Corona-Proteste: Was motiviert Beteiligte, die scheinbar nicht ins Bild passen?

Heterogene Bewegung mit Ängsten von unterschiedlicher Rationalität: Einer von vielen Corona-Protesten in Deutschland. Foto: photoheuristic.info / CC-BY-2.0

Der Zulauf der letzten Wochen lässt sich kaum mit rechten Einstellungen erklären, sondern eher mit Frust über die Corona-Maßnahmen. Anfangs hatten Rechte keinen klaren Kurs. (Teil 2)

Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen erlebten in den letzten Wochen regen Zulauf. Im ersten Teil dieses Beitrags wurden Schilderungen und Wertungen zusammengetragen, um ein Bild von den Demonstrationen in Sachsen und Brandenburg zu zeichnen. Fast immer mit dabei, als Organisator, Anmelder oder Redner: die AfD.

Doch mit dieser Feststellung ist noch immer nicht geklärt, ob der oft erhobene Vorwurf gerechtfertigt ist, die sogenannten Corona-Proteste seien im politischen Spektrum rechts zu verorten – oder ob manchen Beteiligten doch nur eine fehlende Abgrenzung vorgeworfen werden kann.

Der niedersächsische Verfassungsschutz will einen "Schulterschluss konträrer Milieus" von Corona-Leugnern und "Querdenkern" bis hin zu "Reichsbürgern" und Rechtsextremen festgestellt haben. In der Protestbewegung engagierten sich demnach sowohl Extremisten als auch Nichtextremisten – und es gebe eine "gefährliche Radikalisierung".

Vier Elemente will die Behörde festgestellt haben, welche die Protestgruppen miteinander verbinde: der Hang zu Verschwörungstheorien und eine entsprechende Weltsicht, rechte Esoterik, eine grundsätzliche Ablehnung der Moderne und ein Begriff von Freiheit, der das unterdrückte Volk auf der einen Seite sieht und die machthabende Elite auf der anderen.

Der niedersächsische Verfassungsschutz glaubt letztlich nicht, dass die Bewegung von Rechtsextremisten instrumentalisiert wird – der gesamte Protest verschiebe sich nach rechts. Ob dem tatsächlich so ist, soll an dieser Stelle nicht weiterverfolgt werden.

Das Mercator Forum Migration und Demokratie (Midem) hat kürzlich die Studie "Corona und Rechtspopulismus" vorgestellt. Für die Studie haben die Forscher um Hans Vorländer, Midem-Direktor und Professor an der Technischen Universität Dresden, die PR-Strategien von rechtspopulistischen Gruppierungen in zwölf europäischen Ländern untersucht. Sollte der niedersächsische Verfassungsschutz recht behalten, dann wäre zumindest in Deutschland die Strategie der AfD aufgegangen.

Wo Rechtspopulisten an der Macht sind, entpolitisieren Sie das Thema

Die Rechtspopulisten der einzelnen Länder geben kein einheitliches Bild ab. Wo sie an der Macht sind, sind sie darauf bedacht, das Thema Corona zu entpolitisieren. Wo sie dagegen in der Opposition sind, versuchen sie es für sich zu nutzen.

Krisenzeiten sind immer Einfallstore für Unzufriedenheit und Protest. Der Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Regierung wächst, der Kontrollverlust wird als Bedrohung des gesellschaftlichen und persönlichen Alltags wahrgenommen. Da haben politische Kräfte leichtes Spiel, Sorgen, Ängste und Ressentiments zu schüren und Eliten, Institutionen oder ein ganzes System an den Pranger zu stellen.


Studie: Corona und Rechtspopulismus

Kurswechsel kurz nach Beginn der Pandemie

Dabei hatten es die Rechtspopulisten anfangs nicht leicht, sie hatten Mühe, überhaupt einen klaren Kurs zu finden. Anfangs forderten viele noch einen harten Kurs in der Pandemie-Bekämpfung, schwenkten später aber zum entgegengesetzten Standpunkt um. Den Grund sehen die Forscher im Sinneswandel innerhalb der Bevölkerungen der meisten europäischen Länder, der ausgelöst wurde dadurch, dass die sozialen und wirtschaftlichen Folgen zunehmend sichtbar und thematisiert wurden und das Vertrauen in die Regierungen sinken ließ.

Diesen Stimmungsumschwung machen sich die oppositionellen Rechtspopulisten zunutze, indem sie sich zum einen als Sprachrohr der von den Corona-Maßnahmen gezeichneten, hart arbeitend Mehrheit der Gesellschaft und zum anderen als Verteidiger der von den Corona-Maßnahmen eingeschränkten Freiheitsrechte inszenieren.

Dabei gingen sie geschickt vor: Sie versuchten auf ihren offiziellen Kanälen kein Misstrauen gegen Expertenmeinungen zu säen und stellten sie nicht grundsätzlich infrage. Sie säten stattdessen Zweifel und versuchten so, dass Meinungsspektrum um Positionen zu erweitern, die angeblich nicht gehört würden – aber ihre Regierungskritik unterstützten.

Insgesamt mehr Vorbehalte bei Ostdeutschen

Bei welchen Gruppen dieses Vorgehen auf fruchtbaren Boden fiel, wurde bislang wenig untersucht. In der Vergangenheit wurde immer wieder kolportiert, eine hohe Virusinzidenz stünde zum Beispiel in Deutschland in direktem Zusammenhang mit den Wahlergebnissen der AfD. Die Midem-Forscher sagen nun: Dafür gibt es keinen stichhaltigen Beleg. Sie verwiesen aber durchaus auf andere Studien:

So zeigte sich etwa, dass weder das Bildungsniveau, noch die (lokalen) Infektionszahlen oder Sorgen über die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, sondern vor allem der Grad des Vertrauens in öffentliche Einrichtungen das Ausmaß an Ablehnung der Menschen gegenüber den Corona-Maßnahmen beeinflusst, wobei Ostdeutsche insgesamt deutlich kritischer eingestellt sind als Westdeutsche.

Um genauere Erkenntnisse zu erlangen, hatten die Forscher gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut dimap für Sachsen eine repräsentative Umfrage durchgeführt. Das Ergebnis spricht für sich: Fast die Hälfte der Befragten war unzufrieden mit der Corona-Politik von Bundes- und Landesregierung. Knapp ein Drittel fand die Maßnahmen im Frühjahr 2020 "nicht sinnvoll". 42 Prozent zeigten Verständnis für die Corona-Proteste. Und nur jeder Fünfte wollte sich "eher nicht" oder "auf keinen Fall" gegen COVID-19 impfen lassen.

Es zeigte sich aber auch, dass sich die Corona-Proteste nicht anhand des klassischen Links-Rechts-Schemas fassen lassen. Entscheidend war vielmehr, ob man der Regierung und den Institutionen zutraut, das Land gut und schnell durch die Pandemie zu führen. In der Studie heißt es:

Dies deutet darauf hin, dass die Kritik an den Schutz und Hygieneregeln nicht entlang der klassischen ideologischen Unterscheidungen mobilisierbar ist. Weniger die politische Verortung des Einzelnen zwischen "rechten" und "linken", "kosmopolitischen" und "ethnozentrischen" Positionen hat in der Pandemie also die Neigung zu einer verschwörungsmythisch aufgeladenen Corona-Kritik beeinflusst, sondern das Vertrauen gegenüber dem Wirken politischer Eliten und Institutionen, das Maß an Zutrauen in die eigene politische Selbstwirksamkeit sowie das Gefühl, gegenüber anderen zurückgesetzt zu sein und nicht gerecht behandelt zu werden.

Das Vertrauen in die Bundesregierung sank bundesweit. Zu Beginn der Pandemie zeigten sich noch 75 Prozent zufrieden mit dem Krisenmanagement von Bund und Ländern, so verkehrte sich die Zustimmung innerhalb eines Jahres ins Gegenteil: 79 Prozent zeigten sich nach einem Jahr Pandemie "weniger zufrieden" oder "gar nicht zufrieden".

Mit dieser Unzufriedenheit nahm auch die Anzahl derer zu, die offen waren für Verschwörungserzählungen jeglicher Art – besonders, wenn die betreffenden Personen sich durch die Politik noch zurückgesetzt fühlten. Damit stieg gleichzeitig das Risiko, dass sich mehr Menschen den Rechtspopulisten zuwenden. Denn: Verschwörungserzählungen lassen sich mit rechten Einstellungen leicht verbinden.

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