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Claudia Roth und die preußischen Nebelkerzen

Harald Neuber

Preußen hui, Preußen pfui. Aber worum geht es wirklich? Bild: Dosseman, CC BY-SA 4.0

Themen des Tages: Wobei der Koalitionsausschuss gescheitert ist. Was sich in Moldau zusammenbraut. Und wem Preußen heute noch nutzen kann.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Was der Bundesregierung wichtig ist.

2. Wie in Moldau die nächste Krise entsteht.

3. Und weshalb die Berliner Kultureinrichtungen gegen ihren Präsidenten revoltieren

Doch der Reihe nach.

Ampel-Koalition und Klimaschutz

Ein klimapolitisches Scheitern attestiert Telepolis-Autor Wolfgang Pomrehn der Regierungskoalition. Nun solle, schreibt er, der Bau von 144 Autobahnprojekten beschleunigt [1] werden, unter anderem, in dem man künftig die Umweltverträglichkeitsprüfungen weniger gründlich ausfallen lasse. Pomrehn dazu:

Nach der erfolgreichen Lobbyarbeit für Verbrennungsmotoren und die über alle Maßen verschwenderischen synthetischen Kraftstoffe, ein weiteres Geschenk für die FDP und ihr Klientel in der Automobilindustrie.

Und da der Verkehrssektor damit auch in den nächsten Jahren mehr Treibhausgase ausstoßen wird, wie das ohnehin nur unzulängliche Klimaschutzgesetz zulässt, soll dieses nun auch noch weiter beschnitten werden. Bisher sieht das Gesetz für die einzelnen Sektoren jährliche Höchstmengen an Treibhausgasen vor, die bis 2030 Jahr für Jahr etwas abnehmen.

Streiks und Zukunft

Mit den Streiks in Deutschland und Frankreich befasste sich am Donnerstag Franz Alt [2]. Medien in Deutschland lobten, schrieb er, dass der Streik hierzulande nach einem Tag ganz pünktlich um 0.00 Uhr endet. Französische Medien sehen inzwischen ihre Demokratie in der Krise:

"Sie meinen, ihre Streiks hätten inzwischen nichts mehr mit romantischem Revolutionsgeist zu tun. Die Franzosen haben ihr Vertrauen in ihre Regierung weitgehend verloren." Dem großen Thema Klimaschutz nütze all dies nichts, meinte Alt, denn:

Die Lösung könnte heißen: weniger streiken als in Frankreich, weniger reden als in Deutschland, aber mehr handeln – rechts und links vom Rhein. Wir müssen unser Gesellschaftsmodell rasch so ändern, dass wir nicht die Zukunft der nächsten Generationen verbrennen.

Russland und Moldau

Den nächsten Konflikt in Gebiet der ehemaligen Sowjetunion [3] sieht Anatol Lieven vom US-amerikanischen Quincy Institute for Responsible Statecraft in Transnistrien aufkommen, der nicht anerkannten abtrünnigen Region der Republik Moldau. Bei Telepolis schreibt Lieven heute:

Die kleine Truppe (etwa 1.500 Mann) russischer "Friedenstruppen" und anderer russischer Einheiten, die die Region seit den 1990er-Jahren schützen, befinden sich jetzt in einer strategisch ausweglosen Lage, da sie durch eine feindliche Ukraine von Russland abgeschnitten und der ukrainischen Armee zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen sind.

Aufruhr in Berlin: Wie es zum Eklat um den Preußischen Kulturbesitz kam

Natürlich geht es in der Politik auch um Symbolik. Zum Beispiel beim Thema Koalitionsausschuss, das medial schwer zu vermitteln ist. Da gewinnt, wer die beste Formulierung, die eingängigste Metapher wählt. Dass sich politische Gestaltung aber nicht darin erschöpfen darf, zeigt jetzt ein Skandal um die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, zu dem Telepolis am Donnerstag den ersten Bericht einer gemeinsamen Recherche mit der Berliner Zeitung veröffentlicht.

Zu der Stiftung mit rund 2.000 Mitarbeitern gehört neben der Staatsbibliothek und anderen Einrichtungen auch das Landesmuseum zu Berlin mit 15 Sammlungen und 4,7 Millionen Objekten an 19 Standorten.

Im vergangenen Dezember hat sich die zuständige Kulturstaatsministerin Claudias Roth (Grüne) des Themas angenommen - auf ihre Weise. Roth kündigte an, die Stiftung mit Preußen im Namen umzubenennen. "Was haben Andy Warhol und Joseph Beuys mit Preußen zu tun?", sagte sie dem Spiegel.

Die seit zweieinhalb Jahren überfällige "umfassende Strukturreform, die den einzelnen Einrichtungen jetzt mehr Autonomie und Handlungsfähigkeit gibt", schien für sie eine untergeordnete Rolle zu spielen. Aber der Name! Von Potsdam bis nach Königsberg, mag man da anfügen, vollbringt die Roth so stolz ihr Werk."

Zumal der Vorstoß kein Zufall zu sein schien. Fast zeitgleich hatte Roth ihre Parteifreundin und Außenministerin Annalena Baerbock mit der Anweisung in die Schlagzeilen gebracht, einen nach Otto von Bismarck benannten Raum im Auswärtigen Amt in "Saal der Deutschen Einheit" umzubenennen. Linke und Grüne applaudierten, AfD und FDP ärgerten sich, man war in den Schlagzeilen. Ende, aus.

Aber war da nicht noch etwas? Der Wissenschaftsrat, ebenfalls 1957 gegründet und damit genauso alt wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, war in seinem Urteil eigentlich eindeutig. Die Stiftung als gemeinsame Dach- und Verwaltungsstruktur für die Kultureinrichtungen der Bundeshauptstadt sei "dysfunktional". Und: "Inzwischen überwiegen die Hemmnisse einer gemeinsamen Dachstruktur deren Nutzen für die Einrichtungen und deren Leistungsfähigkeit. Eine "strukturelle Überforderung" der Stiftung sei deutlich geworden, so dass "die Einrichtungen der SPK teilweise den Anschluss an aktuelle Entwicklungen und Debatten zu verlieren" drohten.

Dass es zweieinhalb Jahre dauert, bis auf dieses vernichtende Urteil reagiert wird, ist das eine. Dass der Verantwortliche für das konstatierte Versagen, Stiftungspräsident Hermann Parzinger, nun versucht, sich selbst und ihm nahestehende Führungspersönlichkeiten an die Spitze eines Umbaus zu stellen, der erst durch seine Versäumnisse notwendig geworden ist, muss innerhalb der Berliner Kulturinstitutionen zu Recht als Skandal empfunden werden.

Bewusst oder unbewusst hat Claudia Roth mit ihrem medienwirksamen Umbenennungsvorschlag eine Nebenkerze gezündet. Und Parzinger, dem der Druck des Wissenschaftsratsberichts im Nacken saß, nutzte die Chance dankbar. Ob und wie dieses mutmaßliche Manöver zwischen Roth und Parzinger abgestimmt war, wird zu klären sein.

Der Stiftungsskandal zeigt auch ein wenig das Versagen der Medien. Als Roth ihre Namensdebatte über den Spiegel vom Zaun brach, fragte niemand ernsthaft nach. Weder die Interviewer noch die zahlreichen Medien, die das Thema aufgriffen. Sie alle hatten den Bericht des Wissenschaftsrates bereits vergessen. So konnte Roth den Reformauftrag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur einfach ins Gegenteil verkehren: "Jetzt gibt es (...) ein ganz klares Votum, dass es ein Verbund bleiben soll, also ein Haus mit einem großen Dach, aber in dem die Räume eigentlich sehr frei zu gestalten sind."

Von wem dieses Votum kam, sagte sie nicht. Von den Mitarbeitern der Museen und Forschungseinrichtungen unter dem Dach der Stiftung wohl nicht, wie Telepolis heute berichtete. Sie haben ein klares Votum gegen den klammheimlichen Umbau der Berliner Kulturinstitutionen abgegeben, den Parzinger umzusetzen versucht. Telepolis hat den Fall am Donnerstag gemeinsam mit der Berliner Zeitung öffentlich gemacht, heute geht es weiter.

Artikel zum Thema:

Bernd Müller: Exklusiv: Namensstreit um Stiftung Preußischer Kulturbesitz wohl Ablenkungsmanöver [4]
Peter Grassmann: Die dunkle Seite von Otto von Bismarck [5]
Alexa Weyrauch-Pung: Kehrt Nofretete zurück nach Ägypten? [6]


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-8290770

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Ampel-Koalition-Abgewrackter-Klimaschutz-der-Wut-erzeugen-wird-8247789.html
[2] https://www.telepolis.de/features/Streiks-in-Deutschland-Streiks-in-Frankreich-Und-das-Klima-8255278.html
[3] https://www.telepolis.de/features/Ukraine-Krieg-Droht-Russland-eine-neue-Krise-in-Moldawiens-abtruennigem-Staat-8256305.html
[4] https://www.telepolis.de/features/Exklusiv-Namensstreit-um-Stiftung-Preussischer-Kulturbesitz-wohl-Ablenkungsmanoever-8243238.html
[5] https://www.telepolis.de/features/Die-dunkle-Seite-von-Otto-von-Bismarck-7443926.html
[6] https://www.telepolis.de/features/Kehrt-Nofretete-zurueck-nach-Aegypten-3415498.html