Corona: Nebenwirkungen der Impfung bewusst vernachlässigt?

US-Gesundheits- und Zulassungsbehörde FDA soll Untersuchungsergebnisse zu den Covid-19-mRNA-Impfstoffen zurückgehalten haben. Kritiker sehen erneuten Beweis für zunehmende Politisierung der Wissenschaft.

Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde Federal Drug Administration (FDA) habe mehr als ein Jahr gebraucht, um einer möglichen Zunahme schwerwiegender Nebenwirkungen unter über 65-Jährigen nachzugehen, denen das mRNA-Präparat von Biontech/Pfizer injiziert wurde. Das beklagt die australische Wissenschaftsjournalistin Maryanne Demasi in einem Beitrag für die Fachzeitschrift British Medical Journal (BMJ).

Demnach hatte die Echtzeitüberwachung der FDA im Juli 2021 einen potenziellen Anstieg von vier sogenannten "Nebenwirkungen von Interesse" (adverse events of interest, AEI) zu Tage gefördert, die unter Probanden über 65 Jahre auftraten.

Zu diesen Nebenwirkungen zählten akuter Herzinfarkt, mehrfache Blutgerinnsel, erworbene Blutplättchendefekte (Immunthrombozytopenie) und Lungenembolie. Doch der FDA zufolge bestand kein Grund zur Sorge. Das "glaubte" sie damals jedenfalls:

Bei diesen vier Ereignissen handelt es sich möglicherweise nicht um tatsächliche Sicherheitsbedenken, und die Screening-Methode kann nicht nachweisen, dass der Impfstoff diese AEI verursacht hat. Die FDA teilt die ersten Ergebnisse dieser Sicherheitsstudie im Sinne der Transparenz mit, glaubt aber nicht, dass es einen Grund zur Sorge gibt.

Stattdessen schlussfolgerte die Zulassungsbehörde, dass die potenziellen Sicherheitssignale unter anderem auf mögliche Vorerkrankungen in der gemeinhin als Hochrisikogruppe eingestuften Gruppe der Probanden zurückzuführen seien. Analog zum deutschen Paul-Ehrlich-Institut (PEI) werden Sicherheitssignale erst als solche klassifiziert, wenn ihre Anzahl einen gewissen Schwellenwert überschreitet.

"Kein Grund, die Impfung zu verschieben"

Im Falle des PEI etwa leitet sich dieser aus den sogenannten Observed-versus-expected-Analysen ab, die eingetretene (observed) Fälle mit erwarteten (expected) abgleichen. In einem Interview mit dem Portal nachdenkseiten.de hat der Chemie-Professor Jörg Matysik kürzlich erneut darauf hingewiesen, dass eine solche Schwelle unrealistisch hoch liegen kann.

So vergleiche das PEI, um eine mögliche Übersterblichkeit im Kontext der mRNA-Impfung zu analysieren, die Zahl aller Sterbefälle des vergangenen Jahrs nicht mit den gesamten Sterbefällen des laufenden Jahrs, sondern lediglich mit den gemeldeten Verdacht-Todesfällen durch die Impfung. Ein Sicherheitssignal läge demnach erst dann vor, wenn die Zahl der Verdacht-Todesfälle im sechsstelligen Bereich liegt. Aber zurück zur FDA.

Die versprach im Juli 2021, die Resultate der Echtzeitüberwachung mit "strengere(n) epidemiologische(n) Studien weiter (zu) untersuchen" und "die Öffentlichkeit über weitere Untersuchungsergebnisse in Kenntnis zu setzen". Und fügte hinzu:

Die FDA glaubt fest daran, dass die bekannten und potenziellen Vorteile der Covid-19-Impfung die bekannten und potenziellen Risiken von Covid-19 bei weitem überwiegen. Es besteht kein Grund, die Impfung zu verschieben, während die FDA ihre Untersuchung fortsetzt.

Doch das waren offenbar berühmte letzte Worte. Denn die versprochene Folgestudie blieb die FDA der Ärzteschaft und der Öffentlichkeit schuldig, so Demasi. Weder eine Pressemitteilung noch eine Warnung wurden verschickt, schreibt die Investigativjournalistin. Und es sei nicht das einzige Risikosignal, das bis heute auf Abklärung warte.

Impfnebenwirkungen: Signale, die niemand hört

Denn am 31. August 2022 veröffentlichte die FDA eine Studie zur dritten Dosis, dem sogenannten Booster, für Personen über 65 Jahre. Sie förderte fast identische Nebenwirkungen von besonderem Interesse (Adverse Events of Special Interest, AESI) zu Tage wie die Untersuchung vom Juli 2021.

Darin ist die Rede von einem "statistisch signifikanten Risiko" in Bezug auf Immunthrombozytopenie, akuten Herzinfarkt bei Personen mit vorausgegangener Covid-19-Diagnose sowie einem erhöhten Risiko für Bellsche Lähmung und Lungenembolie. (Mehr dazu in diesem Dokument auf S. 17)

Demasi zufolge hat die US-Behörde weder die Öffentlichkeit über diese Ergebnisse informiert, noch die Ergebnisse von Untersuchungen anerkannt, die mit dem genannten (potenziellen) Nebenwirkungsprofil kompatibel wären.

Zu diesen zählt laut Demasi etwa die gemeinsame Beobachtungsstudie der skandinavischen Länder Finnland, Norwegen und Dänemark, die ein erhöhtes Risiko für sogenannte thromboembolische und thrombozytopenische Ereignisse nach Injektion der Präparate von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca festgestellt hat.

Die skandinavischen Länder hatten im Verlauf der Corona-Krise (und bis heute) mehrfach mit frühzeitigen Sicherheitsbedenken von sich reden gemacht, welche später von anderen Ländern geteilt wurden.

"Das Sicherheitssignal scheint sich um kardiovaskuläre und zerebrale vaskuläre Ereignisse zu drehen", zitiert das BMJ die dänische Infektiologin und Public-Health-Professorin Christine Stabell Benn, die selbst die Nebenwirkungen der mRNA- und Vektorpräparate erforscht, "also um Dinge, die mit dem Kreislauf und unseren größeren Organen zu tun haben. Das sind die gleichen Signale, die auch in den Überwachungsdaten der FDA auftauchen", so Benn.

Zum anderen nennt Demasi auch die Studie einer Forschergruppe um den Pharmakologen und Miteditoren des BMJ, Peter Doshi, und den Notfallmediziner Joseph Fraiman, über die Telepolis Ende Juni berichtete.

Die Studie, die – vor (!) ihrer mittlerweile erfolgten Prüfung im sogenannten Peer-review-Verfahren – mehrfach angegriffen und diversen, teils mit zweifelhaften Methoden durchgeführten Faktenchecks unterzogen wurde, hatte auf Grundlage einer erneuten Analyse der klinischen Studien von Pfizer ein positives Nutzen-Schaden-Verhältnis der Covid-Impfungen in Frage gestellt.

So kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass die mRNA-Präparate mit einem zusätzlichen schwerwiegenden unerwünschten Ereignis je 800 Geimpfte in Verbindung gebracht wurden – "weit mehr als die ein bis zwei Fälle pro Million Geimpfte, die für Impfstoffe im Allgemeinen berichtet wurden", schreibt Demasi.

Wie Ko-Autor Fraiman gegenüber der Journalistin beteuert, baten die Forscher die FDA folglich darum, eine dringende Warnung auszusprechen und ihre Forschungsergebnisse in die eigenen Untersuchungen zu integrieren – allerdings vergeblich.

"Ende der Geheimniskrämerei"

Der Mediziner Fraiman kritisierte das Vorenthalten von Informationen zur unabhängigen Analyse durch Dritte gegenüber dem BMJ als "unverantwortlich". Zahlreiche weitere Forscher fordern seit Längerem ein "Ende der Geheimniskrämerei". Die verzögerte Herausgabe der Daten zur sogenannten Pharmakovigilanz ruft auch deshalb Irritation hervor, weil die Zulassung der Stoffe im Vergleich dazu bemerkenswert zügig erfolgt ist.

Anfang Januar hatte ein texanisches Gericht die FDA dazu verpflichtet, die Daten der Zulassungsstudien zu veröffentlichen, welche die Behörde ursprünglich bis 2075 unter Verschluss zu halten beabsichtigte.

Der Entscheidung ging eine Klage durch die Gruppe Public Health and Medical Professionals for Transparency (PHMPT) nach dem Freedom of Information Act (FOIA) voraus. Die Gruppe veröffentlicht die Ergebnisse seither auf ihrer Website.

Im BMJ-Artikel kommt auch Tom Frieden, der ehemalige Direktor der Centers for Disease Control (CDC, dem Pendant zum deutschen Robert-Koch-Insitut RKI) zu Wort. Seiner Ansicht nach können die Daten zu den schwerwiegenden Nebenwirkungen zwar in einen zeitlichen, aber nicht kausalen Zusammenhang mit den Covid-Impfinjektionen gebracht werden.

Die Veröffentlichung solcher "umstrittener Informationen" sei deshalb ein zweischneidiges Schwert, weil man durch den Verzicht darauf einerseits den Verdacht nähren könne, etwas zu verstecken, andererseits aber darum bemüht sein müsse, "dass die Leute die richtigen Schlüsse" aus den Informationen ziehen – gemeint war: nicht die Impfung an sich in Frage zu stellen.

Dass sich die CDC im Zweifel eher für das Verstecken von Daten entscheiden, legte die Pressereferentin Kristen Nordlund im Februar gegenüber der New York Times nahe, als sie erklärte, dass die Behörde Daten zu Impfdurchbrüchen deshalb so lange zurückgehalten habe, weil die Impfstoffe "als unwirksam fehlinterpretiert" hätten werden können.

Wie die FDA gegenüber dem BMJ mitteilt, liefern die bisherigen Ergebnisse der vollständig angepassten epidemiologischen Studie zu den Impfungen der ersten Serie "keine überzeugenden Belege für einen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und einem der vier in dem Beitrag auf der FDA-Website beschriebenen Ergebnisse".

Noch im Herbst dieses Jahrs sollen "zusätzliche Analysen, einschließlich der Auswertung von Auffrischungsimpfungen" veröffentlicht werden, so die US-Behörde.

Politisierung statt "Following the Science"

Die FDA steht aufgrund ihres Finanzierungsmodells bei Bürgerrechts- und Transparenzinitiativen in der Kritik. Gemäß dem seit 1992 geltenden Prescription Drug User Fee Act (PDUFA), müssen Arzneimittelhersteller für die Zulassung neuer Medikamente Gebühren an die FDA entrichten.

Weil diese Gebühren 45 Prozent des FDA-Jahresbudgets und 65 Prozent des Budgets für die Regulierung von Humanmedizin ausmachen (Stand: August 2022), sprechen Kritiker von einem Interessenkonflikt.

Die Arzneimittelzulassungsrate der FDA ist in den vergangenen Jahren (mit einigen Ausnahmen) deutlich gestiegen. Manche Beobachter bringen die Daten zu der Überzeugung, die FDA lasse "eigentlich alles" zu.

Zugleich hat einer Studie zufolge die Nutzung von Fast-Track-, beschleunigten Zulassungs- und sogenannten Priority-Review-Programmen seit dem Jahr 2000 stetig zugenommen.

Eine Untersuchung der renommierten Yale University ergab 2017, dass bei rund einem Drittel der Medikamente in den Jahren nach der Zulassung Sicherheitsprobleme festgestellt werden.

2006 gaben in einer Umfrage der Union of Concerned Scientists (UCS) 40 Prozent der 5.918 befragten FDA-Beschäftigten an, dass sie keine Bedenken über die öffentliche Gesundheit äußern können, ohne Vergeltungsmaßnahmen befürchten zu müssen.

Ende August 2021 hatten die Direktorin des Office of Vaccines Research & Review (entspricht der deutschen Ständigen Impfkommission, Stiko) der FDA, Marion Gruber, und ihr Stellvertreter Philip Krause die Behörde verlassen. Als Grund führten sie eine zunehmende politische Einflussnahme auf die behördliche Unabhängigkeit an, die besonders bei den Covid-Impf-Empfehlungen deutlich wurde.

Der Chirurg, Johns-Hopkins-Professor und Wissenschaftsjournalist Marty Makary legte Mitte Juli 2022 in einem ausführlichen Artikel beim Newsportal commonsense.news die Gründe dafür dar, warum die US-amerikanischen Gesundheitsbehörden FDA, CDC und das National Institute of Health (NIH) unter Wissenschaftlern zunehmend in Misskredit geraten.

Zu diesen Gründen zählt er insbesondere das behördliche Vorgehen bei der Zulassung von Impfungen für Kinder ab dem Alter von sechs Monaten sowie der des sogenannten Boosters für Fünf bis Elf-Jährige.

Laut Makary hat die FDA sich dazu auf dem wackeligen Fundament einer unzureichenden Datenlage und an den Einschätzungen der konsultierten Experten vorbei entschieden.

Gegenüber Makary klagen Betroffene aus den jeweiligen Behörden in diesem Kontext ebenfalls darüber, dass der Ausspruch "follow the science" angesichts der starken Politisierung des Gesundheitswesens zu einer leeren Worthülse verkommen ist.

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