Chinesische Hyperschall-Rakete: Herausforderung für Nato-Strategie

Lars Lange
NATO- und China-Flaggen dahinter blauer Himmel  mit weißen Federwolken

Bild: iunewind / shutterstock.com

China entwickelt eine neuartige Hyperschall-Luft-Luft-Rakete mit enormer Reichweite. Das Waffensystem könnte westliche Luftverteidigungssysteme vor Probleme stellen.

China hat offiziell die Entwicklung einer Hyperschall-Luft-Luft-Rakete bekannt gegeben. Die Entwicklung dieser Rakete stellt eine ernsthafte Herausforderung für bestehende Luftverteidigungssysteme dar und könnte die Dynamik der Luftüberlegenheit grundlegend verändern – insbesondere gegen Hightech-Flugzeuge wie den US-amerikanischen B-21 Tarnkappenbomber, der sich derzeit in der Flugerprobung befindet.

Die Existenz dieser geheimnisvollen Waffe wurde erstmals offiziell durch eine in einer chinesischen Fachzeitschrift veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit bestätigt, in der die Testverfahren detailliert beschrieben werden, wie die South China Morning Post berichtet.

Dabei könnte die chinesische Hyperschall-Rakete eine außergewöhnliche Reichweite von 800 bis 1.000 Kilometern haben, die sie deutlich von vergleichbaren Systemen abhebt, berichtet das Fachportal Army Recognition.

Anfang eines neuen Konzepts in der Luftkriegsführung

Die brasilianische Militärbeobachterin Patricia Marins bewertet diese Waffe auf ihrem X-Kanal als "den Beginn eines neuen Konzepts in der Luftkriegsführung". Die Reichweite könnte nach ihrer Einschätzung die der russischen KS-172/K-100/R-37M Raketen (200-400 km) um das Zweifache und die der westlicher Systeme sogar um das Vier- bis Fünffache übertreffen.

Hyperschall-Waffen erreichen Geschwindigkeiten über Mach 5 (etwa 6.200 km/h) und stellen damit eine grundlegende Herausforderung für herkömmliche Abfangsysteme dar. Bei solchen Geschwindigkeiten verkürzt sich die Reaktionszeit für Verteidigungssysteme dramatisch, was die Abwehr nahezu unmöglich macht.

Hinzu kommt die Manövrierfähigkeit der Rakete während des Fluges, die sie von ballistischen Systemen unterscheidet und die Vorhersage ihrer Flugbahn erheblich erschwert.

Eigenschaften der Rakete

Die neue chinesische Rakete würde eine erhebliche Weiterentwicklung der bisherigen chinesischen Luft-Luft-Raketen darstellen. Aktuell entwickelt China bereits Langstrecken-Luft-Luft-Raketen wie die PL-17 und PL-21, die eine Reichweite von etwa 350 bis 400 Kilometern haben – also weniger als die Hälfte dessen, was der neuen Hyperschallwaffe nachgesagt wird.

Diese Eigenschaften – extreme Geschwindigkeit, beispiellose Reichweite und Manövrierfähigkeit – machen die Waffe besonders bedrohlich für Hochwertziele wie AWACS-Flugzeuge, Tanker und Bomber, die typischerweise in sicherer Entfernung vom direkten Kampfgeschehen operieren.

Während die Rakete beeindruckende Spezifikationen aufweist, bleiben Fragen hinsichtlich der praktischen Umsetzung und Zuverlässigkeit unter realen Bedingungen offen.

Entwicklung der Hyperschall-Technologie in Russland und den USA

Nur wenige Staaten beherrschen zurzeit die Hyperschall-Technologie. Neben China arbeiten vor allem Russland und die USA intensiv an dieser Technologie, allerdings mit unterschiedlichen Fortschritten und Schwerpunkten.

Russland hat mit der Kinzhal-Rakete bereits ein einsatzfähiges Hyperschallsystem, das primär für Luft-Boden-Angriffe konzipiert ist. Dieses System wird von MiG-31-Kampfflugzeugen abgefeuert und wurde bereits in Kampfeinsätzen verwendet.

Die USA hingegen kämpfen offenbar mit erheblichen Verzögerungen bei der Entwicklung ihrer Hyperschallsysteme. Nach einem Bericht der Eurasiatimes plant das US-Militär erst bis Ende des Fiskaljahres 2025, ihr erstes "Long-Range Hypersonic Weapon System" (LRHW) einzusetzen – das wäre eine fast zweijährige Verspätung gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan.

Strategische Nische

Während die USA ihre Anstrengungen hauptsächlich auf Hyperschall-Waffen für Bodenangriffe und Schiffsabwehr konzentrieren, scheint China mit der Entwicklung einer hochleistungsfähigen Hyperschall-Luft-Luft-Rakete eine strategische Nische zu besetzen.

Eine entscheidende Frage stellt sich angesichts der kommunizierten enormen Reichweite der chinesischen Hyperschall-Rakete: Wie kann ein Kampfflugzeug Ziele erfassen und identifizieren, die Hunderte Kilometer entfernt sind?

Diese Herausforderung ist fundamental, da selbst die fortschrittlichsten Radarsysteme moderner Kampfflugzeuge typischerweise nur Ziele in Entfernungen von 150 bis 400 km erfassen können. Die Identifikation und präzise Zielerfassung sind auf noch geringere Distanzen beschränkt.

Die physikalischen Grenzen der Radarreichweite, bedingt durch die Erdkrümmung und Signaldämpfung, machen es praktisch unmöglich, mit bordeigenen Systemen eines Kampfflugzeugs Ziele in 800 bis 1000 km Entfernung zu erfassen und zu verfolgen.

Tarnkappen-Drohnen für den Einsatz in großen Höhen

Die brasilianische Militärexpertin Patricia Marins bietet hierzu eine interessante Einschätzung. China hat in den letzten Jahren eine Reihe fortschrittlicher Drohnen entwickelt, darunter auch Tarnkappen-Drohnen für den Einsatz in großen Höhen.

Die WZ-8 etwa, die als "strategische Drohne" bezeichnet wird, kann angeblich in sehr großen Höhen operieren. Diese Drohnen könnten dann die Zielerfassung für die neue Hyperschall-Rakete mit ihrer großen Reichweite übernehmen.

Das chinesische Konzept sieht vermutlich ein hochgradig vernetztes System mit fortschrittlicher Sensorfusion vor, bei dem Drohnen in großer Höhe weiträumige Aufklärung betreiben und Daten in Echtzeit an Kampfflugzeuge übermitteln.

Diese Sensorfusion kombiniert Daten aus verschiedenen Quellen – darunter Höhendrohnen, satellitengestützte Systeme, bodengestützte Radare, passive Sensoren und möglicherweise auch Infrarot- und in Zukunft vielleicht die Quantenradar-Technologien.

Jeder einzelne Sensor mag für sich genommen nur ungenaue Daten liefern, doch in der Kombination können sie ein präziseres Bild der Aufenthaltswahrscheinlichkeit sogar von Stealth-Flugzeugen erzeugen.

Zieldaten für Hyperschallraketen

Dieses integrierte System würde dann die nötigen Zieldaten an die mit Hyperschall-Raketen bewaffneten Kampfflugzeuge übermitteln – ein Konzept, das die bisher angenommenen Vorteile westlicher Stealth-Technologie erheblich einschränken könnte und generell einen Eckpfeiler der Nato-Doktrin in Frage stellt.

Erst dieses integrierte System würde es ermöglichen, Raketen mit Reichweiten von 800 bis 1.000 km einzusetzen und feindliche Positionen präzise zu lokalisieren.

Die strategische Bedeutung der chinesischen Hyperschall-Luft-Luft-Rakete geht weit über die reine Bedrohung einzelner Flugzeugtypen hinaus.

Mit dieser Waffe könnte China eine weitreichende Abschreckungszone (Anti-Access/Area Denial, A2/AD) errichten, die weit in internationale Gewässer und den Luftraum hineinreicht. Strategische Angriffsmissionen wären damit selbst aus großer Entfernung gefährdet, und das gesamte Konzept der Staffelung von Kräften – mit Tankflugzeugen, AWACS und elektronischen Kampfführungsflugzeugen im vermeintlich sicheren Hintergrund – müsste überdacht werden.

Selbst wenn ein Ziel die Rakete frühzeitig entdeckt, bleiben aufgrund der enormen Geschwindigkeit kaum Möglichkeiten zum Ausweichen oder zum Einsatz effektiver Gegenmaßnahmen.

Die Herausforderung für die Nato

Die Nato-Doktrin basiert im Kern auf der Erlangung und Aufrechterhaltung der Luftüberlegenheit als Voraussetzung für erfolgreiche Operationen aller Streitkräfte.

Diese Doktrin gerät nun gleich durch zwei parallele Entwicklungen unter Druck: Chinas neue Hyperschall-Luft-Luft-Rakete mit extremer Reichweite und Russlands Oreshnik-Rakete, die angeblich Flächenziele wie Flughäfen mit nur wenigen Schlägen ausschalten kann.

Für die Nato und ihre Verbündeten bedeutet dies eine grundlegende Überprüfung bisheriger Konzepte. Die Konzentration von Luftstreitkräften auf wenige, große Flugbasen wird durch Präzisionswaffen wie die russische Oreshnik-Rakete zunehmend riskant.

Gleichzeitig könnte die chinesische Hyperschall-Luft-Luft-Rakete nicht nur Hochwertziele wie AWACS und Tankflugzeuge bedrohnen, sondern auch Kampfflugzeuge und sogar Stealth-Flugzeuge, die bisher als nahezu unangreifbar galten. Dies würde das gesamte westliche Konzept der Luftkriegsführung in Frage stellen.

Die geopolitische Bedeutung

Im Kontext potenzieller regionaler Konflikte, insbesondere in Bezug auf Taiwan, erhält diese Waffe eine besondere geopolitische Bedeutung. Im Falle einer militärischen Eskalation um Taiwan wäre die schnelle Heranführung überlegener US-Luftstreitkräfte ein Schlüsselelement jeder militärischen Unterstützung für die Insel.

Die neue chinesische Hyperschall-Luft-Luft-Rakete könnte genau diese Fähigkeit erheblich einschränken oder sogar neutralisieren, indem sie US-amerikanische Trägergruppen und Luftstreitkräfte auf Distanz hält. Die extreme Reichweite der Rakete würde es China ermöglichen, eine weiträumige Abschreckungszone zu etablieren, ohne eigene Flugzeuge in Reichweite US-amerikanischer Luftverteidigungssysteme bringen zu müssen.

Zudem könnte die neue Rakete zur Absicherung der neuen, im Aufbau befindlichen eigenen Trägergruppen eingesetzt werden.