Clash im Internet?

Seite 3: "Wie dem auch sei"

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In den USA kann man viele von amerikanischen Unternehmen genutzte Domain-Namen finden, die gebildet wurden, indem einfach der Firmenname mit dot-com (.com) verknüpft wurde. Davon ausgehend, kann man - kennt man den Namen eines bekannten US-Unternehmens - häufig auch auf den genutzten Domain-Namen tippen. Bei chinesischen Unternehmen ist es aber kaum möglich, ihre Domain-Namen zu erraten. Daher haben die sogenannten Internet-Schlüsselbegriffe (Schlüsselworte, statt URL), welche die Navigation im Internet erleichtern sollen, eine besondere Bedeutung in China: Der Nutzer braucht also nicht die vielen, fraglos komplizierten URL-Adressen von chinesischen Firmen auswendig zu lernen. Der erfolgreiche Internet-Dienstleister www.3721.com z.B. ermöglicht den Zugriff auf Web-Seiten ausschließlich über die Eingabe von Schlüsselbegriffen. Man findet dort also durch Eingabe des Namens der jeweiligen Firma oder eines ihrer Produkte, wenn diese bei besagtem Dienstleister registriert sind, direkt die einschlägigen Informationen im Netz.

Gegründet wurde 3721.com im Jahre 1998 in Peking. In der chinesischen Umgangssprache gibt es ein geflügeltes Wort: "Egal, dass 3 mal 7 ja 21 gleicht." Zu Deutsch: "Wie dem auch sei." Oder: "Komme, was da wolle." Das ist auch das Motto von 3721.com - jenes Anbieters, der ein lukratives Geschäft in der Erfüllung der Aufgabe entdeckte, mit Hilfe verschiedener chinesischer Programme dem einfachen Internetnutzer, der weder Englisch- noch viele Computerkenntnisse hat, schnell und einfach den Zugang zum Netz zu verschaffen. Auch dieses ist ein signifikantes Beispiel, wie "Sinisierungs"-Ziele pragmatisch definiert werden.

Der Unterschied zwischen der primären Stützung auf URL-Adressen und dem Gebrauch der Navigationshilfe "Schlüsselworte" besteht übrigens wohl hauptsächlich darin, dass der Nutzer nun nicht mehr http://, www, com,net, cn oder deren chinesischen Pendants

einzugeben braucht, sondern nur keywords. Vor allem über 3721.com kann man mit keywords zu den gewünschten Adressen und Informationen kommen und so angeblich das finden, "was man will".

Inzwischen ist "3721" angeblich schon so weit, dass sein tool - also eine Art "Vermutungsprogramm" - vorgeblich sogar den Zweck des Nutzers "erraten" kann, wenn er sich vertippt oder den Suchbegriff ("entry") nicht ganz richtig eingegeben hat. Eine technische naive Programmierung steckt dahinter: Gängigen Termini werden nur unwesentlich abweichenden Varianten automatisch zugeordnet. In diesem Fall gibt es dann u.U. mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Zum selben Ergebnis kann der Nutzer übrigens auch mit dem einfachen Pingyin-System (also der latinisierten Transkription chinesischer Wörter) kommen. Das funktioniert, als ob man Schlüsselbegriffe eingebe, indem man nun die lateinischen Buchstaben hulianwang eintippt statt

(dem chinesischen Zeichen für dieselbe Sache: Internet).

Inzwischen können bereits 90% der chinesischen Internetnutzer ihre Suche über IE, MSE Explorer, Netscape, Mozilla, Opera, Net Captor und Tengxun (

) starten, die alle das Keyword-Konzept unterstützen. Entsprechend sind gegenwärtig bereits über 300.000 Unternehmen in China unter solchen Schlüsselworten registriert, so zum Beispiel die Xinhua Nachrichten-Agentur oder auch Microsoft. Die tägliche Zahl der Navigations-Zugriffe über Schlüsselbegriffe beträgt mehr als 30 Millionen.

Eine aktuelle repräsentative Usability-Umfrage in bezug auf Einfachheit, Präzision, Verlinkung, Intelligenz, Funktionalität etc. von herkömmlichen URL-Adressen, chinesischen Domain-Namen und chinesischer Schlüsselworte-Navigationshilfen belegt, dass die letztgenannte Möglichkeit einen großen Vorsprung aufweist, und zwar noch weit vor den zweitplatzierten chinesischen Domain-Namen. In China ist der "Generationswechsel" hinsichtlich des Internetzugangs nach anfänglichem Setzen auf IP über das Bevorzugen der üblichen URL-Adressen nun in die dritte Phase (jene der Schlüsselbegriffe) geraten, wobei die Form von

allgemein als eine Art Übergang erachtet wird.

"Mit der chinesischen Schlüsselwort-Navigationshilfe hat der chinesische Internetzugang allmählich einen eigenen Standard geschaffen", heißt es in den Medien. "Dieser entspricht viel eher dem Wunsch und der Gewohnheit der chinesischen Internetnutzer und stellt im Moment die beste Navigationsmethode in den chinesischen Webs dar." In der oben erwähnten Umfrage hat sich 3721.com mit seinen als hervorragend apostrophierten Dienstleistungen den besten Platz gesichert. Der die Ambition von Zhou Hongyi, dem Gründer von 3721.com, ausdrückende Wahlspruch lautet übrigens: "Damit die Chinesen in der eigenen Muttersprache ins Netz gehen können."

Dasselbe unter der Bezeichnung 3721.com firmierende Unternehmen - bahnbrechend und führend im Bereich der chinesischsprachigen Internet-Dienstleistung - hat inzwischen übrigens auch das System der chinesischsprachigen Email-Adressen, bezeichnet als Cmail, entwickelt und ab Mitte August 2003 offiziell ins Internet integriert. Bereits vor der offiziellen Einführung des Cmail haben sich 1,2 Millionen Nutzer registrieren lassen; bis Ende Oktober wird es voraussichtlich 10 Millionen Cmail-Adressen geben. Wie chinesischsprachige Internetangebote generell, so werden auch Cmail-Adressen für die chinesischsprachigen User gang und gäbe sein. Dies kann eigentlich nicht verwundern, denn wie Umfragen zeigen, sind die aus Amerika stammenden, auf lateinischen Buchstaben basierenden Email-Adressen nach dem Muster "abc@def.gh" immer noch zu kompliziert für viele chinesische Nutzer.

Bei dem von 2731.com entwickelten System kann der Nutzer nun eine Cmail-Adresse haben, die deutlich anders konzipiert ist, und zwar z.B. nach der Art:

("Zhang Yimou@Regisseur") oder auch

("Fang Weigui@Trier"). Diese Art Email-Adresse ermöglicht u.a. auch den Ausdruck einer Eigentümlichkeit des Email-Nutzers, also individuelle Töne in den Email-Adressen. Abgesehen von der völlig freien Namensgebung kann man hinter dem @-Suffix nun einen Schlüsselbegriff, eine Website, Firma, Region, Branche, ein Hobby, einen Beruf usw. nennen.

In der chinesischen Internet-Debatte wird der Einführung chinesischsprachiger Email-Adressen (inzwischen ein Markenprodukt der nach "Kreativität und Simplizität" strebenden 3721.com!) eine umwälzende Bedeutung zugesprochen - und zwar nicht nur für die Erleichterung des e-Commerce in China, sondern vor allem für die Durchsetzung einer spezifischen kulturellen Ausprägung und damit für die Regionalisierung des globalen Mediums Internet.