Corona: Dauerausnahmezustand noch zu rechtfertigen?
Kinder und Jugendliche haben gegenwärtig am wenigsten von einer Corona-Infektion zu befürchten, umso mehr dafür von Corona-Beschränkungen
Zwar schnellen die Ansteckungen durch die Omikron-Varianten bei den Unter-15-Jährigen in beachtliche Höhen, wie Gersemann von der Welt anzeigt. Er berichtet von einem Plus von 95 Prozent im Vorwochenvergleich. Die Sieben-Tage-Inzidenz von 2.071 pro 100.000 der Altersgruppe der Fünf- bis 14-Jährigen, die das RKI ermittelt habe, sei die höchste, teilt das Redaktionsnetzwerk Deutschland mit. In dem heutigen Artikel zur Lage – "Omikron: Wie gefährlich ist die Virusvariante für Kinder?" – ist auch zu erfahren, dass die Zahl der Intensivfälle gering bleibt.
Die Divi meldete am Montag bundesweit 26 Patienten und Patientinnen, die derzeit auf einer Kinderintensivstation liegen. Null- bis 17-Jährige würden insgesamt weniger als 2 Prozent aller Covid-Intensivfälle ausmachen.
RND
Allerdings betreffen Maßnahmen, gedacht um die Verbreitung des Virus einzudämmen, Kinder und Jugendliche in einem besonderen Maß. Eine deutliche Warnung kommt aktuell von Richard Brenner, Mitglied des Corona-Expertenrates der Regierung, Spezialist für Kinderheilkunde und Leiter der Kinderklinik Dresden.
Er gab sich der Neuen Osnabrücker Zeitung gegenüber fest davon überzeugt, "dass die Pandemie kaum Aufmerksamkeit genießen würde, wenn nur Kinder betroffen wären. Der Alarm kommt durch die Gefahr für Erwachsene."
Konkret warnt er davor, dass Maßnahmen wie Schul- oder Kitaschließungen bei den Jüngsten mehr Schaden anrichten als ihnen zu helfen. Das dürfe nur allerletztes Mittel sein. "Auch in der Omikron-Welle muss das Wohl der Kinder im Blick bleiben." Brenner macht darauf aufmerksam, dass es mittlerweile Hunderttausende Kinder gebe, die jetzt in die dritte Klasse kommen, ohne ein normales Schuljahr erlebt zu haben.
Kinder in Kindertagesstätten hat die Corona-Krise ebenfalls einen Dauer-Ausnahmezustand beschert. Was das für Eltern und Kinder und für die Schule, den Lehrstoff, das Lernen usw. bedeutet, ist in vielen Erfahrungsberichten zu erfahren. Interessant ist, dass der habilitierte Kinderarzt die Aufmerksamkeit auf die Gesundheit legt.
Sporttreiben in Vereinen und gemeinsame Freizeit- und Kulturerlebnisse dürften nicht noch einmal unterbunden werden, mahnt Richard Brenner. Aktuelle Regelungen sind mit dieser Maxime allerdings nur zu vereinbaren, wenn die Kinder- und Jugendlichen geimpft sind.
In Nordrhein-Westfalen etwa können ungeimpfte (und nicht genesene) 16- und 17-Jährige nicht an Freizeit-, Sport- und Kulturveranstaltungen teilnehmen, etwa Theater, Kinos oder Konzerte besuchen. In Bayern ist das Vorgehen noch strenger: Zuletzt galt 2G für alle ab zwölf Jahren, kürzlich wurde auf die Schwelle von 14 Jahren hochgestuft. Ausnahmen gibt es für den Besuch von Hotels und Restaurants sowie "zur eigenen Ausübung sportlicher, musikalischer oder schauspielerischer Aktivitäten", wie es in der entsprechenden Verordnung heißt. Aber auch hier gilt also: Ins Kino, Stadion oder Konzert dürfen ungeimpfte 14- bis 17-Jährige nicht.
Die Welt
Einfach nur impfen, dann ist alles gut? Hier wird es politisch. Selbst die Stiko hat sich in ihrer Impfempfehlung ausdrücklich dagegen ausgesprochen, dass "der Zugang von Kindern und Jugendlichen zur Teilhabe an Bildung, Kultur und anderen Aktivitäten des sozialen Lebens vom Vorliegen einer Impfung abhängig gemacht wird". Der Satz werde in jedem Update mit der Stiko-Empfehlung wiederholt, dennoch halten sich verschiedene Bundesländer nicht daran.
Heike Baehrens, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, spricht von einem "Flickenteppich", der nicht zu mehr Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger". Bei Kindern- und Jugendärzten sowie Verbänden würde das Vorgehen auf großes Unverständnis treffen.
Dass Kinder ohne Vorerkrankungen ein maßgeblich sehr viel kleineres Risiko tragen, schwer an Covid zu erkranken und zugleich besonders unter Corona-Maßnahmen leiden, ist nicht nur in Deutschland ein großes problematisches Gelände, sondern auch in den USA und Großbritannien. Dort werden Impfung und Krankheitsrisiko ebenfalls seit Monaten gegeneinander abgewogen.
"In den letzten zwei Jahren haben die US-Amerikaner mehr Schaden und Belastungen für Kinder im Austausch für weniger Schaden und Belastungen für Erwachsene akzeptiert", lautet das Fazit, das Anfang des Jahres in der New York Times veröffentlicht wurde.
Und der britische Kinderarzt Alasdair Munro, Research Fellow für Kinderinfektionskrankheiten an der Universitätsklinik Southampton machte auf wissenschaftliche Studien aufmerksam, die die Angst vor Covid und Long-Covid, letztere wird oft geäußert von Eltern und Kindervertretern, ziemlich dämpfen sollten (hier und hier und hier).