Corona: Unerklärliche Effekte bei der Übersterblichkeit

Günter Eder

2022 war ein Großteil der Bevölkerung geimpft. Dennoch weisen die zuständigen Stellen eine massive Übersterblichkeit aus. Wie kann das sein?

Am 26. Mai 2023 ist eine Studie von mir auf Telepolis erschienen, in der ich anhand von Jahreswerten der Frage nachgegangen bin, wie sich das Sterbegeschehen während der Coronapandemie in Deutschland entwickelt hat.1 Da Jahreswerte relativ grobe Kenngrößen sind, die keine Rückschlüsse auf zeitliche Abläufe innerhalb des Jahres erlauben, konnten etliche Fragen nicht vertiefend untersucht werden. Um diese Lücke zu schließen, werden im Weiteren die Verläufe der Wochenwerte genauer betrachtet.

Mit der Analyse der Wochenwerte verbindet sich die Hoffnung, dass so unter Umständen statistische Zusammenhänge sichtbar werden, die aus den hoch aggregierten Jahreswerten nicht abzulesen sind. Die Auswertung basiert wiederum auf den offiziellen Sterbefalldaten des Statistischen Bundesamtes sowie den Corona-Sterbezahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI).2

Im nachfolgenden Kapitel wird das Prognosemodell zur Ermittlung der wöchentlichen Übersterblichkeit in seinen Grundzügen vorgestellt. Für das Verständnis der Resultate der Auswertung ist das theoretische Hintergrundwissen nicht unbedingt erforderlich.

Modellansatz zur Abschätzung der wöchentlichen Übersterblichkeit

Analog zum Vorgehen bei der Ermittlung der jährlichen Übersterblichkeit muss auch für die wöchentlichen Sterbezahlen ein Referenzmaß gefunden werden, das es erlaubt, die Höhe der Übersterblichkeit verlässlich abzuschätzen.

Das Statistische Bundesamt empfiehlt, hierfür den mittleren Verlauf der Sterbedaten der vorausgegangenen vier Jahre zu verwenden. Das ist im Prinzip ein durchaus sinnvolles und praktikables Verfahren, verträgt sich jedoch nicht mit dem Modellansatz, der für die Ermittlung der jährlichen Übersterblichkeit gewählt worden ist.

Hier ist die zu erwartende Zahl an Sterbefällen aus der Gesamtzahl der Sterbefälle ohne die Grippetoten abgeleitet worden (vgl. Ausführungen in "Corona und kein Ende: Rätselhafte Übersterblichkeit im Jahr 2022"). Dadurch erhält man tendenziell höhere Übersterblichkeitswerte, als es sonst der Fall wäre.

Aus Gründen der Konsistenz muss bei der wöchentlichen Übersterblichkeit genauso vorgegangen werden. Das bedeutet, dass möglichst nur Sterbedaten in die Berechnung der Basislinie (=Referenzmaßstab) einfließen, die keine oder nur wenig Grippetote enthalten.

Das kann man recht einfach gewährleisten, wenn man die Basislinie ausschließlich aus grippefreien bzw. grippearmen Jahren ableitet. Von den vier Jahren vor Corona trifft das auf die Jahre 2016 und 2019 zu. Man erhält dann die in Abbildung 1 dargestellte Saisonfigur.

Die Basislinie ist das Resultat der regressionsanalytischen Einpassung eines trigonometrischen Polynoms dritter Ordnung in die Wochendaten der Jahre 2016 und 2019. Zum Vergleich ist die Verlaufskurve eingezeichnet, die man erhält, wenn man dem Statistischen Bundesamt folgt und das arithmetische Mittel aus den Einzelwerten der Jahre 2016 bis 2019 berechnet.

Die Kurven stimmen über weite Strecken recht gut überein, auch wenn die auf den Mittelwerten beruhende Variante stärkeren zufälligen Schwankungen unterliegt. Größere Verlaufsunterschiede sind nur im Winter zu verzeichnen. Dadurch, dass in die regressionsanalytisch ermittelte Basislinie nur grippefreie Jahre eingegangen sind, steigt die Kurve im Winter nicht so stark an wie bei dem Mittelwertverfahren, das neben den grippefreien Jahren auch zwei Jahre mit Grippewellen umfasst.

Abbildung 1

Damit die Basislinie keine zu hohen Schätzwerte für die Übersterblichkeit liefert, muss das Verlaufsniveau noch an die demographische Entwicklung angepasst werden. Da in den nächsten Jahren mit steigenden Sterbezahlen gerechnet wird, bedeutet das, dass die Basislinie so weit angehoben werden muss, dass sie mit der für das Prognosejahr erwarteten Zahl an Sterbefällen übereinstimmt. Das Verfahren führt zu dem in Abbildung 2 dargestellten Übersterblichkeitsverlauf. Aufgetragen ist die prozentuale Abweichung der tatsächlichen Zahl an Sterbefällen von der erwarteten Anzahl.

Der Kurvenverlauf ist gleichermaßen geprägt von zufallsbedingten wie systematischen Effekten. Die meisten der vielen abrupten Ausschläge dürften dem Zufall geschuldet sein und werden hier nicht näher betrachtet. Hinter Ausschlägen, die länger anhalten, verbergen sich hingegen meist konkrete, im Idealfall auch benennbare Ursachen.

Als Beispiel für einen systematischen Effekt können die hohen Übersterblichkeitswerte am Jahresende, also in der kalten Jahreszeit, angesehen werden. Der Effekt ist von Grippewellen her bekannt. Warum das Maximum der Übersterblichkeit in den Coronajahren allerdings durchweg bereits im Dezember des Vorjahres zu beobachten ist und nicht, wie man es von der Grippe gewohnt ist, erst im Februar/März des Folgejahres (vgl. Abb. 1), kann nicht gesagt werden.

Der höchste wöchentliche Übersterblichkeitswert mit 40,2 Prozent ist erstaunlicherweise nicht in den Jahren 2020 oder 2021 zu verzeichnen, als die Coronapandemie ihren Höhepunkt hatte, sondern erst Ende 2022. Und wie der Zufall es will, ruft Christian Drosten ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt das Ende der Pandemie aus. "Wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit Sars-CoV-2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei", sagte er am 26. Dezember 2022 in einem Interview mit dem Tagesspiegel.3 Er hätte kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt für diese Aussage wählen können.

Abbildung 2

Im Weiteren wird der Frage nachgegangen, ob bzw. welche Einflussgrößen die Übersterblichkeit geprägt haben könnten. Hierfür werden die Verlaufskurven jahresweise betrachtet. Die Corona-Sterbekurve ist in den Graphiken jeweils mit dargestellt.

Verlauf der Übersterblichkeit im Jahr 2020

Das Sterbegeschehen im Jahr 2020 ist gekennzeichnet durch zwei Coronawellen, eine relativ schwache Welle im Frühjahr und eine extrem ausgeprägte zum Jahresende (vgl. Abb. 3). Während der ersten Welle sterben dem RKI zufolge knapp 8.000 Menschen an Corona, während der zweiten Welle sind es (jahresübergreifend) 67.000.

Der plötzliche und starke Anstieg der Übersterblichkeit im Hochsommer dürfte auf die Hitzewelle in der 33. Woche zurückzuführen sein. In dieser Woche sind etwa 2.800 Tote mehr zu verzeichnen, als nach der Referenzkurve zu erwarten gewesen wäre. In den Corona-Sterbezahlen macht sich die Hitzewelle nicht bemerkbar.

Der Verlauf der Übersterblichkeit ist ansonsten eng verknüpft mit der Zahl der Coronatoten. Sowohl in der ersten als auch in der zweiten Coronawelle stimmen die Kurven hinsichtlich der Höhe der Maximalwerte sowie des Zeitpunktes, zu dem diese auftreten, vollkommen überein. Das muss nicht zwangsläufig so sein, wie die nachfolgenden Jahre zeigen werden.

Die gute Übereinstimmung kann als Bestätigung für die Richtigkeit der Sterbedaten angesehen werden, also sowohl der ermittelten Übersterblichkeitswerte als auch der vom RKI veröffentlichten Corona-Sterbedaten.

Abbildung 3

Der Rückgang der Sterbezahlen in der zweiten Coronawelle setzt in der 52. Woche ein. Der Zeitpunkt fällt zusammen mit dem Impfbeginn in Deutschland. Aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens könnte man vermuten, dass das Impfen den Rückgang bewirkt hat, doch das trifft nicht zu. In der Studie "Über die Auswirkung der Impfung auf das Corona-Sterbegeschehen" habe ich zeigen können, dass die Sterbezahlen auch ohne Impfung zurückgegangen wären, weil das Infektionsgeschehen seinen Zenit überschritten hatte. Ein positiver Effekt auf die Corona-Sterbezahlen, der vom Impfen herrühren könnte, ist erst in der darauffolgenden dritten Coronawelle zu erkennen.4

Verlauf der Übersterblichkeit im Jahr 2021

Im Jahr 2021 stimmen die Verläufe für die Übersterblichkeit und für die Zahl der Coronatoten nicht mehr so gut überein wie 2020. Starke Abweichungen sind vor allem im Frühjahr und gegen Ende des Jahres zu verzeichnen. Im Frühjahr 2021 liegen die Übersterblichkeitswerte weit unterhalb der Zahl der Coronatoten, während sie im letzten Quartal des Jahres durchweg darüber und zum Teil sogar weit darüber liegen (vgl. Abb. 4).

Nach Überschreiten des Sterbemaximums in der zweiten Coronawelle beginnen die beiden Sterbekurven auseinanderzudriften. Sie entfernen sich so weit voneinander, dass die Übersterblichkeit, trotz zahlreicher Coronatoter, sogar hohe negative Werte annimmt. Was könnte den divergierenden Verlauf der Sterbekurven bewirkt haben? Das Impfen kommt als Ursache eher nicht in Betracht, da sich eine Reduktion der Zahl der Sterbefälle gleichermaßen in der Übersterblichkeit wie in den Corona-Sterbezahlen bemerkbar machen müsste.

Untersterblichkeitsphasen im Frühjahr sind hingegen häufig zu beobachten und werden meist mit ausgebliebenen Grippewellen in Verbindung gebracht. Im vorliegenden Fall kann die Grippe als Ursache allerdings ausgeschlossen werden, da die Basislinie grippefrei konstruiert worden ist (vgl. Abb. 1). Ausbleibende Grippewellen würden einen Übersterblichkeitsverlauf bewirken, der um die Nulllinie herum oszilliert, aber keine ausgeprägte Untersterblichkeit zur Folge haben.

Abbildung 4

Die Untersterblichkeit könnte jedoch eine indirekte Folge der vielen Coronatoten sein, die in der zweiten Welle zu beklagen waren. Wenn man davon ausgeht, dass viele Verstorbene bereits vor der Infektion sehr krank waren und unabhängig von Corona, nicht mehr lange gelebt hätten, dann könnte die Infektion dazu geführt haben, dass viele dieser Menschen einige Wochen oder Monate früher (an oder mit Corona) gestorben sind, als es sonst der Fall gewesen wäre.

Als Folge davon wäre nach Abklingen der Sterbewelle mit einem starken Rückgang der Übersterblichkeit zu rechnen, der durchaus in eine Phase der Untersterblichkeit münden könnte. Grundsätzlich würde die Untersterblichkeit in solch einer Situation umso stärker ausfallen, je mehr Menschen der Infektion zum Opfer gefallen sind und je höher der Anteil derjenigen ist, die auch ohne die Infektion nur noch kurze Zeit gelebt hätten.

Die Zeitspanne zwischen dem Höhepunkt der Übersterblichkeit und dem Höhepunkt der Untersterblichkeit könnte dann als Hinweis auf die verlorene Lebenszeit durch Corona gedeutet werden.

Ein solcher Erklärungsansatz würde voraussetzen, dass es sich bei den meisten Verstorbenen um alte und gesundheitlich stark geschwächte Menschen handelt. Und beides ist tatsächlich der Fall. Das Durchschnittsalter der Verstorbenen liegt mit 83 Jahren etwa drei Jahre über dem allgemeinen Sterbealter in Deutschland und mittels Obduktion sämtlicher Coronatoten in Hamburg hat Professor Püschel bereits 2020 herausgefunden, dass fast alle Verstorbenen mit einer oder mehreren Vorerkrankungen belastet waren.5 Das stützt die These, dass die hohe Untersterblichkeit eher eine Folge der vorhergehenden hohen Übersterblichkeit ist, als dass sie von einer ausgebliebenen Grippewelle herrührt.

Ganz anders stellt sich das Sterbegeschehen zum Jahresende hin dar. In den letzten vier Monaten des Jahres übertrifft die Übersterblichkeit durchgängig die Zahl der Coronatoten. Da diese Situation über mehrere Monate andauert, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie dem Zufall geschuldet ist. Wahrscheinlicher ist, dass äußere Einflüsse den Effekt ausgelöst haben.

Am größten ist die Verlaufsdifferenz in der 48. Woche. In dieser Woche sterben fast 2.000 Menschen mehr als nach der Zahl der Coronatoten zu erwarten gewesen wäre. Das Statistische Bundesamt schreibt hierzu in einer Pressemitteilung6:

Für den zusätzlichen Anstieg der Sterbefallzahlen sind mehrere Ursachen denkbar: So können hier unerkannte Covid-19-Todesfälle (Dunkelziffer) oder die zeitliche Verschiebung von Sterbefällen innerhalb eines Jahres infolge der zum Jahresbeginn ausgefallenen Grippewelle eine Rolle spielen. Möglicherweise zeigen sich auch die Folgen verschobener Operationen und Vorsorgeuntersuchungen. Der Beitrag einzelner Effekte lässt sich allerdings derzeit nicht beziffern.

Die Vermutungen, die die Behörde anstellt, um die Höhe der Übersterblichkeit zu erklären, mögen zutreffen oder nicht. Was auffällt ist, dass eine Ursache, die als Erklärung durchaus infrage käme, gar nicht in Erwägung gezogen wird, nämlich das Impfen.

Dabei lassen sich gerade in dieser Zeit außergewöhnlich viele Menschen ein drittes Mal impfen. Seit der 36. Woche werden wöchentlich mehr als 100.000 Menschen geboostert und in der 45. Woche wird die Millionenmarke überschritten. Danach steigt die Impfkurve steil an und erreicht mit 6,4 Millionen Geimpften in der 50. Woche einen absoluten Höhepunkt.7

Zu keinem früheren oder späteren Zeitpunkt sind derart viele Menschen in so kurzer Zeit geimpft worden. Und bei keiner der vorhergehenden Impfkampagnen war das Unwissen um mögliche Folgewirkungen so groß wie bei den Auffrischimpfungen. Ob die Impfung für den Anstieg der Sterbezahlen verantwortlich ist oder nicht, lässt sich auf Basis des hier betrachteten Datenmaterials natürlich nicht abschließend sagen, aber der zeitliche Zusammenhang ist auffällig und beunruhigend.

Verlauf der Übersterblichkeit im Jahr 2022

Auch im Jahr 2022 weichen der Übersterblichkeitsverlauf und die Corona-Sterbekurve stark voneinander ab. Zudem unterscheiden sich die Verläufe in ihrer Struktur grundlegend von den Vorjahren. Das gilt sowohl für die Coronakurve als auch für die Übersterblichkeit.

Die Corona-Sterbekurve weist, abgesehen von der eher schwach ausgeprägten fünften Coronawelle, kaum noch saisonale Effekte auf. Weder steigen die Werte zum Jahresende hin stark an, noch gehen sie im Sommer auf Werte nahe der Nulllinie zurück. Scheinbar unbeeinflusst von äußeren Faktoren, mäandert die Kurve durch die zweite Jahreshälfte.

Abbildung 5

Äußerst ungewöhnlich ist, dass die Zahl der Coronatoten im Sommer nicht auf Werte nahe null zurückgeht, wie es in den Vorjahren noch der Fall war. Im Sommer 2020 war die Sterbekurve über einen Zeitraum von 17 Wochen praktisch identisch mit der Nulllinie und im Jahr 2021 war das immerhin noch in sieben Wochen der Fall.

Im Sommer 2022 hingegen geht die Sterbekurve nicht nur nicht bis zur Nulllinie zurück, sondern steigt zwischendurch sogar wieder an. Der höchste Sommerwert ist mit über eintausend Coronatoten in der 30. Woche zu verzeichnen (Ende Juli).

Tabelle 1 gibt Auskunft über die Gesamtzahl der Verstorbenen. Im Sommer 2020 starben insgesamt 456 Menschen an Corona. Im darauffolgenden Jahr waren es mit 2.193 Verstorbenen fast fünfmal so viele. Und der Anstieg setzt sich ungebrochen fort, so dass im Sommer 2022 unglaubliche 8.198 Coronatote zu beklagen sind, also 18-mal so viele Verstorbene wie im gleichen Zeitraum des ersten Pandemiejahres.

Allein in der 30. Woche 2022 sterben mehr als doppelt so viele Menschen an Corona wie während des gesamten Sommers 2020 (1.009 Verstorbene gegenüber 456 Verstorbenen). Woher rührt diese eigenartige und erschreckende Entwicklung? Eine medizinische Erklärung gibt es dafür bisher nicht.

Tabelle 1
Coronatote im Sommer  (26. bis 38. KW)
Jahr Anzahl Maximalwert
2020 456 55 Coronatote in der 26. KW
2021 2.193 429 Coronatote in der 37. KW
2022 8.198 1.009 Coronatote in der 30. KW

Die extrem hohe Zahl an Coronatoten im Sommer 2022 ist umso unverständlicher als sich mittlerweile eine Coronavariante (Omikron) durchgesetzt hat, die als wesentlich ungefährlicher gilt als die Vorgängertypen (Urtyp, Alpha und Delta).

Zudem sind die meisten Menschen gegen Corona geimpft und sollten dadurch eigentlich gut geschützt sein. Im ersten Coronajahr (2020) war dagegen noch niemand geimpft und trotzdem starben wesentlich weniger Menschen. Damals waren infizierte Menschen gezwungen, ihrem natürlichen Immunsystem zu vertrauen. Und, Gott sei Dank, konnten sie das auch, wie die geringe Zahl Coronatoter zeigt.

Die Zunahme der sommerlichen Sterbezahlen ist auch dem RKI aufgefallen. "Im vergangenen Sommer (gemeint ist das Jahr 2022, d.V.) sind zum ersten Mal erhöhte Anzahlen von Sterbefällen durch Coronavirus Disease 2019 (Covid-19) während der Hitzeperiode aufgetreten".

In einer Studie ist man der Frage nachgegangen, ob möglicherweise die außergewöhnlich lange und extreme Hitzeperiode den Effekt verursacht haben könnte, und kommt zu dem Schluss, dass es "keine Hinweise auf einen möglicherweise verstärkenden Effekt hoher Außentemperatur auf die Covid-19-Mortalität" gibt.8 Damit bleibt offen, woher der Anstieg der Sterbezahlen rührt.

Die mRNA-Impfstoffe sind neuartige Vakzine, die in der Kürze der Zeit, die für die Entwicklung zur Verfügung stand, bei Weitem nicht so umfassend und gründlich erforscht werden konnten, wie das sonst bei Impfstoffen üblich und vorgeschrieben ist. Unerwünschte oder überraschende Nebenwirkungseffekte kann daher niemand ausschließen.

Und tatsächlich sind dem Paul-Ehrlich-Institut seit Beginn der Coronaimpfung ungewöhnlich viele Todesfälle gemeldet worden, bei denen der Verdacht besteht, dass die Impfung den Tod verursacht hat. Es kann also nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, dass der starke Anstieg der Zahl der Coronatoten im Sommer 2021 sowie im Sommer 2022 (direkt oder indirekt) auch mit dem Impfen zusammenhängt.

Nach Analyse des Corona-Sterbezahlen soll als nun noch die Übersterblichkeitskurve genauer betrachtet werden (vgl. Abb. 5). In der ersten Hälfte des Jahres 2022 weist diese einen unauffälligen Verlauf auf. Sie bewegt sich zunächst auf dem Niveau der Nulllinie, steigt dann etwas an und orientiert sich ab der 14. Woche, mit leicht sinkender Tendenz, an der Corona-Sterbekurve. Mit Beginn des Sommers ändert sich die Situation dann schlagartig.

Jetzt löst sich die Übersterblichkeit vollständig vom Coronageschehen ab und prägt drei außergewöhnliche Übersterblichkeitsbuckel aus. Zweimal steigt der Verlauf abrupt auf Werte von etwa dreitausend Verstorbenen pro Woche an, verbleibt für einige Zeit auf dem Niveau und fällt dann ebenso plötzlich wieder ab (erster und zweiter Übersterblichkeitsbuckel).

Es folgt ein dritter Buckel, bei dem die Übersterblichkeit geradezu explodiert. In der 51. Woche des Jahres sterben achttausend Menschen mehr als unter normalen Umständen zu erwarten gewesen wäre. Es ist der höchste Übersterblichkeitswert der gesamten Pandemie und entspricht etwa der Anzahl Coronatoter in der ersten Coronawelle.

Warum die Übersterblichkeit in der zweiten Jahreshälfte plötzlich so stark ansteigt und einen so eigenartigen, dreibuckligen Verlauf aufweist, kann nicht gesagt werden, zumindest nicht, was den zweiten und dritten Buckel betrifft. Als Erklärung für den ersten Buckel kommt der außergewöhnlich heiße Sommer in Betracht. Denn Hitzeperioden gehen erfahrungsgemäß mit steigenden Sterbezahlen einher und zwischen der 29. und 33. Woche gab es eine der längsten und extremsten Hitzewellen, die das Land in den letzten Jahrzehnten erlebt hat.

In einer Schwerpunktstudie, die das RKI dieser Frage gewidmet hat, kommen die Autoren zu dem Schluss, dass es im Jahr 2022 deutschlandweit rund 4.500 hitzebedingte Sterbefälle gab.9 Damit lässt sich die Übersterblichkeit von insgesamt 18.559 Verstorbenen im ersten Buckel zwar nicht vollständig erklären, aber zusammen mit der Zahl der Coronatoten doch zu immerhin 60 Prozent (vgl. Tab. 2). Es verbleibt eine Zahl von rund 7.500 Verstorbenen, bei denen die Todesursache weiterhin unbekannt ist.

Ein ungelöstes Rätsel ist die hohe Übersterblichkeit im zweiten und dritten Buckel. Zwischen der 37. und 52. Woche 2022 sterben 47.842 Menschen mehr, als unter normalen Umständen zu erwarten gewesen wäre. Das ist ein erschreckend hoher Wert. Und selbst wenn man die Coronatoten aus der Gesamtzahl herausrechnet, verbleiben gut 35.000 Personen, die zusätzlich verstorben sind: 11.010 Verstorbene im zweiten Buckel und 24.073 Verstorbene im dritten Buckel. Woran sind diese Menschen, die ja nicht coronainfiziert waren, gestorben?

Tabelle 2
Anzahl Verstorbener
2022 von . . . bis Übersterblichkeit davon Coronatote
1. Übersterblichkeitsbuckel 27. bis 35. KW 18.559 6.578
2. Übersterblichkeitsbuckel 37. bis 44. KW 17.832 6.822
3. Übersterblichkeitsbuckel 45. bis 52. KW 30.010 5.937

Während der Zeit des dritten Übersterblichkeitsbuckels verweist das RKI in den ARE-Wochenberichten mehrfach auf überdurchschnittlich hohe Zahlen für akute Atemwegserkrankungen, die auf einem "Niveau im Bereich der Höchstwerte früherer Grippewellen" liegen.1

Diese Aussage wird vielfach als Erklärung für den starken Anstieg der Sterbezahlen herangezogen. Doch ob die Schlussfolgerung zutrifft, ist ungewiss. Es gibt keine wissenschaftliche Studie, die diesen Zusammenhang seriös untersucht hat und belegt. Niemand kann sagen, ob die beobachtete Zunahme an Atemwegserkrankungen ausreicht, die extreme Übersterblichkeit im dritten Buckel vollständig zu erklären. Hier besteht dringender Forschungsbedarf.

Möglicherweise rührt die extreme Zunahme der Übersterblichkeit tatsächlich von den Atemwegserkrankungen her, aber vielleicht erweisen sich auch andere Einflussfaktoren als wesentlich wichtiger. Und selbst wenn die Atemwegserkrankungen die Hauptursache darstellen sollten, bleibt die Frage, warum diese plötzlich so stark zunehmen, nur um danach genauso plötzlich wieder zurückzugehen.

Das ganze Ausmaß der Unwissenheit offenbart sich jedoch erst, wenn man zu verstehen versucht, woher die hohe Übersterblichkeit im zweiten Buckel rührt. Denn in der Zeit von Mitte September bis Ende Oktober ist weder mit extremen Hitzewerten, noch mit ausgeprägten Grippewellen zu rechnen. Für Hitzeperioden ist Mitte September eindeutig zu spät und für Grippewellen ist der Oktober zu früh.1

In der Zeit von der 37. bis zur 44. Woche sind dem RKI folglich auch nur zwei meldepflichtige Todesfälle mit Influenzavirusinfektion übermittelt worden.1 Doch was kann den Tod der 11.000 Menschen, die während des zweiten Buckels über das zu erwartende Maß hinaus verstorben sind und die alle nicht coronainfiziert waren, stattdessen bewirkt haben? Die Frage ist bis heute nicht beantwortet.

Schlussbemerkungen

Im ersten Coronajahr starben dem RKI zufolge insgesamt 43.826 Menschen an oder mit Corona. Damals beherrschte die gefährliche Wuhan-Variante das Infektionsgeschehen und niemand (von wenigen Ausnahmen abgesehen) war geimpft. Zwei Jahre später hat sich die ungefährlichere Omikron-Variante durchgesetzt und 72 Prozent der Bevölkerung sind doppelt geimpft, viele sogar drei- oder viermal. Zudem hat ein Großteil der ungeimpften Bevölkerung eine Infektion durchgemacht und so einen Immunschutz aufgebaut.

Man kann folglich davon ausgehen, dass über 80 Prozent der Bevölkerung gut gegen Corona geschützt sein sollten. Und wenn man die besonders gefährdete Altersgruppe der über 60-Jährigen betrachtet, liegt der Anteil sogar weit über 90 Prozent.

Trotzdem sind im Jahr 2022 mit 46.426 Personen mehr Coronatote zu beklagen als im Jahr 2020. Wie ist das möglich? Warum hat es keinen Rückgang der Zahl der Coronatoten gegeben? Und warum weicht im Jahr 2022 die Verlaufskurve für die Übersterblichkeit so extrem stark von der Verlaufskurve für die Zahl der Coronatoten ab?

Im Jahr 2020 sind beide Kurven noch eng miteinander verwoben, verlaufen phasenweise nahezu deckungsgleich, und der Korrelationskoeffizient als statistisches Maß zur Beurteilung der Stärke des Zusammenhangs weist einen hohen Wert von 0,93 auf (mögliches Maximum: 1,0).

Zwei Jahre später ist von dieser Übereinstimmung nichts mehr geblieben. Steigende Coronasterbezahlen haben keine steigenden Übersterblichkeitswerte mehr zur Folge und umgekehrt. Das drückt sich in einem Korrelationskoeffizienten von lediglich 0,04 aus.

An welcher Stelle ist der Zusammenhang zwischen der Übersterblichkeit und der Zahl der Coronatoten, den man doch (zumindest so lange viele Menschen an Corona sterben) für selbstverständlich erachten würde, verloren gegangen? Haben verschobene Operationen, abgesagte Vorsorgeuntersuchungen, Lockdowns, Schulschließungen, Kontaktverbote oder das ständige Tragen der Maske eine solche Entwicklung befördert? Diesbezüglich kann man allenfalls Vermutungen anstellen.

Warum sind Fragen dieser Art in den zurückliegenden drei Jahren nicht gründlich erforscht worden? Und warum hat man viele Parameter, die für das Verständnis des Pandemiegeschehens wichtig gewesen wären, nicht systematisch erfasst und veröffentlicht, wie beispielsweise den Impfstatus der Coronaverstorbenen?

Kanzlerin Merkel entschied im April 2020, dass die Pandemie nur durch Impfen zu überwinden sei.1 Im November 2020 präzisierte sie ihre Einschätzung und sagte, dass das Virus als besiegt gelten könne, wenn 60 Prozent bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft seien oder eine Infektion durchgemacht hätten.1 Seit über zwei Jahren gibt es nun Impfstoffe, und über 70 Prozent der Bevölkerung sind geimpft, aber das Coronasterben hat kein Ende und die Übersterblichkeit schlägt Purzelbäume. Mit einem Wert von 8,65 Prozent erreicht sie im Jahr 2022 ein Niveau wie man es bis dahin nicht gekannt hat.

Trotzdem verkündet Christian Drosten am zweiten Weihnachtstag 2022 das Ende der Pandemie.1 Das ist, wenn man die Coronasterbezahlen isoliert betrachtet, eine durchaus logische und richtige Schlussfolgerung, denn erstmals seit der Ausbreitung von Sars-CoV-2 steigen die Coronasterbezahlen mit Beginn der kalten Jahreszeit nicht stark an. Was er allerdings übersehen oder nicht beachtet hat, ist das Übersterblichkeitsgebirge, das sich mittlerweile über den Coronatoten auftürmt und für das es keine zufriedenstellende Erklärung gibt.

Hat das Sterbegeschehen in Deutschland in den drei Jahren der Coronapandemie möglicherweise einen grundlegenden Wandel erfahren? Ist die entscheidende Frage vielleicht gar nicht mehr, ob die Pandemie vorbei ist oder nicht, sondern, ob die natürlichen Abwehrkräfte und damit die Gesundheit der Menschen Schaden genommen haben.

Falls das zutreffen sollte, kann man nur hoffen, dass sich die Schädigungen als reversibel erweisen und das Immunsystem aus sich heraus in der Lage ist oder mittels medizinischer Unterstützung in die Lage versetzt werden kann, sich vollständig zu regenerieren und zu einem Zustand zurückzufinden, wie er im ersten Jahr der Pandemie noch bestand, als über 99,6 Prozent aller Coronainfizierten, trotz fehlender Impfung und trotz Fehlen eines offiziell zugelassenen Coronamedikaments, nicht an der Infektion verstarben.1


Redaktionelle Anmerkung (10.06.2023): Die Aussage, es sei wahrscheinlicher, dass mRNA-Impfungen Gesundheitsschäden verursachen als dies bei durchgestandenen Coronaerkrankungen der Fall sei, wurde entfernt.

Fußnoten

[1] Günter Eder – Corona und kein Ende: Rätselhafte Übersterblickeit im Jahr 2022. Telepolis vom 26. Mai 2023

[2] Statistisches Bundesamt: Sterbefälle - Fallzahlen nach Tagen, Wochen, Monaten, Altersgruppen, Geschlecht und Bundesländern für Deutschland 2016 – 2021. Publikation vom 16. Januar 2023

Robert-Koch-Institut: Coronavirus SARS-CoV-2 - Todesfälle nach Sterbedatum, Stand: 19. Januar 2023

[3] "Die Pandemie ist vorbei" - Interview mit Christian Drosten im Tagesspiegel vom 26.12.2022, Berlin

[4] Günter Eder – Über die Auswirkung der Impfung auf das Corona-Sterbegeschehen. Telepolis vom 16. Mai 2022

[5] Obduktionen in Hamburg – Fast alle Corona-Toten waren vorerkrankt. NTV vom 30. Februar 2021

[6] Statistisches Bundesamt: Sterbefallzahlen im Dezember 2021: 22 Prozent über dem mittleren Wert der Vorjahre. Pressemitteilung Nr. 014 vom 11. Januar 2022

[7] Robert-Koch-Institut: Digitales Impfquotenmonitoring zur Covid-19-Impfung. Stand: 20. Januar 2023

[8] Robert-Koch-Institut – Hitzebedingte Mortalität in Deutschland 2022. Epidemiologisches Bulletin 42/2022

[9] Robert-Koch-Institut – Hitzebedingte Mortalität in Deutschland 2022. Epidemiologisches Bulletin 42/2022

[10] Arbeitsgemeinschaft Influenza – ARE-Wochenbericht. Aktuelles zu akuten respiratorischen Erkrankungen, Kalenderwoche 51 und 52 (19.12.2022 bis 1.1.2023). Robert-Koch-Institut (Hrsg.) 2023

[11] Günter Eder – Die Coronapandemie im Spiegel der amtlichen Sterbefallstatistik. Nachdenkseiten vom 22. September 2021

[12] Arbeitsgemeinschaft Influenza – ARE-Wochenbericht. Aktuelles zu akuten respiratorischen Erkrankungen, Kalenderwoche 51 und 52 (19.12.2022 bis 1.1.2023). Robert-Koch-Institut (Hrsg.) 2023

[13] Merkel zur Coronalage: "Pandemie wird nicht verschwinden, bis wir wirklich einen Impfstoff haben." Welt vom 9. April 2020

[14] Merkel rechnet noch lange mit Coronaeinschränkungen. FAZ vom 8. November 2020

[15] "Die Pandemie ist vorbei" - Interview mit Christian Drosten im Tagesspiegel vom 26.12.2022, Berlin

[16] Universität Bonn: Ergebnisse der "Heinsberg-Studie" veröffentlicht. Bonner Forschungsteam ermittelt Sterblichkeitsrate der SARS-CoV-2-Infektion. 4. Mai 2020