Civil War: Ein erschütternder Film, der die USA spaltet

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US-Präsident: Ist er gut oder böse? Oder ist das egal? Das Jahr des gefährlichen Lebens: Alex Garlands Film beschreibt das Dasein im kommenden Aufstand.

"We are Americans. Okay?" - "Okay. What kind of Americans are you?"

Filmdialog

Ein Film erschüttert und spaltet die USA: Er heißt "Civil War" und stammt vom Briten Alex Garland, einem Regisseur, der schon öfters bedrohliche Zukunftsszenarien auf die Leinwand gebracht hatte, die unsere Wirklichkeit beinahe vorwegnahmen: die Pandemie mit "Annihilation" und KI mit "Ex Machina".

Nun hat er "Civil War" gedreht, einen Film über Journalisten in einem kommenden US-amerikanischen Bürgerkrieg. Der Schurke ist der Präsident in Washington, aber so richtig unschuldig ist keiner. Kirsten Dunst spielt die Hauptrolle, zusammen mit Cailee Spaeny der Darstellerin von Elvis' Frau Priscilla Presley im Film von Sofia Coppola.

Die New York Times jubelt, Time Magazine meckert.

Alles beginnt mit einer Rede. Genau gesagt, mit der Probe einer Rede, den Wiederholungen: Immer wieder in neuer Intonation, neuer Sprechhaltung werden die gleichen Sätze gesagt:

Men of the Western forces of Texas and California...will be welcomed back to this United States as soon as their illegal sezessionist government has departed.

Die Männer der westlichen Streitkräfte von Texas und Kalifornien ... werden in den Vereinigten Staaten wieder willkommen geheißen, sobald ihre illegale sezessionistische Regierung abgezogen ist.

Es ist der US-Präsident, der hier spricht. Im Anzug, mit etwas durchschnittlichem Aussehen. Man kennt ihn nicht, kann ihn schlecht einordnen: Ist er gut oder böse? Oder ist das egal?

Dazu sehen wir Zwischenschnitte auf Demonstrationen, auf Polizisten, die Demonstranten niederprügeln, auf Gewalt; die Stimme des Präsidenten wird mit jedem neuen Ansetzen, selbstbewusster, äußerlicher, offizieller.

Politik ist Pose

Ein sehr guter, ein sehr intelligenter Anfang. Gleich ist klar: Politik ist auch in diesem Film nicht das, als was sie scheinen will. Ehrlichkeit ist oft nur eine Pose.

Alles ist gemacht für die Medien, alles ist gestaltet und designed, und die Medien spielen das Spiel mit; sie sind immer ein bisschen Draußen und ein bisschen Drinnen. Es gibt nicht die guten und die bösen Medien, sondern nur die, die besser sind, als die anderen, und besser umgehen mit den Herausforderungen des Berufs.

When you start asking yourself these questions, you can't stop. So we don't ask. We record so that other people ask. You wanna be a journalist? Thats the job.

Wenn man anfängt, sich diese Fragen zu stellen, kann man nicht mehr aufhören. Also fragen wir nicht. Wir nehmen auf, damit andere Leute fragen. Du willst Journalist werden? Das ist der Job.

Die, die das sagt ist Lee Smith, im Namen nicht zufällig angelehnt an Lee Miller, die berühmte US-Kriegsphotographin im Zweiten Weltkrieg, die einst die Verbrechen in den KZs Dachau und Buchenwald dokumentiert hat. Diese Lee, wie wir sie sehen, hat bereits alles gesehen, was es an Gräueltaten nun mal zu sehen gibt.

Civil War (14 Bilder)

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Gespielt wird sie von Kirsten Dunst. Kirsten Dunst begleitet uns durch unser Filmleben seit den 1990er- Jahren.

Mit 41 immer noch jung erschien sie auf der Leinwand zuerst als Vampirgirl an der Seite von Brad Pitt ("Interview with a Vampire"), dann als eine der jungfräulichen Selbstmörderinnen in Sofia Coppolas "The Virgin Suicides", dann als Schulmädchen in der Shakespeare-Pastiche-Schulkomödie "Get Over It", dann – denn ohne Superheldenfilm kein Star – als "Mary Jane", die Gefährtin von "Spider-Man", dann als Muse von Lars von Trier "Melancholia", Avantgarde, mit der wir allzu gern in den Weltuntergang taumeln.

15 Jahre später ist Kirsten Dunst wieder zurück in einer Hauptrolle. Wurde auch allerhöchste Zeit!

Stille nach dem Selbstmordattentat

Der eigentliche Film und seine Geschichte beginnen mit einem Selbstmordattentat auf eine Demonstration mitten auf einer Straße in New York. Es gibt viele Tote, und Lee ist eigentlich nur durch einen Zufall gerettet worden. So lernt sie Jessie kennen, eine junge Fotografin, die Lee bewundert. Sie wird gespielt von Cailee Spaeny,

Die Art, wie der Film dieses Attentat zeigt, ist interessant: Es gibt kein großes Chaos, kein lautes Schreien und Wehklagen, kein Krachen, sondern Innehalten. Man sieht nicht viel Blut im ersten Moment, sondern was man vor allem sieht, ist der Eindruck des Geschehens in den Gesichtern und dazu vollkommene Stille. Gefühlt minutenlang: Stille, Stille, Stille. Es sind am Ende nur Sekunden, aber es ist ein beeindruckender und sehr schlüssiger Filmmoment.

Zugleich nimmt er uns raus aus dem Geschehen, schärft die Distanz, macht uns zu den Unbeteiligten und Beobachtern, die wir sind. Unmittelbarkeit und die gerade gern beschworene Immersion sind im Kino meist Täuschungen.

"Journalisten werden dort sofort erschossen. Sie gehören zu den Gegnern"

Es herrscht Bürgerkrieg in den USA, Kalifornien, Texas und Florida haben sich gegen den Präsidenten erhoben und dieser Widerstand steht nun kurz vor Washington.

Gleichzeitig ist dies eine Welt, in der die Wirtschaft heruntergekommen und die Dinge knapp sind. Strom ist knapp, Wasser ist knapp, das WLAN funktioniert nicht; es wird im Hotel – und es ist ein Luxushotel – empfohlen, nicht den Aufzug zu benutzen, sondern lieber in den zehnten Stock über die Treppe zu laufen.

Der Widerstand, die Sezessionisten siegen und stehen 200 Kilometer "vor DC", also vor Washington. "Journalisten werden dort sofort erschossen. Sie gehören zu den Gegnern."

Brutalität, Tod und Zerstörung

Vier Journalisten, Lee, Jessie und zwei männliche Kollegen wagen den gefährlichen Trip zwischen den Fronten und durch das Chaos des Krieges die 1000 Kilometer nach Washington zu fahren um den Präsidenten zu interviewen.

So ist dieser Film ein Roadmovie durch den Südosten der USA, auch ein Kriegsfilm, vor allem aber ein Kriegsberichterstatter-Film, der mit den entsprechenden Klischees und Tropen des Genres spielt, sie teilweise transzendiert, und ein "near future Drama", also eine Art Science-Fiction-Film, in dem die Wirklichkeit aber der Gegenwart zum Verwechseln ähnlich sieht.

Die Journalisten begegnen großer Brutalität, sehen Tod und Zerstörung, Folter und Gehenkte unter Brücken. Aber auch wie auf einer Zeitreise plötzlich totalem Frieden.

Man sieht einen Rasensprenger, man sieht eine alte Frau mit Dackel, man sieht überall grünen gepflegten Rasen, man sieht in den einigermaßen leeren Einkaufsstraßen ein Geschäft mit gelangweilter Verkäuferin. Die erklärt (auf die Frage): "Wir versuchen uns da rauszuhalten. Wenn man die Nachrichten sieht, ist das wohl das Beste."

Der Film zeigt auch, wie gewalttätig und brutal und oft innerlich kaputt die Verhältnisse in den USA heute schon sind. Der Bürgerkrieg scheint sehr nahe.

Einmal halten sie einer Tankstelle, um zu tanken. Sie zahlen mit kanadischen Dollars. Während die US-Dollars nichts mehr wert sind, sind es die kanadischen sehr wohl.

Dann sehen sie zwei Männer, die an ihren Händen aufgehängt und gefoltert sind. "Wer sind die?" - "Plünderer", antwortet der Folterknecht. Und dann: "Wir waren zusammen auf der Highschool. Da hat er nie mit mir geredet. Jetzt schon."

Durch die Augen der Jungen sehen wir alles. Und wir sehen auch die Soldateska auf allen Seiten, ihre Brutalität ihre Menschenverachtung. Alle foltern die Opfer, haben Kapuzen auf. Das Lachen der Männer über die Toten und über das Töten.

Die Unschuld wird oliv: Coming of Age im Bürgerkrieg

Am Ende ist Jessie, mit deren Augen wir das alles sehen, erwachsen geworden. Lange hatte sie immer ein weißes T-Shirt an. Jetzt hat sie ein neues, tarngrünes Shirt.

Abgesehen davon, dass dieses weiße T-Shirt nun vom Schmutz und Blut besudelt ist, ist dies natürlich auch ein symbolisches Erwachsen-werden, ein symbolischer Wechsel: Weiß ist das unbeschriebene Blatt, weiß ist die Unschuld.

"Tarngrün" ist die Farbe eines Menschen, der aus dem Militärischen aus dem Kriegszustand nicht mehr herauskommt.

Wir sehen sehr schöne Hubschrauberflüge und dann den Angriff auf Washington: Eine Bazooka schießt auf den Kongress. Ikonische Bilder. Es gibt Straßenkampf und der Kreis um das Weiße Haus schließt sich.

Dort es ist ein sehr, sehr harter Kampf, es gibt einen getarnten Ausbruch von drei Wagen, in denen aber nicht der Präsident drin ist, und der Instinkt von Lee – und zugegeben auch vom Rezensenten im Kino – sagt: Der Präsident ist nicht drin in den Wagen, der ist weiter im Weißen Haus.

Und dann ist es ein Nahkampf durch die leeren Räume und die Reste von den Menschen in diesem Weißen Haus und das sieht ziemlich toll aus: die Räume in denen die verlassenen Büros, die Reste der Essensverpackung des Fast Food und so weiter untergebracht sind.

Am Ende dann werden Washington und das Weiße Haus in heftigen Kämpfen erobert. Zimmer für Zimmer. Die Pressesprecherin wird erschossen. Es ist sowieso eine krasse Erfahrung, wie hier eigentlich alle erschossen werden und die Sezessionisten-Truppen kurzen Prozess machen mit den Leuten, die verloren haben. Sie machen keine Gefangenen.

Dann eigentlich kurz vor dem Ziel fotografiert Jessi immer besser, immer mehr und nun sie hat auch nach hinten zurückgebundene Haare. In einem Fall kann sie der Versuchung nicht widerstehen zu fotografieren, obwohl es für sie zu gefährlich wird. Da rettet Lee wiederum Jessi das Leben, und wird selbst zumindest angeschossen.

Jessie fotografiert das, aber dann geht sie weiter und lässt Lee liegen und wir wissen nicht, ob Lee tot ist oder verwundet oder ihr nichts passiert ist und sie nur ohnmächtig wurde, weil ein schwerer Schlag ihre kugelsichere Weste getroffen hat.

Das heißt im übertragenen Sinn, dass Lee jetzt vielleicht den Stab weitergibt; dass in jedem Fall Jessie erwachsen geworden ist und weiß, dass Fotos, dass das entscheidende ikonische Foto wichtiger ist als die Kollegin. Der persönliche Ehrgeiz siegt, der amerikanische Neoliberalismus.

Ist das jetzt ein Prozess der Aufklärung, oder ein Prozess des Zynismus? Ist das ein Erfolg, ein Happy End? Der Film lässt das offen.

Wie wahrscheinlich ist ein Bürgerkrieg in den USA?