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Clintongate

Hillary Clinton in Phoenix, als alles noch relativ in Ordnung war. Bild: Gage Skidmore/CC-BY-2.0

Die Email-Affäre der demokratischen US-Präsidentschaftsanwärterin Hillary Clinton könnte ihre politische Karriere abrupt beenden

Es ist erstaunlich, wie schnell der Wind im Pressewald drehen kann. Noch vor wenigen Tagen wurde die ehemalige First Lady Hillary Clinton vom Mainstream der Massenmedien buchstäblich in das Präsidentenamt hineingeschrieben [1], für das sie - neben dem linken Senator Bernie Sanders - bei den Vorwahlen der Demokraten kandidiert.

Nachdem ein Bericht des Office of the Inspector General [2] (einer internen Kontrollinstanz) des US-Außenministeriums eine vernichtende Kritik an der verdächtigen digitalen Kommunikationspraxis und dem damit einhergehenden dubiosen Verhalten der ehemaligen US-Außenministerin während ihrer Amtszeit übte [3], gehen viele Meinungsmacher in den Vereinigten Staaten vorsichtig auf Distanz zu Clinton.

Die Washington Post etwa, die mit ihren massiven Angriffen [4] auf den demokratischen Sozialisten Sanders zu den treuesten medialen Sturmgeschützen Clintons gehörte, empörte sich nun über die "unentschuldbare, absichtliche Missachtung von Regeln" [5] durch Hillary Clinton.

Die New York Times, die Clinton als eine "zutiefst qualifizierte Kandidatin" für das Präsidentenamt bezeichnete, listete [6] akribisch alle Unzulänglichkeiten und Ungereimtheiten der offiziellen Verteidigungsstrategie der ehemaligen Außenministerin in der sogenannten Email-Affäre auf. Und selbst den hartnäckigen Clinton-Fans bei Spiegel-Online fällt inzwischen auf, dass der Wahlkampf dieser Kandidatin des Establishments der Demokraten von "Fehlern und Pannen" [7] überhäuft sei.

Der Anlass für diesen Meinungsumschwung scheint auf den ersten Blick eher harmlos, sodass die Ausreden des Clinton-Lagers, es handele sich bei der Affäre um eine bloße Hexenjagd konservativer Hardliner, durchaus stichhaltig erscheinen. Es geht um die Benutzung einer privaten Emailadresse durch Hillary Clinton während ihrer Amtszeit als Außenministerin, sowie um die Einrichtung eines eigenen, privaten E-Mail-Servers in ihrem Haus, auf dem ein Teil der amtlichen Korrespondenz abgewickelt wurde (WikiLeaks hat über 30.000 Emails veröffentlicht [8]). Clinton hat bei den bisherigen Anhörungen immer wieder beteuert [9], dies nur der "Bequemlichkeit" halber gemacht zu haben - und überdies sei diese Praxis "erlaubt" gewesen. Sie habe unwissentlich einen Fehler begangen, den sie nicht wiederholen werde, so die Verteidigungsstrategie der ehemaligen Außenministerin.

Dabei wurde immer wieder behauptet, die Außenministerin habe ihren laxen Umgang mit den "neuen" Medien mitunter wegen mangelnder Erfahrung und unzureichenden IT-Kenntnissen gepflegt. So soll die demokratische Präsidentschaftskandidatin das private Handy nur deswegen benutzt haben, weil sich "nicht erfahren" war im Umgang mit einem Desktop-Computer und dort keine Mails abrufen konnte, wie es in einem Untersuchungsausschuss hieß [10].

Der nun veröffentlichte Regierungsbericht lässt diese Verteidigungsstrategie Clintons, die sich auf die Ignoranz und Bequemlichkeit der damaligen Außenministerin bereif, weitgehend zusammenbrechen. Insbesondere der von Clinton eingerichtete private Mailserver sehe "nicht wie ein ehrlicher Fehler" aus, bemerkte [11] etwa die Chicago Tribune in ihrer Auswertung des Berichts des Office of Inspector General. Die Benutzung eines privaten Mailservers für amtliche Korrespondenz sei nicht "normale" Praxis gewesen, bemerkte die Chicago Tribune. Der Bericht stelle zudem ausdrücklich fest, dass dies durch die damaligen Regeln "nicht erlaubt" gewesen wäre.

Damit widerspricht der vorab durchgesickerte Regierungsbericht der Obama-Administration ausdrücklich der Darstellung ihrer früheren Außenministerin in einer entscheidenden Wahlkampfphase. Clinton hat somit sich selbst die Erlaubnis erteilt, einen privaten Mailserver für amtliche Korrespondenz zu betreiben. Die ehemalige Außenministerin habe aus Ignoranz nicht nur gegen die Sicherheitsregeln bei der regierungsinternen Kommunikation verstoßen, hieß es in dem Regierungsbericht. Clintons enge Mitarbeiter haben Kritik an diesem Vorgehen barsch zurückgewiesen. Zwei Angestellte des Ministeriums, die Sicherheitsbedenken gegenüber dieser Praxis äußerten, haben aus Clintons Umfeld die Anweisung erhalten "nie wieder über das private Mailsystem der Außenministerin" zu sprechen, wie die New York Times aus dem Regierungsbericht zitierte [12].

Somit hat Clinton Kritik an ihrer Praxis bewusst unterdrücken lassen - von "Bequemlichkeit" und Unwissenheit kann hier keine Rede mehr sein. Dies stellte zum einen ein großes Sicherheitsrisiko dar. Es sind mehrere Fälle bekannt, bei denen Hacker versuchten, sich Zugang zu dem Server zu verschaffen. Der rumänische Hacker Guccifer behauptet [13] gar, dass es ihm gelungen sei, sich Zugang zu dem Mailserver Clintons zu verschaffen. Inzwischen hat der IT-Spezialist und Clinton-Vertraute Bryan Pagliano, der den privaten Server einrichtete, im Rahmen der FBI-Ermittlungen gegen Clinton Immunität zugesichert [14] bekommen.

Der an Clinton - insbesondere aus Sicherheitskreisen - gerichtete Vorwurf lautet somit, sie habe die nationale Sicherheit aufs Spiel gesetzt. Es sei nämlich weiterhin unklar, ob ihr privater Server nicht doch von feindlichen Geheimdiensten unbemerkt gehackt wurde. Unter den rund 60.000 Mails auf den privaten Server der Außenministerin befand sich auch sensibles Material, darunter auch 22 Mails mit der höchsten Geheimhaltungsstufe [15]. Und es ist kaum nachvollziehbar, wie diese Informationen auf den privaten Server Clintons ohne Gesetzesbruch gelangen konnten, wie der Publizist H. A. Goldman in einem Videobeitrag [16] ausführte.

Es geht nicht nur um die "nationale Sicherheit", sondern auch um den Verdacht der Korruption

Die Vorwürfe gegen Clinton, die insbesondere Gegenstand der FBI-Ermittlungen sind, gehen aber viel weiter. Die demokratische Präsidentschaftskandidatin war offensichtlich bestrebt, nach ihrem Ausscheiden aus dem Außenministerium die Spuren zu verwischen. Von den rund 60.000 Mails, die auf dem privaten Server während Clintons Amtszeit gespeichert wurden, sind bei dessen Übergabe an das Außenministerium Ende 2014 rund 30.+000 gelöscht [17] worden. Diese Mails, die nun nicht mehr auf ihren Inhalt überprüft werden können, sollen "privat" gewesen sein. Damit hat Clinton eindeutig gegen Bestimmungen des Außenministeriums verstoßen, das bei einer Durchsicht der Korrespondenz scheidender Mitarbeiter zu bestimmen hat, welche Mails nachträglich als geheim eingestuft werden sollen. Und genau dies war Clinton bewusst.

Die von Clinton gelöschte Korrespondenz umfasste die gesamten ersten drei Monate ihrer Amtstätigkeit, so die New York Times [18]. Zudem ist es dem Regierungsbericht zu entnehmen, dass es diesem gelungen ist, einige der gelöschten Mails ausfindig zu machen - sie enthielten [19] sehr wohl sensibles Material. Somit scheint eine Anklage gegen Clinton wahrscheinlich. Das FBI steht derzeit unter Druck, bis zum Abschluss der Vorwahlen sein Ermittlungsverfahren gegen die ehemalige Außenministerin abzuschließen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das FBI nun dem Justizministerium eine Anklage gegen die ehemalige First Lady empfiehlt, ist mit dem sehr kritischen Regierungsbericht gestiegen [20].

Hilary Clinton 2013 als Außenministerin mit dem saudischen Außenminister Prinz Mohammed bin Naif bin Abdulaziz. Bild: state.gov

Ins Zentrum der Untersuchung dürfte bald die berüchtigte Clinton Foundation [21] rücken [22], bei der es sich formell um eine Wohltätigkeitsorganisation handelt, die aber letztendlich als eine Geldwaschanlage und ein Steuervermeidungsvehikel fungiert, wie es viele US-amerikanische Oligarchen unterhalten, die sich mit der Aura der Philanthropie umgeben wollen.

Während ihrer Amtszeit hat Hillary Clinton gigantische Waffendeals im Umfang von 165 Milliarden US-Dollar gebilligt [23], wobei die daran beteiligten Staaten und Unternehmen zugleich der Clinton Foundation großzügigste Spenden zukommen ließen. Der Umfang dieser Spenden von Staaten und Konzernen ist nur zu schätzen, da die Clinton Foundation keine genaueren Zahlen nennt. Er soll sich zwischen 54 und 141 Millionen US-Dollar [24] bewegen.

Allein die Golf-Despotien wie Saudi-Arabien sollen Clinton so an die 100 Millionen US-Dollar "geschenkt" [25] haben. Hillary Clinton hat bereits angekündigt, dass ihre Stiftung auch weiterhin Gelder von reichen "Interessengruppen, inklusive ausländischen Regierungen", sammeln werde, falls sie zum Präsidenten gewählt sollte, berichtete [26] die New York Times.

Es liegt somit nahe, hier eine Verbindung zwischen dem Email-Skandal und dem sich abzeichnenden Skandal um die Clinton Foundation zu ziehen: Eine Hypothese lautet, dass Clinton mit dem privaten Server sich der üblichen Überwachung von Regierungstätigkeit entziehen wollte, um die für ihre Stiftung hochprofitablen Deals einzufädeln. Nach dem Ende ihrer Amtszeit hätte Clinton alle Spuren dieser Korruption zu beseitigten versucht, während sie sich nun mit dem Verweis auf ihre Unwissenheit und Bequemlichkeit in IT-Fragen herauszureden versucht. Eine Anklageempfehlung des FBI könnte somit auf politische Korruption und nicht nur auf die Gefährdung nationaler Sicherheit lauten.

Damit wäre Clintons Traum vom Präsidentenamt ausgeträumt, da inzwischen selbst die New York Times einräumt [27], dass die Kandidatin des amerikanischen Politestablishments zu einem der unbeliebtesten Präsidentschaftsanwärter in der Geschichte der USA gehört. Die Wähler würden ihr "einfach nicht trauen". Inzwischen scheint [28] Clinton selbst die Vorwahlen in Kalifornien an Sanders zu verlieren, wo sie noch vor einem halben Jahr mit gut 50 Prozentpunkten bei allen Umfragen in Führung lag.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3222150

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.nytimes.com/2016/01/31/opinion/sunday/hillary-clinton-endorsement.html
[2] http://www.ignet.gov/
[3] http://commondreams.org/news/2016/05/25/government-report-clinton-email-scandal-much-worse-expected
[4] http://www.commondreams.org/views/2016/05/14/washington-posts-bernie-sanders-bashing
[5] http://www.washingtonpost.com/opinions/clintons-inexcusable-willful-disregard-for-the-rules/2016/05/25/0089e942-22ae-11e6-9e7f-57890b612299_story.html
[6] http://www.nytimes.com/2016/05/26/us/politics/hillary-clinton-email.html
[7] http://www.spiegel.de/politik/ausland/hillary-clinton-wahlkampf-laeuft-verheerend-kommentar-a-1094201.html
[8] https://wikileaks.org/clinton-emails/
[9] http://www.mediaite.com/online/hillary-clinton-private-email-was-a-mistake-but-only-because-of-the-reaction/
[10] http://www.nytimes.com/2016/05/27/us/politics/hillary-clinton-state-department-email-inquiry.html
[11] http://www.chicagotribune.com/news/opinion/commentary/ct-hillary-clinton-emails-private-server-20160526-story.html
[12] http://www.nytimes.com/2016/05/26/us/politics/hillary-clinton-email.html
[13] http://thehill.com/policy/national-security/281440-could-romanian-hacker-guccifer-assist-fbis-probe-of-clinton
[14] http://www.wsj.com/articles/former-clinton-staffer-granted-immunity-in-email-probe-1457017878
[15] http://www.huffingtonpost.com/h-a-goodman/if-america-cant-see-hilla_b_9530100.html
[16] http://www.youtube.com/watch?v=pqJy2SoEL_M
[17] http://thehill.com/policy/national-security/281306-clintons-email-troubles-deepen
[18] http://www.nytimes.com/2016/05/26/us/politics/hillary-clinton-email.html
[19] http://fortune.com/2016/05/27/clinton-emails-inspector-general
[20] http://www.bostonherald.com/news/us_politics/2016/05/experts_audit_justifies_fbi_s_push_for_hillary_clinton_indictment
[21] http://www.nytimes.com/2016/05/27/us/politics/hillary-clinton-bernie-sanders-california-primary.html
[22] http://www.investors.com/politics/editorials/clinton-scandals-is-the-familys-charitable-foundation-a-fraud/
[23] http://www.salon.com/2015/05/31/the_cash_donations_hillary_simply_has_no_answer_for_partner/
[24] http://www.ibtimes.com/clinton-foundation-donors-got-weapons-deals-hillary-clintons-state-department-1934187
[25] http://www.investors.com/politics/editorials/hillarys-latest-scandal-she-and-bill-siphoned-100-mil-from-persian-gulf-leaders/
[26] http://www.nytimes.com/2016/05/23/us/politics/election-clinton-foundation.html
[27] http://www.nytimes.com/2016/05/26/us/politics/hillary-clinton-emails-campaign-trust.html
[28] http://www.nytimes.com/2016/05/27/us/politics/hillary-clinton-bernie-sanders-california-primary.html