Corona? Doch nicht auf unseren Spargelfeldern!

Agrararbeiter bei der Erdbeerernte, hier in Quebec, Kanada. Bild: Marc-Lautenbacher, CC BY-SA 4.0

Die Bundesregierung wollte eigentlich die Lage der Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft verbessern. Bisher ist davon nichts zu spüren. Viele Beschäftigte haben nicht einmal Zugang zu einer Krankenversicherung

Hurra, der Spargel ist da, verkaufsbereit in den Gemüseabteilungen der Supermärkte, das Kilo erhältlich ab zehn Euro. In der Spargelsaison werden etwa 115.000 Tonnen geerntet, und zwar fast immer von Arbeitskräften aus Osteuropa. Knapp 300.000 von ihnen reisen dann aus Polen, Bulgarien, Rumänien, Georgien oder Moldawien an, um Spargel, Erdbeeren und Gurken einzubringen.

Aus unerfindlichen Gründen hat sich für sie die Bezeichnung "Erntehelfer" eingebürgert, obwohl sie eine durchaus qualifizierte und durchaus anstrengende Arbeit leisten. Ohne sie passiert auf deutschen Äckern ziemlich wenig.

Wie wenig, wurde in der Covid-19-Pandemie deutlich, als aufgrund der Reise- und Kontaktbeschränkungen eine große Menge des Spargels nicht geerntet werden konnte. Sofort wurden Regierung und Behörden aktiv. Im April 2020 stufte die Bundesregierung die Landwirtschaft als systemrelevant ein und schuf Ausnahme-Regelungen für die Erntearbeit.

Zehntausende Menschen wurden über eine "Luftbrücke" aus Rumänien nach Deutschland eingeflogen. Die Beschäftigten wurden bei der Einreise getestet und sollten mindestens zwei Wochen lang in einer Art "Arbeitsquarantäne" bleiben – mit möglichst wenig Kontakt zur Außenwelt, aber trotzdem auf den Feldern einsetzbar.

Weil es in den Gemeinschaftsunterkünften schwierig ist, sich vor einer Ansteckung zu schützen, kam es dennoch auf einigen Höfen zu Covid-19-Ausbrüchen.

Für Empörung sorgte ein Fall in einem bayrischen Betrieb, wo während der Gurkenernte im Juni 2020 250 Beschäftigte gleichzeitig erkrankten. Eine davon, eine ältere Frau aus der Ukraine, musste daraufhin stationär behandelt und zeitweise künstlich beatmet werden.

Ihr Arbeitgeber hatte sie allerdings erst bei der Krankenversicherung angemeldet, als sie erkrankt war, und dann gleich wieder abgemeldet. Die Versicherung stellte der Frau daraufhin für die Behandlung 80.000 Euro in Rechnung.

Erst nach einer skandalisierenden Berichterstattung rückte die Kasse von ihrer Forderung ab und übernahm die Kosten. Ihr Arbeitgeber musste allerdings nichts zahlen.

Solche Vorgänge machen deutlich, wie es um den Arbeitsschutz im Bereich der Erntearbeit steht.

In der Regel gelten die Beschäftigten als "Saisonkräfte" und müssen nicht sozialversichert sein. Der Sozialrechtsexperte Stefan Sell erklärt:

Die Saisonarbeiter können die Arbeit in Deutschland kurzfristig "nicht berufsmäßig" ausüben. Sie gelten als sogenannte kurzfristig Beschäftigte. Die kurzfristige Beschäftigung stellt eine Form der geringfügigen Beschäftigung dar. Anders als bei den ebenfalls sozialversicherungsfreien Minijobs auf 450-Euro-Basis gibt es bei der kurzfristigen Beschäftigung keine monatlichen Einkommensgrenzen.

Sozialrechtsexperte Stefan Sell

Agrarverbände wollten "kurzfristige Beschäftigung" für 180 Tage

Die Voraussetzungen für eine solche "nicht berufsmäßige Saisonarbeit" sind eine weitere hauptsächliche Einkommensquelle und eine Dauer von höchstens 70 Tagen. Allerdings verlängerte die Bundesregierung im Jahr 2021 diese Obergrenze auf 115 Tage. Die Initiative dazu kam von den Agrarverbänden und vom Bundeslandwirtschaftsministerium, das die "kurzfristige Beschäftigung" ursprünglich sogar auf 180 Tage ausdehnen wollte.

Mit der Klassifizierung als Saisonarbeit sparen sich Landwirte und Beschäftigte die Sozialversicherungsbeiträge, obwohl der Lohn meist deutlich über den üblichen 450 Euro im Monat bei Minijobs liegt. Im Oktober wird diese Grenze auf 520 Euro steigen.

Weitere Schlupflöcher sind "Praktika" für Studierende aus dem Ausland – in diesen Fällen gilt nicht einmal der Mindestlohn – oder einfach Schwarzarbeit, ganz ohne Papiere. Die Gewerkschaft IG Bau Agrar Umwelt geht ohnehin davon aus, dass die Arbeitszeiten vieler Beschäftigter nicht oder nicht richtig erfasst werden.

Lohn auf die Hand und ohne Abzüge – viele der Beschäftigten haben dagegen nichts einzuwenden, jedenfalls so lange es nicht zu einem Konflikt mit dem Arbeitgeber kommt. So erwerben sie allerdings auch keine Rentenansprüche und erhalten keine Unterstützung, wenn sie arbeitslos werden. Aber das größte Problem sind dann medizinische Behandlungen.

Die Vereine "Ärzte der Welt" und "Hoffnungsorte" betreiben in Hamburg das "Westend-Open Med" eine Anlaufstelle für Menschen ohne Krankenversicherung. Darunter sich viele Einwanderer aus Osteuropa, die in den Sommermonaten auf Obsthöfen im Umland arbeiten.

Einige der Besucher sind nicht krankenversichert, weil sie keine Aufenthaltserlaubnis haben. Andere waren bereits in ihrem Herkunftsland nicht krankenversichert, darunter auch Menschen aus den EU-Mitgliedsländern Bulgarien oder Rumänien.

Feldarbeit ist hart. In der Erntezeit schuften die Beschäftigten teilweise zwölf Stunden oder länger, auch im Regen oder bei großer Hitze. Im Jahr 2019 wurden in Deutschland fünf Hitzetode von Feldarbeiter:innen als Arbeitsunfälle anerkannt. Es besteht zudem ein hohes Verletzungsrisiko durch scharfkantige und spitze Arbeitsgeräte und die Landmaschinen.

Unfälle werden nicht immer gemeldet, insbesondere wenn die Beschäftigung nicht offiziell angemeldet ist. Trotz dieser großen Belastungen erhalten Saisonkräfte häufig nur den Mindestlohn, von dem in einigen Fällen sogar noch Kosten für Unterkunft und Verpflegung abgezogen werden. Im Fall von Schwarzarbeit ist der Lohn meist noch niedriger.

Feldarbeit ist mitunter eine anspruchsvolle und qualifizierte Tätigkeit

Aber Feldarbeit ist nicht nur ein Knochenjob, sondern in einigen Fällen eine anspruchsvolle und qualifizierte Tätigkeit: geübte "Erntehelfer" sind bei einer Bezahlung nach Menge in der Lage, auf 20 Euro in der Stunde zu kommen.

Die Mitarbeiterinnen von "Open Med" berichten, die häufigsten Symptome der Besucherinnen und Besucher seien Bluthochdruck und Erkrankungen des Bewegungsapparats. Oft entstehen die gesundheitlichen Probleme durch die Doppelbelastung durch harte körperliche Arbeit und mangelhafte Versorgung andererseits. Viele gehen lange nicht zu einem Arzt, was die Probleme verschlimmert und Krankheiten chronisch werden lässt.

Wie etwa der 48 Jahre alte B., der auf einem Obsthof in Niedersachsen beschäftigt ist, allerdings ohne Arbeitsvertrag. Für sieben Euro 20 in der Stunde pflückt er Kirschen und schneidet die Bäume zu.

Er muss blutverdünnende Medikamente einnehmen, die ihm Bekannte aus seinem Heimatland mitbringen. In der Sprechstunde berichtet er, dass er unter Nackenschmerzen leidet, aber sich eine Behandlung nicht leisten könne. Die Ärzte vermuten einen Bandscheibenvorfall.

Seit Anfang dieses Jahres müssen die Arbeitgeber in der Landwirtschaft nachweisen, dass eine Krankenversicherung besteht. "Für Saisonbeschäftigte sorgen wir für den vollen Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Arbeitstag", heißt es etwas vollmundig im Koalitionsvertrag.

Allerdings umgehen die Betriebe diese Versicherungspflicht durch Gruppen- oder Kollektivversicherungen privater Anbieter. Die "Erntehelferversicherungen" kosten viel weniger als die Gesetzliche Krankenversicherung, bieten dafür allerdings auch viel weniger. In einem Artikel in der Wochenzeitung Freitag nennt Nelli Tügel einige Beispiele:

Der Anbieter "Klemmer" etwa wirbt mit 0,43 Cent pro Tag pro Beschäftigtem für Betriebe, die bis zu 30 Saisonarbeiter*innen angestellt haben. In den Policen sind etliche Ausnahmen vom Versicherungsschutz festgehalten, so die Behandlung von chronischen Krankheiten und deren Folgen, die Behandlung von "vor Versicherungsbeginn entstandenen Krankheiten, Beschwerden, Unfällen, Schwangerschaften etc.", die Behandlung von Krankheiten oder Unfällen, die im Zusammenhang mit Alkoholgenuss stehen, die Behandlung der Folgen von HIV/Aids, von Selbstmordversuchsfolgen sowie alle Arten von Vorsorgeuntersuchungen. Ein Anbieter schließt die Behandlung von "Ansteckungskrankheiten" aus, "die ggf. erst bei einer unmittelbar mit der Einreise durchgeführten Untersuchung festgestellt werden".

Koalitionsvertrag verspricht mehr Kontrolle

An diesem Zustand wollen nun weder das Bundesarbeitsministerium noch das Bundeslandwirtschaftsministerium etwas ändern. Auch die im Koalitionsvertrag angekündigte verstärkte Kontrolle – "Strukturelle und systematische Verstöße gegen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz verhindern wir durch effektivere Rechtsdurchsetzung" – ist bisher nicht konkret geworden.

Für die Saisonarbeit gilt das gleiche wie für die Arbeitsmarktpolitik der Regierung insgesamt. Die neoliberalen Reformen der Vergangenheit sollen beibehalten, aber etwas stärker reguliert werden. Gewisse "Auswüchse" sollen eingedämmt werden, die Strukturen bleiben gleich.

Schuld an den Zuständen in der Landarbeit sind nicht (nur) gierige deutsche Unternehmer. Die Betriebe stehen in einem scharfen Wettbewerb mit dem (europäischen) Ausland, die vollen Zugang zum einheimischen Markt haben, obwohl sich die Regeln für Arbeitsschutz und Mindestlöhne extrem unterscheiden.

Beispielsweise beträgt der Mindestlohn in Polen umgerechnet knapp vier Euro, damit etwa ein Drittel des deutschen. Einheitliche Regelungen innerhalb der Europäischen Union zu Löhnen und Arbeitsschutz sind nicht in Sicht. Die Überausbeutung in der Erntearbeit entsteht aus dem Kostendruck der Erzeuger, die selbst unter dem Dach der großen Lebensmittelkonzerne und Handelsketten stehen.

Allerdings fällt es den landwirtschaftlichen Betrieben immer schwerer, genügend hilfreiche Hände zu finden. Früher kamen Erntearbeiterinnen und -arbeiter in der Regel aus Polen, aber seitdem die Löhne dort gestiegen sind, ist Saisonarbeit in Deutschland nicht mehr attraktiv.

Die Rolle der Polen übernahmen Rumänen, aber auch dieses Reservoir billiger Arbeitskraft beginnt allmählich auszutrocknen. Die Politik bemüht sich deswegen seit Jahren, neue Gebiete zu erschließen.

Seit 2016 gilt die sogenannte Westbalkanregelung, die die Arbeitsmigration aus Albanien, Serbien und dem Kosovo ermöglicht. Die Bundesanstalt für Arbeit verhandelte außerdem Abkommen mit den "Drittstaaten" Georgien und Moldawien.

Beschäftigte aus Drittstaaten verlieren ihre Aufenthaltserlaubnis, wenn sie keine Arbeitsstelle mehr haben. Entsprechend abhängig sind sie von ihren Arbeitgebern. Dennoch zeigen auch sie sich immer weniger duldsam. So protestierten ukrainische Erntearbeiter im Sommer 2021 selbstbewusst gegen vorenthaltene Löhne und die schlechte Unterbringung. Auch in Bornheim bei Bonn wehrten sich damals Spargelstecherinnen aus Rumänien.

Die Kräfteverhältnisse in der Landwirtschaft beginnen sich zu verschieben, auch aufgrund des relativen Mangels an Arbeitskraft. Bisher haben die Drittstaaten Georgien und Moldawien weniger Kräfte schicken als erwartet.

Die Hoffnungen der Landwirte richten sich nun auf die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Ob die sich allerdings so billig und genügsam zeigen werden wie Saisonkräfte früher, ist fraglich.