zurück zum Artikel

Corona-Exit: Verantwortung und Haftung statt Bürokratie und Verbote

Warum die Medien schlimmer versagen als die Politik und wie wir aus dieser Nummer herauskommen. Einige konkrete Vorschläge

77.000 Tote, ein anhaltender Lockdown, die dritte Welle und kein Ende in Sicht: Der Frust ist groß. Politiker, insbesondere wenn sie fragwürdige Entscheidungen treffen, sind ein willkommenes Ventil, diesen Unmut abzulassen. Man sollte sich aber klarmachen, dass sie weder die Hauptverantwortlichen der Pandemie sind, noch ein Zaubermittel an der Hand haben, diese zu beenden.

Bei aller berechtigten Kritik machen doch viele ihren Job. Eines können sie aber sicher nicht: es allen recht machen. Wie sie sich auch immer positionieren, ist der Lockdown einmal zu hart und einmal nicht hart genug. Ein Lockdown ist generell eine primitive Art der Pandemiebekämpfung, aber davon später.

Die Medien haben aber nichts Besseres zu tun, als zu attackieren, indem sie beliebig die Seiten wechseln. Sobald zwei Politiker A und B im Detail unterschiedliche Standpunkte haben, was völlig normal ist, wird dies in einer Talkshow ausgewalzt. Das Bedürfnis, dabei Wahlkampf zu machen, scheint bei den Journalisten am allergrößten.

Ziel dieser Veranstaltungen ist offenbar, den Zuschauer mit möglichst viel Krawall, Diskrepanz und Frustration emotional aufzubringen - beispielsweise mit der völlig belanglosen Mallorca-Diskussion. Der Informationsgehalt ist dagegen oft gleich Null.

Lernen, sich nicht anzustecken

Es ist auch nicht verwunderlich, wenn mit heißer Nadel gestrickte Regelungen im Einzelfall widersprüchlich sind - dann müssen sie eben von Gerichten korrigiert werden. Stattdessen machen die Medien aus jeder Mücke einen Elefanten und tragen dazu bei, die Gesellschaft weiter zu spalten, die damit nur unfähiger wird, die Pandemie zu bekämpfen. Interessiert das eigentlich noch jemanden? Das oberste Ziel sollte eigentlich sein, dass die Leute lernen, sich nicht mehr anzustecken.

Statt eines allabendlichen ritualisierten Hickhacks würde ich mir daher von den Medien Dokumentationen, Interviews (gerne kontrovers) und Ratgebersendungen wünschen, die folgende Fragen mit den jeweils neuesten Erkenntnissen beantworten:

Interessant dazu wären sogar Fallgeschichten, aus denen man lernen kann, Ansteckung zu vermeiden. Nach einem Jahr Pandemie müsste es zu diesen Themen eigentlich viel mehr Erkenntnisse geben. Aber aus den Primetime-Sendungen erfährt man dazu praktisch nichts.

Eingestehen der begrenzten Möglichkeiten

Dabei fehlt eigentlich nicht viel, den Trend umzukehren, denn die Reproduktionszahl liegt nur knapp über eins. Weitergehen kann es allerdings so nicht. Vor allem besteht das Risiko, weitere, noch ansteckendere Varianten zu erbrüten. Was kann man also tun?

Als erstes müssten Politiker einsehen, dass sie keine guten Instrumente zur Pandemiebekämpfung zur Verfügung haben und dies auch offen kommunizieren. Ein Lockdown ist wirksam, aber etwa so, als wenn man wegen einer Blutvergiftung im Finger den Arm amputiert.

Der Grundirrtum ist, die Pandemie von oben herab durch Regeln, Verbote und Beschränkungen in den Griff bekommen zu wollen. Letztlich ist das Planwirtschaft, die nicht funktioniert. Deutschland ist zwar Bürokratieweltmeister, aber nur Regeln, die von einer ganz großen Mehrheit getragen werden, sind sinnvoll.

Die Masken im öffentlichen Nahverkehr zum Beispiel werden durch sozialen Druck durchgesetzt und nicht durch Kontrolle von oben. Da man Europa aber (hoffentlich) nicht in einen Kontroll- und Polizeistaat verwandeln kann, muss der Staat sich auf die Regelung der Rahmenbedingungen konzentrieren, aber die Verantwortung für Verhalten (und Fehlverhalten) wieder dem Einzelnen zurückgeben. Dies funktioniert natürlich nur mit entsprechenden Anreizen, aber auch Sanktionen.

Der Einzelne ist gefordert

Als erstes sollte die völlig ineffiziente Kontaktverfolgung durch die Gesundheitsämter gestoppt werden. Sie ist durch die bürokratische Zeitverzögerung nicht nur nutzlos, sondern wiegt auch in falscher Sicherheit. Sie ist zu ersetzen durch eine individuelle Verpflichtung, selbst seine Kontakte zu warnen. Sogar Quarantäne ist kontraproduktiv, weil sie zum Verheimlichen von Infektionen anstiftet. Infizierten sollte lediglich der Besuch von öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln untersagt sein, aber gegen einen Spaziergang mit Maske ist nichts einzuwenden.

Reisebeschränkungen sollten abgebaut werden und durch eine Testpflicht bei der Einreise bzw. bei jedem Hotelaufenthalt ersetzt werden. Testpflichten in kurzem zeitlichem Abstand sollten außerdem bei allen eingeführt werden, die beruflichen Kontakt mit anderen Personen haben. Auch die Beschränkungen der privaten Kontakte sollten aufgehoben werden, da sie mit Masken, Abstand oder Schnelltests risikoarm durchgeführt werden können.

Allerdings sollte es eine Schadensersatzpflicht geben, wenn jemand fahrlässig eine Ansteckung herbeiführt. Zur Entlastung der Gerichte könnte man Beweiserleichterungen und einen pauschalierten Mindestschadensersatz festlegen. Es muss allerdings eine Auskunftspflicht bei berechtigtem Interesse, d. h. gegenüber den eigenen Kontakten, eingeführt werden.

Diese Güterabwägung zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem Recht auf Gesundheit ist in diesem Fall verfassungsrechtlich völlig unproblematisch.

Kohlenstoffdioxid in Innenräumen

Im Freien sollten mit Masken und gegebenenfalls Abstand Veranstaltungen zugelassen werden. Maßstab muss immer der aktuelle Stand der Wissenschaft zur Übertragungswahrscheinlichkeit sein, allerdings mit einem "Sicherheitspolster". In allen Innenräumen muss ebenfalls eine Übertragung ausgeschlossen werden, der Arbeitsplatz ist hierbei wahrscheinlich das größte Problem.

Man findet sogar Arztpraxen, in denen unzureichend gelüftet wird. Die einfachste Lösung dazu wären gesetzlich vorgeschriebene CO2-Konzentrationen (ein guter Indikator für ausgeatmete Luft) in allen von mehreren Personen genutzten Räumen, die mit Messgeräten kontrolliert werden. In Restaurants (in denen die Maske abgenommen werden kann) müssen diese Konzentrationen noch geringer sein als in Büros.

Schließlich gibt es noch zwei Punkte, bei denen die Politik handeln sollte. Die unerträglich langsamen Meldeketten müssen endlich in Echtzeit erfolgen, damit man schneller reagieren kann. Und das Thema Impfungen … Offenbar verzögert die EU die Zulassung des russischen Vakzins Sputnik V. Oder haben unsere US-Partner, die sich schon so rührend um unsere Energiesicherheit sorgen, inzwischen ein Gesetz zur "Gesundheitssicherheit in Europa" erlassen, damit russische Propaganda nicht auch noch in Form eines Vakzins durch kleine Kanülen ströme? Wer weiß.

Wenn jedoch die Spitze der EU in den Verdacht gerät, milliardenschwere Pharmainteressen zu bedienen, wird das noch ein bisschen mehr stinken als die Maskenprovisionen einiger schwarzer Schafe.

Zur besseren Übersicht hier Zusammenfassung der Maßnahmen, die natürlich in sinnvollen Schritten eingeführt werden sollten:

  1. Für alle Innenräume (Supermärkte, Einzelhandel, Schulen, Büros, Gaststätten, Verkehrsmitteln etc.) gilt: Es herrscht FFP2-Maskenpflicht und ein Abstandsgebot (nach örtlichen Gegebenheiten). Durch Belüftung ist sicherzustellen, dass die CO2-Konzentration darf 500 ppm nicht überschreitet, in Restaurants 460 ppm (Werte werden angepasst nach wissenschaftlicher Empfehlung). Dies ist durch Messungen zu kontrollieren;
  2. Bei Einreise oder Hotelaufenthalt ist grundsätzlich vorzuweisen: Impfschutz, PCR-Test, nicht älter als 24 Stunden, oder Schnelltest, nicht älter als sechs Stunden;
  3. Alle Testergebnisse in Deutschland werden zentral 90 Tage gespeichert;
  4. Jeder hat im Falle von Symptomen oder einem positiven Testergebnis unverzüglich in angemessener Weise seine Kontakte zu unterrichten. Andernfalls entsteht eine Schadenersatzpflicht. Was „unverzüglich“ und „angemessen“ ist, entscheiden im Einzelfall Gerichte. Ein Anspruch auf Geheimhaltung der eigenen Infektion besteht den Kontaktpersonen gegenüber nicht;
  5. Besteht ein berechtigtes Interesse (d.h. bei eigener Infektion) kann jeder Auskunft über die Infektionshistorie seiner Kontaktpersonen verlangen, auch über die gespeicherten Testergebnisse;
  6. Notzulassung von Sputnik und AstraZeneca, individuelle Risikoabwägung nach Aufklärung durch den Einzelnen.

Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur - Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten [1] erschien 2019 im Westend-Verlag.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6005666

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.westendverlag.de/buch/wenn-man-weiss-wo-der-verstand-ist-hat-der-tag-struktur/