Cold Space War

Das Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt "Territories" versteht den Nahen Osten als Labor für Fragen rund um Raumkontrolle und territoriale Machtmechanismen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Medientheoretiker in den Fußstapfen von Paul Virillio predigen unablässig davon, dass die Geopolitik von der Chronopolitik abgelöst worden seien. Das Gegenteil behaupten Kritiker wie Rudolf Maresch. Man müsse sich wieder stärker mit harten Realitäten auseinander setzen: "Mit Standorten und Reichen, Verkehrsystemen und Ressourcen, Meerengen und Demografien, usw."

"Das Territorium schlägt zurück!" lautet die von "Star Wars" abgeleitete Devise in diesem Zusammenhang - ein allzu treffendes Wortspiel, denn kriegerisch ist die Stimmung auf diesem neuentdeckten Terrain der interdisziplinären Forschung allemal.

Milutin Labudovic, "Ma'aleh Edumim", Greater Jerusalem, 2002 (courtesy of Peace Now)

New York, Genua, Salt Lake City und München - das sind Orte, die Tom Holert und Mark Terkessidis in ihrem heimlichen Bestseller "Entsichert: Krieg als Massenkultur" (Krieg als Massenkultur) als exemplarische Stationen einer Leistungsschau in Sachen Kriegsarchitektur ausgemacht haben, die, und darauf weisen sie immer wieder hin, nicht erst seit dem 11. September 2001 Konturen annimmt:

Die Entwicklung hin zu physischer Befestigung und atmosphärischer Kontrolle, zu Barrieren und Überwachungskameras schreitet seit langem kontinuierlich und mit niedriger Intensität voran.

So sehr die Kontinuität dieser Entwicklung betont werden sollte, darf nicht vergessen werden, dass der 11.September in diesem Zusammenhang auch für einen Paradigmenwechsel gesorgt hat. Die von Holert/Terkessidis so genannte "Festungsurbanität", die im Begriff ist, die zivile Urbanität raumgreifend zu ersetzen, hat nach den terroristischen Attacken im kollektiven Bewusstsein eine symbolische Umkodierung erfahren. Wurde der überwachte Raum, wie er vielleicht kanonisch in Orwells "1984" durchdekliniert wurde, einst als Dystopie gehandelt, so mutet er neuerdings als höchste Reinform der Utopie an. Die Stadt als eine Mischung aus Hochsicherheitstrakt und hochgradig reglementiertem Kriegsgebiet, erscheint angesichts der vermeintlich omnipräsenten Bedrohung durch abstrakten Terror als die einzig wünschenswerte Schutzkulisse. Sie ist es, die das embryonale Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln soll - in Zeiten der allgegenwärtigen Paranoia wahrhaft utopische Werte.

Um diesen Zusammenhang auf seine historischen Ursprünge hin abzutasten, lohnt es sich Nils Normans The Contemporary Picturesque zur Hand zu nehmen. Viele New York-Fotos aus diesem Buch dokumentieren seine persönliche Umgebung. Sein besonderes Interesse galt dem New Yorker Park-Design, weil es in nahezu utopische Dimensionen urbaner Planwirtschaft vorstößt: Sauberkeit, das Gefühl von Sicherheit, Stadtkosmetik und sozialer Ausschluss. Das "Pittoreske" begreift Norman in diesem Zusammenhang als eine Strategie, auf die bereits der Landschaftsdesigner Frederick Law Olmsted und der britische Architekt Calvert Vaux 1857 zurückgriffen, um im Central Park eine pseudo-natürliche, pastoral-pittoreske Umwelt zu schaffen. Diese sollte archaisch anmuten und aussehen, als wäre sie schon seit Jahrtausenden da gewesen - obwohl der Park in Wirklichkeit ein manipulierter und kontrollierter Raum war und nach wie vor ist.

Interessante historische Bezüge von einerseits strategisch-militärischer und andererseits utopischer Raumplanung werden auch von "Territories" in Berlin hergestellt. Als Ausstellung mit einem gleichnamigen Reader, sowie einem begleitenden Radio und Kiosk-Programm konzipiert, zeigt das Projekt die Wechselwirkung dieses Zusammenhangs auf. So dient die 1971 auf einem ehemaligen Kasernengelände im Kopenhagener Stadtteil Christianshavn als soziales Experiment gegründete Freistadt Christiania als Fallbeispiel für einen Raum, der von einem militärischen Camp zum kreativ-künstlerischen U-Topos mutierte. Die utopische Hippie-Siedlung erhielt 1986 von der dänischen Regierung einen begrenzten legalen Status, der es erlaubt, eigene Schulen, eigene Gesetze und eigene Wirtschaftsformen zu praktizieren. Dem werden der Kibbuz und die daraus entstandenen Siedlungsformen in der West Bank entgegen gestellt.

Im kollektiven, basisdemokratisch organisierten ländlichen Kibbuz, der als Planform im Rahmen der jüdischen Einwanderung nach Palästina ab 1908/09 entstanden und ab 1948 zentrales Element der israelischen Siedlungspolitik war, lebten und arbeiteten materiell gleichgestellte Mitglieder entsprechend ihren Fähigkeiten zusammen. Symbolisch wurde dieser Siedlungstypus als Kreisform repräsentiert: Im Zentrum der geometrischen Anordnung fand das öffentliche Leben statt. Wer sich heute die Siedlungsformen in der West Bank ansieht, stellt eine formale Kontinuität fest: Kreisrunde Formen dominieren die semi-urbanen Strukturen, doch von den sozialistisch-utopischen Idealen ist hier nichts mehr geblieben. An ihre Stelle sind panoptische Kontrolle und strategische Überlegenheit getreten, die Architektur ist strategische Waffe der Siedlungspolitik geworden.

Das "Territories"-Team, bestehend aus den Kuratoren Anselm Franke, Eyal Weizman, Rafi Segal und Stefano Boeri, sowie Künstlern wie Matthew Buckingham/Joachim Koester, MULTIPLICITY, Jan Ralske, Bureau of Inverse Technology, Stalker, Zvi Efrat, uvm., hat sich nicht zufällig in das Labyrinth des Nahen Ostens begeben. Es unternimmt dort, was man als Grundlagenforschung beschreiben könnte. Den Gaza Streifen begreifen sie als ein Labor, in dem Begrifflichkeiten rund um das Thema Raumkontrolle definiert werden können. Die Rede von der "Weiterführung des Krieges durch die Architektur" wird damit auf einen sowohl relativ präzise umrissenen als auch reflexiven Boden gestellt, der zahlreiche Fragen auslöst. Eine dieser Fragen, die man wohl getrost als Leitfrage dieses investigativ-theoretischen Projekts bezeichnen könnte, lautet: Wie programmiert Recht Raum? Damit im Hinterkopf geht es von der West Bank in die unterschiedlichsten Himmelsrichtungen. Zwischenstationen werden nicht zuletzt in den exterritorial-rechtsfreien Zonen Guantanamo, Diego Garcia und Bagram eingelegt.

"Territories" vom 1. Juni bis 25. August 2003 in Kunst Werke - Institute for Contemporary Art. Auguststr. 69, 10117 Berlin