Corona-Krise: Gewalt gegen Kinder als Kollateralschaden
Offizielle Zahlen: Kindesmisshandlungen erreichen Höchststand seit Einführung der Statistik. Der Sozialverband VdK warnt vor erneuten Kita- und Schulschließungen
Kinder hatten es im zurückliegenden Jahr generell nicht leicht. Vielfach wurde vor den Belastungen für Familien und Gefahren für Kinder im Zuge der Corona-Pandemie und der staatlichen Eindämmungsmaßnahmen gewarnt, aber wie so oft verhallten die Warnungen ungehört. Nun hat das Statistische Bundesamt Zahlen veröffentlicht, die einen deutlichen Anstieg der Gewalt gegen Kinder im Corona-Jahr 2020 belegen.
Bei knapp 60.600 Kindern und Jugendlichen stellten die Jugendämter demnach eine Gefährdung des Kindeswohls fest. Damit wurde 2020 der Höchststand seit Einführung der Statistik erreicht. Gemeldet wurden rund 5.000 Fälle mehr als im Vorjahr. Das Bundesamt schließt nicht aus, dass die Dunkelziffer höher sein könnte, denn: "Die Behörden können nur solche Fälle zur Statistik melden, die ihnen bekannt gemacht wurden".
"Die Zahlen sind erschreckend: Gewalt gegen Kinder ist bei weitem kein trauriger Einzelfall, sondern weit verbreitet", mahnte Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, am Mittwoch. Leider sei "das Zuhause nicht für jedes Kind ein geschützter Ort, wo es mit Liebe, guter Bildung, in Gesundheit und Sicherheit aufwachsen kann". Der Staat habe bei der Aufgabe, die Schwächsten unserer Gesellschaft zu schützen, auf ganzer Linie versagt. Die Politik müsse umgehend ein Gesamtkonzept vorlegen, um Kinder und Jugendliche vor weiterer Gewalt und Vernachlässigung zu bewahren.
Bis zum 13. Lebensjahr vor allem Jungen betroffen - danach Mädchen
Betroffen haben die bekannt gewordenen Fälle vor allem kleine Kinder. Mehr als jedes zweite (51 Prozent) war jünger als acht Jahre, jedes dritte sogar jünger als fünf Jahre. Bis zum 13. Lebensjahr waren vor allem Jungen betroffen, danach Mädchen. Etwa die Hälfte der Fälle war dem Jugendamt schon bekannt und hatte Angebote der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch genommen. Etwa 58 Prozent der Betroffenen Kinder wurden vernachlässigt, bei rund einem Drittel der Fälle gab es Hinweise auf psychische Misshandlungen.
Laut Kinderhilfswerk Unicef versteht man darunter zum Beispiel Erniedrigungen durch Worte, Diskriminierung, Anschreien, Liebesentzug bis hin zu Bedrohungen und offener Verachtung.
Bei knapp einem Viertel der Fälle gab es Anzeichen für körperliche Gewalt und bei fünf Prozent auch Anzeichen für sexuelle Gewalt. Nach Angaben des Bundesamtes gab es bei allen Arten der Kindeswohlgefährdung eine Zunahme, aber besonders groß war diese bei den psychischen Misshandlungen; die Zahl der Fälle stieg hier um 17 Prozent oder in Zahlen: um 3.100 Fälle. Experten hatten davor gewarnt, in der Corona-Pandemie Schulen, Kindergärten und -krippen zu schließen, da dadurch Gewalt gegen Kinder unentdeckt bleiben könnte. Nun heißt es beim Bundesamt für Statistik: "Die neuen Ergebnisse scheinen diese Annahme, zumindest für den Sektor Schule, zu stützen". Erstmals in der Statistik und entgegen dem Trend wurden weniger Fälle durch die Schulen gemeldet - und das stehe im Gegensatz zu den Vorjahren.
Forderung: "Keine erneuten Kita- und Schulschließungen"
"Aus Sicht des VdK haben sich die Einschränkungen des öffentlichen Lebens und die Kita- und Schulschließungen infolge der Pandemie besonders negativ ausgewirkt", sagte Bentele. Kinder und Jugendliche hätten dadurch weniger Kontakt zu Lehrern, Erziehern oder dem Personal in Freizeiteinrichtungen. "Diese sind aber besonders wichtig dabei, Gewalt zu erkennen und zu melden".
Einen kleinen Trost will das Bundesamt aber in den Zahlen erkennen: Die Bevölkerung sei wachsamer geworden: Die Zahl der Meldungen von Verwandten, Bekannten, Nachbarn und anonymen Meldern sei überdurchschnittlich stark um 21 Prozent angestiegen. Mit Blick auf die vierte Corona-Welle, von der derzeit viel gesprochen wird, warnt Bentele davor, alte Fehler zu wiederholen. "Es darf keine erneuten Kita- und Schulschließungen geben, sonst wiederholt sich die Situation und die Leidtragenden sind erneut Kinder und Jugendliche", sagte sie weiter.
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