Cities On The Move

Ausstellung über Asiatische Megastädte in der Wiener Secession

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Die Städte stehen im Zentrum des Asiatischen Modernisierungssturms

Fotoarbeit von Takashi Homma

Immer mehr Menschen leben in Städten und ein immer größerer Teil von ihnen lebt in Asien. Die Formierung des wirtschaftlichen ASEAN Machtblocks im Verhältnis zu den NAFTA- und EU-Wirtschafts-Räumen ist nur ein deutlicher Hinweis von vielen, daß Asien stark im Kommen ist. Das 20.Jahrhundert war ein amerikanisches, das 21. könnte ein asiatisches sein. Kulturen, die wesentlich älter und verfeinerter als die europäische sind, ergreifen die Mittel, welche Aufklärung, Technologisierung, Modernisierung und Kapitalismus geschaffen haben. Wie Japan, Korea und Taiwan bereits vorgezeigt haben, werden ihre Eliten bald die besten Wissenschaftler, Forscher, Künstler, Ökonomen hervorbringen. Die quantitativ größte Mittelklasse der Welt innerhalb eines Kulturraums entsteht, die höchsten Gebäude, die modernsten Technologiezentren. Die Entwicklung kann nur mehr in Superlativen beschrieben werden.

Aber zugleich drohen jahrtausendealte kulturelle Traditionen ausradiert zu werden, Infrastrukturen für zeitgenössisches Kulturleben werden aus politischen Gründen nicht gefördert und semi-totalitäre Systeme fördern den wirtschaftlichen Liberalismus, nicht aber die kulturelle und politische Freiheit. Die Folgen sind "Flurschäden" im weitesten Sinn - verheerende Umweltkatastrophen, katastrophale soziale Ungleichheiten, schizophrene individuelle und kollektive Identitäten; all das gefangen im Sog wirbelsturmartiger Veränderungen, die sonst nirgendwo auf der Welt ihresgleichen finden.

Fotodokumentation einer Reise-Performance mit Truck von Soo-Ja KIm, Südkorea

Mit diesen Verhältnissen, den rapiden Veränderungen, aber auch den langsamen narrativen Entwicklungsbögen im kulturellen Nährboden der asiatischen Städte setzt sich die Ausstellung "Cities on the Move", kuratiert von Hou Hanru und Hans-Ulrich Obrist, auseinander. Die Ausstellung, die vom 26.11.97 bis zum 18.1.1998 in der Wiener Secession gezeigt wird, versucht Ansätze aus Architektur und zeitgenössischer Kunst zusammenzuführen. Dabei werden fast ausschließlich (Rem Koolhas z.B. ist eine der wenigen substantiellen Ausnahmen) die Arbeiten von Künstlern und Architekten aus Asien gezeigt. Neben bekannteren Namen wie z.B. Toyo Ito oder Ken Yeang kommen zahlreiche jüngere asiatische Kreative zum Zuge, was ein Insiderwissen über die asiatische junge Szene wiederspiegelt, das wohl vor allem der ebenfalls sehr junge Hongkong-chinesische und in Paris lebende Kurator Hou Hanru eingebracht hat.

Hanru, der schon bei der Biennale von Johannesburg mit dem Ausstellungsteil "Hongkong etc." als Kurator beteiligt war, zeigt auch hier wieder eine eigene kuratorische Handschrift. Im Ausstellungsraum der Wiener Secession ist ein begehbares Baugerüst errichtet, auf, unter und neben dem die verschiedensten Arbeiten zu besichtigen sind. So wird schon mit der Ausstellungsarchitekur und der Anordnung der Objekte auf den fluktuierenden Charakter der asiatischen Städte verwiesen. Die Medien sind ebenso vielfältig wie die gezeigten Inhalte: Architekturmodelle, Videos, CD ROM`s, Web-Sites, Skizzen, Objekte, Installationen, ja sogar Aktionen im öffentlichen Raum, deren Spuren hier natürlich nur dokumentiert wiedergegeben werden können. Diese bunte Mischung will wohl absichtlich etwas von der Vielfalt, Komplexität und chaotischen Simultaneität der asiatischen Städte vermitteln.

Was dabei jedoch leider verloren geht, ist der erklärende, der aufklärende Teil einer Ausstellung. In sich höchst komplexe Projekte wie etwa "The Mirage City" von Arata Isozaki, (das bereits in Telepolis gefeatured wurde) erklären sich nicht von selbst anhand eines Modells und einiger Computerprints. Und das ist nur ein Beispiel für eine Reihe weiterer anspruchsvoller urbanistischer Ansätze, die, um etwas Verbindendes zu sagen, sehr oft in den Topf der spontanen Selbstorganisation und der emergenten (Un)ordnungen der Komplexitätsforschung greifen, um zu beschreiben, was in asiatischen Städten vor sich geht. "Boosterism" wie ihn Mike Davis bezüglich Los Angeles für die Anfänge dieses Jahrhunderts beschreibt, schlägt rücksichtslos Schneisen in die gewachsenen Strukturen alter chinesischer Städte wie etwa in Shanghai, und schafft durch die Uferlosigkeit des industriellen Bauwahnsinns Betondschungel, im Verhältnis zu denen Manhattan sehr schnell wie ein Feriendorf aussieht.

Es ist kein Zufall, daß die Metaphern der Selbstorganisation, in einem politischen Nahverhältnis zum wirtschaftlichen Neoliberalismus stehend, im "Wild East" so gerne in Anwendung gebracht werden. In dieser Ausstellung längere Zeit verweilend, kann zwischen Formen spontaner Selbstorganisation, architektonischem Poststrukturalismus, künstlerischem Subjektivismus und biologischen Metaphern flaneurhaft herumgestreift werden. Pragmatischere, z.B. sozialwissenschaftliche, auf faktischem Material beruhende Zugangsweisen in Ergänzung zu den oft sehr kräftigen aber auf niederem Abstraktionslevel funktionierenden Fotografien und Videos finden sich jedoch leider nicht. Die rationale "Auseinandersetzung" beschränkt sich auf das Kuratorenstatement im Katalog und auf einige wenige Texte von Vordenkern wie Saskia Sassen, wobei deren Buzzword "Global Cities" zum überall präsenten Gemeinplatz zu verkommen droht. So wird der verbal geäusserten Kritik in der Umsetzung der Ausstellung kaum Ausdruck verliehen, da es an der Klarheit in der Aufbereitung und Darstellung und an zusätzlichen Texten fehlt. Die Ausstellung ist selbst mehr Großstadtdschungel, als uns den Großstadtdschungel - seine ökonomischen, systemischen und psychologischen Wechselbeziehungen - zu erklären.

Dieses Prinzip setzt sich auch im Katalog fort, der auf ordnende redaktionelle Eingriffe verzichtet und alle Materialen als "Originale" präsentiert, die Installationsskizzen der Künstler, als Fax oder Email übermittelt, die theoretischen Beiträge so wie sie von den Autoren aus dem Computerdrucker gelassen wurden, usw.. Das soll wohl den Charakter eines "Arbeitsbuches" vermitteln - es ist sogar Platz für Notizen -, doch leider wurde mit dem Verzicht auf redaktionell aufbereitete Vermittlung eine Chance vertan. Denn abgesehen von einigem redundantem und unausgereiftem Material (das man, wollte man gemein sein, unter die Rubrik "Nachholkünstler" einreihen könnte), bietet "Cities on the Move" eine recht gute Überblicks-Schau von Ansätzen in Städteplanung, Architektur und Kunst, in denen sich zeitgenössische und leidlich innovative Tendenzen aus Ost und West begegnen.

Oberste Filterinstanz ist hier jedoch ausnahmsweise der Osten, und gerade das tut einem europäischem Publikum gut, das Gefahr läuft, die Illusionen des Eurozentrismus auf ewig zu verinnerlichen und die Hinwendung nach Osten als bloß oberflächlichen Orientalismus - wie es ihn in Wien schon im 19. Jhdt. gab - zu praktizieren. Damals ging das ja vielleicht noch an. Doch nun sprechen die ökonomischen und bald auch sozialen und kulturellen Beziehungen auf diesem Globus eine andere Sprache. So manche der jungen High-Tech Asiaten in dieser Ausstellung könnten, wenn es nicht bereits der Fall ist, als weltweit richtungsweisende Künstler Anerkennung finden. "Wir", die europäischen, weißen Normalbürger sind nun die Minderheit, die Exoten, und die "anderen" studieren und fotografieren uns und selektieren, welche unserer kulturellen Einflüsse sie wirklich aufzunehmen wünschen.

"Cities On The Move", Secession, Wien, 26.11.97 bis 18.1.98

Katalog ATS 350.- (DM 50.-) ISBN 3-7757-0727-1
Verlag Gerd Hatje
Senefelderstr. 12
D-73760 Ostfildern-Ruit
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