Chiptraum geplatzt: Wie Deutschlands Halbleiter-Vision zerbröckelt
Es war eine kühne Vision: Deutschland als Chipland Nummer eins in Europa. Doch der Traum zerbröckelt zusehends. Droht der Bundesregierung nun ein Fiasko?
Die Ampelkoalition hatte eine große Vision: Deutschland sollte zur europäischen Halbleiter-Supermacht aufsteigen. Doch die Entwicklungen im vergangenen Jahr ließen diesen Traum wie eine Seifenblase zerplatzen. Reihenweise stampften internationale Chipriesen – trotz üppiger Subventionen – ihre Pläne für Milliardeninvestitionen in Deutschland ein – allen voran der US-Konzern Intel.
Intel legt 30-Milliarden-Projekt auf Eis
Der herbe Rückschlag kam Ende August: Intel stoppte sein geplantes Mega-Werk in Magdeburg, in das über 30 Milliarden Euro fließen sollten. Die Bundesregierung wollte knapp zehn Milliarden zu den geplanten Investitionen beisteuern, damit Intel sich nicht nur in Ostdeutschland ansiedelt, sondern auch über 3.000 Arbeitsplätze schafft.
Ein Bericht von Bloomberg legt nahe, dass die Bundesregierung damals zwar von den finanziellen Problemen des Chipkonzerns wusste, aber nach dem Prinzip Hoffnung verfuhr. Man stand in regelmäßigen Kontakt mit dem Unternehmen, dessen Chef Pat Gelsinger noch weniger Tage vor dem Baustopp betonte, dass alles nach Plan verlaufe.
Dass man – zumindest in Polen – über die finanziellen Probleme von Intel Bescheid wusste, bestätigte der stellvertretende polnische Digitalisierungsminister Dariusz Standerski. Intel plante für Polen ebenfalls eine Chipfabrik. Aber in Warschau schenkte man den Problemen von Intel Beachtung. In den Arbeitsteams habe man die Probleme angesprochen, so Standerski in einem Interview. Schließlich seien die "Informationen über die finanziellen Probleme des Unternehmens" allgemein bekannt gewesen.
Deutschlands Chiptraum bröckelt
Mit dem Intel-Aus in Magdeburg fällt ein Kernstück der deutschen Industriestrategie in sich zusammen. Ein kleiner Lichtblick ist die geplante Chipfabrik in Dresden, die der taiwanesische Chipgigant TSMC mit drei deutschen Partnern bauen will. Nach Monaten des Bangens wurde im Dezember mitgeteilt, dass die Finanzierung steht. Dieser Erfolg ist das bislang einzige Überbleibsel der großen Chip-Vision. Denn auch andere Firmen wie Wolfspeed und ZF Friedrichshafen schraubten ihre Pläne zurück. Oder verlagerten Teile ihrer Produktion wie GlobalFoundries ins Ausland.
Das Bestreben von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), speziell im strukturschwachen Osten ein Hightech-Cluster aufzubauen, tausende Jobs zu schaffen und den Niedergang alter Industrien abzufedern, droht letztlich zu scheitern. Dabei hatte er persönlich die Ansiedlung internationaler Chiphersteller vorangetrieben, wie Insider laut Bloomberg berichten.
Weltweiter Subventionswettlauf um Chipindustrie
Deutschland steht mit seinen Problemen nicht allein da. Auch andere europäische Länder wie Polen und Frankreich erlitten Rückschläge bei Chipinvestitionen. Europa scheint im globalen Subventionswettlauf um die Schlüsselindustrie ins Hintertreffen zu geraten.
China stellt 142 Milliarden US-Dollar bereit, die USA locken mit Steuernachlässen und 39 Milliarden US-Dollar Hilfen. Europas Ziel, den Weltmarktanteil bis 2030 auf 20 Prozent zu steigern, wirkt zunehmend unerreichbar – zumal kein führender Chiphersteller aus der Region stammt.
Der Branchenverband ZVEI geht inzwischen davon aus, dass das proklamierte Ziel nicht mehr zu erreichen ist – zumindest nicht, wenn nicht mehr getan wird. Europas Anteil an der globalen Chipfertigung lag 2024 bei 8,1 Prozent. Mit den gegenwärtig bereitgestellten Fördermitteln würde der Anteil aber bis zum Jahr 2045 auf 5,9 Prozent absinken. "Europa droht bei einem weiteren Rückgang der Produktionskapazitäten abgehängt und zum Spielball geopolitischer Machtinteressen zu werden", warnte deshalb ZVEI-Präsident Gunther Kegel.
Während sich Kegel für eine stärkere Förderung ausspricht, sehen neoliberale Ökonomen solche Forderungen skeptisch. "Ein starker Staat ist nicht unbedingt überall involviert", mahnt laut Bloomberg etwa Veronika Grimm. "Man kann ungünstige Rahmenbedingungen nicht mit Subventionen bekämpfen."
Wahldebakel für Scholz?
Für Kanzler Scholz, der bald Neuwahlen nach dem Bruch der Ampelkoalition gegenübersteht, könnte der geplatzte Chiptraum auch zum politischen Debakel werden. Die Wähler könnten es ihm anlasten, wenn es ihm nicht gelingt, neue Wachstumsimpulse für die lahme deutsche Wirtschaft zu setzen.
Noch aber möchte Scholz nicht aufgeben. Regierungskreisen zufolge umwirbt er nun den koreanischen Elektronikkonzern Samsung, heißt es bei Bloomberg. Auch weitere Milliarden an Subventionen sind im Gespräch. Ob die Chipstrategie damit doch noch Erfolg hat, scheint jedoch fraglich. Noch habe Samsung keine Pläne für Fabriken in Deutschland und Europa, so Bloomberg. Der Traum von "Made in Germany" bei Hightech-Chips – er könnte fürs Erste ausgeträumt sein.