigere Variante des Modells Langer Marsch 5 [18]. Bei den besonders schubstarken Feststoffraketen hält China mittlerweile den Weltrekord [19].

KI soll chinesische Taikonauten ersetzen

Interessant ist der Blick auf die unterschiedlichen Herangehensweisen der drei großen raumfahrenden Nationen bei der Mondforschung und -erschließung, die sich nicht nur auf die Frage der Bemannung beschränkt.

Um den aus der Artemis-Initiative erwachsenden Ansprüchen der USA etwas entgegenzusetzen, plant Peking eine große, aber mobile Mondstation. Sie soll in der Lage sein, bis zu 1.000 km weit herumzufahren, wobei künstliche Intelligenz die Kosmo- und TaikonautInnen auf absehbare Zeit ersetzen soll.

Anders als die USA plant China, der Auffindung und Erkundung von Höhlen und Hohlräumen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Diese könnten als natürliche Schutzräume für zukünftige BewohnerInnen dienen, denn anders als die Erde ist die Mondoberfläche durch kein Magnetfeld vor der Strahlung im Weltall geschützt.

Frühere Chang'e Missionen haben schon mehr als zehn Löcher identifiziert, die möglicherweise zu vulkanisch entstandenen, unterirdischen Hohlräumen führen könnten.

Um schließlich doch die Landung von Menschen vorzubereiten, plant Peking vorher ein unbemanntes Mini-Atomkraftwerk mit einer Leistung von einem Megawatt auf der Mondoberfläche abzusetzen. An diesem Projekt wird bereits gearbeitet.

Denn eine sichere Energieversorgung stellt eine wichtige Voraussetzung für längere Aufenthalte von Menschen auf dem Erdtrabanten dar. In Peking hofft man, bis 2050 eine Führungsposition bei der Erforschung und Erschließung des Mondes aufbauen zu können. Da wird Moskau mit seiner langen und erfolgreichen Weltraumtradition sicher nicht hintenan stehen wollen.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.scmp.com/news/china/science/article/3161324/china-speeds-moon-base-plan-space-race-against-us
[2] https://asiatimes.com/2022/01/china-and-russia-team-up-to-establish-joint-moon-base/
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6322860.html?back=6322584;back=6322584
[4] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6322860.html?back=6322584;back=6322584
[5] https://www.nasa.gov/specials/artemis/
[6] https://www.nasa.gov/specials/artemis-accords/img/Artemis-Accords-signed-13Oct2020.pdf
[7] https://www.spektrum.de/news/raumfahrt-wie-die-usa-das-voelkerrecht-aushebeln-koennten/1787216
[8] https://theconversation.com/artemis-accords-why-many-countries-are-refusing-to-sign-moon-exploration-agreement-148134
[9] https://theconversation.com/artemis-accords-why-many-countries-are-refusing-to-sign-moon-exploration-agreement-148134
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Apollo-Sojus-Test-Projekt
[11] https://www.globaltimes.cn/page/202103/1217875.shtml
[12] https://www.space.com/russia-threatens-leave-international-space-station-program
[13] https://www.space.com/cosmonauts-space-station-spacewalk-expedition-65-webcast
[14] https://www.space.com/28687-russia-space-station-parts-plan.html
[15] https://www.scmp.com/news/china/military/article/3162196/china-us-space-race-heats-chinese-firm-plans-over-40-launches
[16] https://www.globaltimes.cn/page/202112/1241286.shtml
[17] https://www.heise.de/hintergrund/Warum-der-Mond-spaeter-starb-als-wir-dachten-6212339.html
[18] https://www.heise.de/tp/features/Chinas-Langer-Marsch-ins-All-6213914.html
[19] https://inf.news/en/military/00d7d1019c1e8b14bc1414e8c6dafa13.html