Corona-Strategie: Exit oder voll auf die Bremse?
Lockdown-Frust wächst, einige CDU-Politiker fordern neue Perspektive für Mitte Februar. Von Merkel bestellte Virologen haben jedoch ganz andere Vorstellungen
Die Belastung durch die Lockdown-Maßnahmen wächst, die Infektionszahlen sinken und die Angst vor der Corona-Mutante hat sich offenbar etwas abgenützt und brennt auf kleinerer Flamme. Nun müsste dringend eine neue Bedrohung her, um die Einschränkungen weiter deutlich verlängern oder verschärfen zu können, ohne die Zustimmung der Wähler zu verlieren. Einstweilen sondieren einige CDU-Politiker einen anderen Weg, nämlich den der Beendung bzw. Lockerung des Lockdowns.
Georg Nüßlein, Vizevorsitzender der Unionsbundestagsfraktion, sieht es als nicht verantwortbar, weiter dichtzumachen, bis die Inzidenz-Zahl unter 50 oder 35 sinkt. Er fordert einen neuen Weg. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kann sich Lockerungen nach dem 14. Februar vorstellen. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, fordert von der Politik Perspektiven für die Bürgerinnen und Bürger.
Ein Blick auf die weltweiten Zahlen zeigt, dass Deutschland bereits weit besser dasteht als viele andere Länder. Mit einer 7-Tage-Inzidenz von 112 im Vergleich zu Österreich (123), Italien (147), Schweiz (162, bisher nur Lockdown-Light), Frankreich (211), Schweden (234, bisher ohne Lockdown), Großbritannien (395) und Spanien (529) drängt sich schon die Frage auf, ob die Lage wirklich so dramatisch ist, dass sie derart dramatische Maßnahmen rechtfertigt, wie sie in Deutschland gerade ausgeübt werden.
In dieser Woche gefordert wurden: nicht nur Ausgangssperren und Zehner-Inzidenzen, sondern auch ein Schweigegebot in U- und S-Bahnen, Homeoffice-Kontrollen und die Einschränkung des Bewegungsradius auf einen Kilometer. Der Chor der Experten, Lobby-Verbände, Politiker und medialen Hofierer der Einschränkungspolitik ist lauter geworden, gleichzeitig wächst das Unbehagen in Teilen der bürgerlichen Gesellschaft, die ihr Land nicht mehr wiedererkennen. (…)
Die aktuellen Einschränkungen von Grundrechten, die auch Freiheitsrechte sind, werden hingenommen, und das mag vielleicht vernünftig sein, aber was nicht mehr aufscheint, ist das Betrauern des Preises, den wir hier als Gesellschaft zahlen.
Ulf Poschard, Die Welt
Psychologie-Professorin Silvia Schneider von der Ruhr-Universität Bochum stuft den Corona-Frust als hoch bedenklich ein, auch und gerade für Jüngere: "In unserer Psychotherapieambulanz haben wir es zuletzt sogar häufiger damit zu tun, suizidale Krisen abzuklären." ("Deutschland hat keinen Bock mehr", Tagesspiegel print vom 23.1.)
"Null Infektionen"
Auch die Wirksamkeit der Maßnahmen, zumindest in Relation zu den Schäden, die sie anrichten, wird nun immer mehr in Frage gestellt. Unterdessen wird aber auch die Zero-Covid-Bewegung weiter diskutiert ("Zero Covid": Null Vertrauen in die Adressaten) wie auch die No-Covid-Bewegung. Im Interview mit tagesschau.de sagte die Virologin Melanie Brinkmann:
"Wir müssen diesen Brand jetzt löschen. Nur, wenn man auf null Infektionen kommt, kann man diesen ewigen Zyklus von immer neuen Verschärfungen mit ungewissem Ende durchbrechen."
Brinkmann ist Mitautorin eines Positionspapiers, das im Kanzleramt als Entscheidungsgrundlage präsentiert wurde.
Die dort formulierte Einschätzung, dass der Lockdown mit seinen Einschränkungen auch als "Ressourcen-Faktor" gesehen werden könne, kritisiert Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer vehement: "Das ist ein in seiner Abgehobenheit und Arroganz atemberaubender Satz. Aber er ist nicht so abgehoben und arrogant, dass er einem nicht einen Platz am Beratungstisch der Kanzlerin eintragen würde."
Diese schloss kürzlich auch Grenzschließungen nicht aus, um hochansteckende Virusmutanten abzuhalten. Virologie Christian Drosten befürwortet ebenfalls weiterhin scharfe Maßnahmen. Im Gespräch mit dem Spiegel sagte er, dass der Spuk noch lange nicht vorbei sein werde, wenn im Sommer alte Menschen und ein Teil der Risikogruppen geimpft sein werden:
Aber wenn sich ganz viele junge Menschen infizieren, dann sind die Intensivstationen trotzdem wieder voll, und es gibt trotzdem viele Tote. Nur dass es jüngere Menschen trifft. Dieses schlimme Szenario könnten wir etwas abfedern, wenn wir die Zahlen jetzt ganz tief nach unten drücken.