Corona-Reiseregeln: Familien canceln Urlaub in den Niederlanden
Da Kinder unter zwölf Jahren nicht geimpft werden können, müssen sie bei der Rückkehr nach Deutschland in Quarantäne
Schlechte Nachrichten für Touristen: Die Bundesregierung hat die Niederlande am Freitag zum Hochrisikogebiet erklärt und eine Reisewarnung ausgesprochen - gültig ab heute: "Mit Wirkung vom 27. Juli 2021, 0 Uhr, wird vor nicht notwendigen touristischen Reisen in das Königreich der Niederlande einschließlich seiner überseeischen Teile gewarnt", teilt das Auswärtige Amt auf seiner Internetseite mit. Es macht sich damit eine Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu eigen.
Bei der Einreise nach Deutschland müssen Reisende, auch Deutsche, ab nun folgende neue Regeln beachten, wenn sie sich in den letzten zehn Tagen in den Niederlanden aufgehalten haben: Nach der Einreise ist eine zehntägige Quarantäne am Zielort obligatorisch. Davon ausgenommen sind vollständig Geimpfte und von einer Infektion Genesene. Da Kinder unter zwölf Jahren nicht geimpft werden können, betrifft das vor allem die Urlaubsplanung von Familien.
Nach frühestens fünf Tagen kann ein negativer Corona-Test die Quarantäne frühzeitig beenden. Wichtig: Die Vorlage eines negativen Corona-Tests bei der Einreise reicht nur bei Kindern ab sechs Jahren aus, die Quarantäne zu umgehen. Für Kinder unter sechs Jahren gelten keine Ausnahmen bei der Quarantäne.
Der Test ist bei Erwachsenen allerdings trotz Quarantäne nötig, wenn sie mit dem Zug oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln reisen. Alle Einreisenden müssen sich vor dem Grenzübertritt im Internet unter www.einreiseanmeldung.de registrieren und gegebenenfalls alle Nachweise hochladen.
"Können wir demnächst noch über die Grenze billig tanken und einkaufen gehen?", fragte die Regionalzeitung De Gelderlander am Sonntag sorgenvoll in ihrer Onlineausgabe. Die Antwort lautet: Ja. Wer sich nicht länger als 24 Stunden in Deutschland aufhält, ist von den neuen Regeln nicht betroffen. Das gilt sowohl für den sogenannten kleinen Grenzverkehr als auch für den Transit in einen anderen Staat. Bei der Einreise von Deutschland in die Niederlande gelten nach wie vor keine Beschränkungen.
Aufgrund der neuen Bestimmungen stornieren offenbar viele Deutsche und Niederländer ihren im jeweiligen Nachbarland geplanten Urlaub oder brechen ihn ab. "Die Deutschen verlassen anscheinend mit quietschenden Reifen die Stadt", stellte Richard Bolhuis von Amsterdam Circle Line am Sonntag im öffentlich-rechtlichen Regionalsenders NH Nieuws fest. Seine Firma bietet Rundfahrten durch die Grachten der Hauptstadt an. In normalen Zeiten stammen 40 Prozent seiner Kunden aus Deutschland. "Falls die nicht mehr kommen, merken wir das natürlich."
Etwa ein Drittel der Deutschen hat abgesagt
Die Gäste aus Übersee, aus China, den USA oder Australien, bleiben ebenfalls seit Anfang der Pandemie weg. Wie es weitergeht? "Das ist Kaffeesatzlesen", sagte Bolhuis.
"Ich schätze, ein Drittel der Deutschen hat abgesagt", berichtete Adri van Ooijen, Besitzer des Campingplatzes Het Groene Eiland in Appeltern an der Maas am Samstag gegenüber der Tageszeitung AD. Meistens handele es sich dabei allerdings um Gäste, die nur einen kurzen Aufenthalt gebucht hatten. Wer länger bleibt, wolle überwiegend trotzdem anreisen. Großen finanziellen Verlust erfährt Het Groene Eiland nach eigenen Angaben durch die Absagen nicht - viele Niederländer, die ihrerseits auf den Urlaub in Deutschland verzichten, würden sich über die freigewordenen Plätze freuen, so Van Ooijen. Getreu dem alten Motto der niederländischen Tourismusbranche "Lekker weg in eigen land!"
Über den Sinn der neuen Einreisebeschränkungen nach Deutschland kann man getrost diskutieren. Warum eine nicht durchgeimpfte niederländische Familie, die im Schwarzwald zwei Wochen Urlaub macht, mindestens fünf Tage davon ihre Ferienwohnung nicht verlassen darf, aber samstags in einem vollen Einkaufszentrum in Oberhausen ohne Probleme shoppen gehen könnte, wenn sie am selben Tag in die Niederlande zurückfährt, muss man nicht verstehen.
Die Ansteckungszahlen gehen bereits wieder zurück
Außerdem scheint die Anordnung der Bundesregierung zu spät zu kommen, denn die Zahl der Ansteckungen ist in den Niederlanden seit mehr als einer Woche stark rückläufig. Am Sonntag meldete das staatliche Reichsinstitut für Gesundheit und Umwelt (RIVM) auf der Seite coronadashboard.nl 4.665 positive Tests innerhalb von 24 Stunden - 1789 weniger als im Durchschnitt der letzten sieben Tage. Nach Angaben des Nationalen Koordinationszentrum für Patientenverteilung (LCPS) wurden am Samstag 47 Patienten wegen einer Covid-19-Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert. Das sind 27 weniger als im Mittel der vergangenen Woche. 17 Personen mussten auf die Intensivstation, wo am Sonntag 134 Menschen wegen Covid-19 behandelt wurden. Die letzten beiden Zahlen sind leicht gestiegen.
Die Niederlande sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich einschränkende Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen auswirken. Am 27. Juni betrug die Zahl der Infizierten 502. Die Regierung in Den Haag hob daraufhin fast alle Verbote auf. Ein Fehler wie der kommissarische Premierminister Mark Rutte im Nachhinein zugeben musste, denn die Infektionen schossen innerhalb von nur drei Wochen nach oben.
Am 16. Juli verzeichnete das RIVM 11.277 Neuansteckungen - der höchste Wert seit dem 24. Dezember 2020 und der vierthöchste überhaupt seit Beginn der Pandemie. Den Haag trat hart auf die Bremse: Gaststätten, Diskotheken und Nachtclubs mussten erneut um 24 Uhr schließen, Festivals wurden abgesagt. Seitdem sinkt die Zahl der Ansteckungen signifikant.
Trotzdem forderten viele Tausend Niederländer, die sich am Samstag friedlich in Amsterdam zu einem Protestmarsch durch das multikulturelle Wohnviertel Geuzenveld trafen, das Ende aller Corona-Regeln. Sie hatten zwar in der Innenstadt demonstrieren wollen, aber das untersagte die Stadt, weil es dort an einem Samstag im Sommer zu viel Gedränge sei. Für die Teilnehmer kein Grund lange Trübsal zu blasen. Es "herrscht Festivalstimmung, begleitet von Cannabis-Duft", beschrieb ein Reporter der Amsterdamer Tageszeitung Het Parool am Samstag die Szenerie.
Niederländische "Querdenker" heißen "Coronawappies"
Es war wie immer eine bunte, aber diffuse Mischung. Hippies liefen neben uniformierten Veteranen der niederländischen Armee, Esoteriker neben Rechtsradikalen. "Eine Drehorgel sorgt für die schöne altholländische Atmosphäre", so Het Parool.
Die Teilnehmer der sogenannten "World Wide Demonstration" protestierten gegen eine allgemeine Impfpflicht (die es in den Niederlanden nicht gibt), gegen 5G, die fünfte Generation des Mobilfunks, gegen die vermeintlichen Lügen der Mainstream-Medien und gegen die angebliche "medizinische Apartheid" in den Niederlanden.
Der Kampfbegriff bedeutet kurz zusammengefasst: Nur wer einen negativen Test vorweisen kann, dürfe am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Wie die Apartheid in Südafrika einst die Gesellschaft in Weiß und Schwarz geteilt habe, so verlaufe die Trennlinie in den Niederlanden heute zwischen Getesteten und Ungetesteten. Der Staat habe den Bürgern in der Corona-Pandemie die Grundrechte entzogen und nur wer sich testen lasse, erhalte sie zurück.
Im Niederländisch hat sich für die Maßnahmengegner der Begriff "Coronawappie" eingebürgert: Leute, die vorgeben, Corona-Experten zu sein, aber in Wirklichkeit wenig Ahnung von der Materie haben. In der niederländischen Umgangssprache bedeutet "wappie" ein bisschen plemplem. Die Coronawappies stört das nicht im geringsten: "Proud to be a wappie", steht auf manchen T-Shirt. Es geht um eine höhere Sache. "So lange ihr schlaft, werde ich für euch kämpfen", hatte eine Demonstrantin auf ein Pappschild geschrieben.