Computer mit Selbstheilungskräften
Netzwerk-Systeme sollen sich nach Vorstellungen von IBM zukünftig selbst regulieren und regenerieren können
Der US-Konzern IBM plant die Realisierung von Computer-Netzwerken, die sich nach dem Vorbild des menschlichen Organismus selbst erhalten und warten können. Dazu wurde die Autonomic Computing Initiative gegründet, die als Joint Venture zusammen mit Universitäten an der Entwicklung von entsprechender Software und Hardware arbeitet. Damit soll verhindert werden, dass immer komplexere Netzwerke irgendwann zusammenbrechen, weil sie von Menschen nicht mehr beherrschbar sind. Risiken sind dabei nicht von der Hand zu weisen.
Der Computer, unser immer noch fremder Freund und Helfer im Alltag. Absolut unverzichtbar in der Welt des 21. Jahrhunderts, aber wehe, er lässt einen einmal im Stich. Besonders prekär, wenn es sich um die immer komplexeren Computer-Netzwerke in Wirtschaft, Militär und Wissenschaft handelt. Dann sind manchmal selbst IT-Experten erst einmal ratlos. Der Betrieb im Betrieb ist zumindest teilweise zeitweise lahmgelegt. Tilt. Rien ne va plus.
IBM hat daher die "Autonomic Computing Initiative" entwickelt und dazu ein sogenanntes Manifest , das vom IBM-Vizepräsidenten Paul Horn verfasst wurde, aktuell 75.000 mal über das Internet verschickt. Kernthese Horns und der IBM-Forscher ist, dass die ständig zunehmende Komplexität von Netzwerken und Computersystemen eine für Menschen immer schwieriger zu bewältigende Kontrollaufgabe darstelle. Die Einbeziehung von Haushaltsgeräten durch die Bluetooth-Technologie, WAP-Handys, Handhelds und sonstige Devices treibe diese Entwicklung verstärkt an. Dies werde dazu führen, dass Netzwerke in nicht allzu ferner Zukunft von menschlichen Administratoren nicht mehr beherrschbar seien. Damit würde letztendlich die positive Wirkung der Informationstechnologie in ihr Gegenteil verkehrt. Das Meistern dieser Herausforderung ist nach Ansicht von Paul Horn daher die zentrale Herausforderung für die heutige Technologie-Industrie.
Ein Patient, dem von außen nicht geholfen werden kann, muss sich selbst helfen können. Das organische Role Model bei der Lösung des Problems ist für die IBM-Forscher das menschliche vegetative Nervensystem, das ohne willentliches Zutun die Körpertemperatur sowie Sauerstoffgehalt und Blutzuckerspiegel im Blut automatisch steuert. Computersysteme der Zukunft müssten also in die Lage versetzt werden, selbstständig Konfigurationen vorzunehmen, Abstürze zu heilen und präventiv Bugs und sonstige Probleme auszumerzen.
Bei diesem ehrgeizigen Projekt baut "Big Blue" neben seiner eigenen Research-Abteilung auf die Zusammenarbeit mit 50 Universitäten durch die Finanzierung von deren Beteiligung an der Forschungsarbeit. Auch die Kooperation mit dem Global Grid Forum dient dem großen Ziel. Das Global Grid Forum arbeitet daran, die heterogenen und inkompatiblen Fähigkeiten bei der globalen Computerforschung in einem gemeinsamen standardisierten Wissenschaftspool einzubringen. Aus ihm könnte jeder Forscher weltweit für seine Arbeit Nutzen ziehen. In verschiedenen Projekten wird Grid-Software hergestellt, die unterschiedliche Programme hinter gemeinsamen Interfaces zusammenbringt.
Das Ziel des "Autonomic Computing"-Projekts von IBM ist die Entwicklung von Software-Standards. Sie sollen festlegen, wie man Hardware und Software kreieren kann, die Netzwerke intelligenter machen. Auf dass das alte Hippie-Schlagwort "Computer sind doof" der Vergangenheit angehören möge. Klingt auf den ersten Blick ziemlich gut. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob selbstregulierende, kaum noch kontrollierbare Systeme für die Menschheit nicht auch unwägbare Risiken bergen werden. Angefangen mit dem berühmten Amokläufer HAL-9000 aus Kubricks 2001-Epos (wobei der Begriff HAL auch eine Anspielung auf IBM darstellen sollte!), über SF-Filme in den 70ern und 80ern, wo autarke Computer durch die Entwicklung künstlicher Intelligenz auch anfangen, Menschen zu bedrohen und sogar den Dritten Weltkrieg auszulösen drohen: das Unbehagen an für möglich gehaltenen Entwicklungen ist da.
Und ein System muss, um außer Kontrolle zu geraten, ja nicht unbedingt plötzlich den Sprung zum eigenständig denkenden künstlichen Maschinenwesen geschafft haben. Artificial Intelligence bleibt vorerst wirkliche Science Fiction, wenn man bedenkt, dass die Prozesse im menschlichen Gehirn immer noch zum größten Teil unerforscht sind. Oder wenn man die Geschöpfe des neuesten Spielberg-Films mit dem bescheidenen Forschungsstand bei intelligenten Robotern in den Labors des Jahres 2001 vergleicht. Wie aber kann ausgeschlossen werden, dass autonome Computersysteme nicht auch Fehler machen und gerade dadurch schwerwiegende negative Folgen verursachen? Was, wenn menschliche Administratoren dann nicht schnell genug eingreifen können, weil das System diese Eingriffsversuche als Störmaßnahmen erkennt, die es abzuwehren gilt und sich abschottet? Wie sicherstellen, dass Hacker solche autonomen Systeme nicht doch in bösartigem Sinne manipulieren können?
Und wird ein System einmal ernsthafte Hypochonder-Syndrome entwickeln, und welche Krankenkasse zahlt bei Beschwerden oder gar klinischem Exitus durch Microsoft-Bugs? IBM wird auf alle diese Fragen gute Antworten finden müssen.