Corona: Warum eine Impfpflicht nicht okay ist

Ich bin geimpft. Aber eine individuelle medizinische Risikoabwägung hat nichts mit der Frage zu tun, ob die Mehrheit einer Minderheit körperlich ihren Willen aufzwingen darf

Die geplante Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 ist ein in dieser Form bisher nie dagewesener Vorgang. Obwohl die Kernfrage verfassungsrechtlicher Natur ist, müssen doch die medizinischen Aspekte vorab erörtert werden.

In der Bevölkerung gibt es eine verbreitete, jedenfalls noch verbleibende, Impfskepsis. Teilweise ist diese nicht rational begründet, aber einige Argumente verdienen zumindest, angehört zu werden; wieder einige davon sind durchaus nicht hinreichend bekannt.

Ein offenkundiger Grund sind Nebenwirkungen und die kurze Zeit, seit der die Impfstoffe verabreicht werden. Die Befürchtungen berücksichtigen meist tatsächlich nicht die sehr große Anzahl der Impfungen, die schon stattgefunden hat und die statistische Sicherheit, die sich daraus im Prinzip gewinnen lässt.

Im Detail fangen aber hier schon die Probleme an. Es ist bekannt, dass Nebenwirkungen durch das praktizierte passive Meldesystem untererfasst werden.

Ein aktives Nachfragen bei Geimpften mit entsprechender Nachuntersuchung und Dokumentation würde hier ein wesentlich genaueres Bild ergeben. Dazu gibt es konkrete Hinweise auf eklatante Mängel in diesem System, etwa die von einer Whistleblowerin offengelegten skandalösen Zustände in einer Privatfirma, die für Pfizer Nebenwirkungen erfasste – sicher kein Einzelfall, denn bezeichnend war dabei, dass keine einzige Kontrolle der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA stattgefunden hatte.

Auch das RKI unterlässt viele Maßnahmen, die zur Vertrauensbildung beitragen würden, etwa mehr Obduktionen. Man braucht sich daher nicht zu wundern, wenn manche eine Verbindung beispielsweise zur (wahrscheinlich harmlosen) Übersterblichkeit 2021 herstellen, die nicht vollkommen geklärt ist.

Wissenschaft heißt Erfahrung, nicht Nachplappern

Man kann eben – und das gilt für fast alle Länder der westlichen Hemisphäre – leider nicht überzeugt sein, dass die staatlichen Institutionen in wissenschaftlicher Sorgfalt und unbeirrter Neutralität die Pharmaindustrie kontrollieren, eine Branche, die im Übrigen vielfach demonstriert hat, dass für sie Gesundheit und Menschenleben nichts zählen, sobald es um Profit geht.

Forscher, die aus eigener Initiative diesen Fragen nachgehen, benötigen erfahrungsgemäß wesentlich mehr Zeit, Daten aus allen möglichen Perspektiven zu beleuchten, Schlussfolgerungen zu prüfen und diese gegebenenfalls zu publizieren.

Insofern ist die Untersuchung von möglichen Nebenwirkungen noch nicht wirklich gut wissenschaftlich "abgehangen".

Die etablierten Medien tun sich in kritischer Berichterstattung nicht gerade hervor. Dazu kommt, dass alle mit Covid zusammenhängenden Themen in den sozialen Netzwerken massiv zensiert werden.

Natürlich gibt es unglaublich viel Unsinn. Diesen anders zu bekämpfen als durch Aufklärung, ist jedoch eine totalitäre Entwicklung (die übrigens schon vor Corona begann), die viele Skeptiker berechtigterweise irritiert.

Angenommen, ein Wissenschaftler oder Arzt macht heute durch Patientenbeobachtung oder Datenanalyse eine beunruhigende Entdeckung hinsichtlich der Impfung, kann er dies nicht einfach auf YouTube posten. Wissenschaftlicher Diskurs ist heute von der Politik vergiftet.

Alles andere als hilfreich ist die moralisierende öffentliche Debatte, in der wieder einmal jede Nachdenklichkeit einem Shitstorm ausgesetzt ist. Ein Zeichen unserer Zeit.

Der rational denkende Zeitgenosse kann also lediglich konstatieren, dass es sich wohl nicht um eine Killerimpfung handelt und das Risiko der Nebenwirkungen hinnehmen, selbst wenn es beispielsweise um den Faktor fünf oder zehn unterschätzt würde, insbesondere wenn er es mit dem Risiko der Covid-Erkrankung mit ebenfalls unbekannten Langzeitwirkungen abwägt

Soweit ist die Entscheidung für eine Impfung vollkommen rational, erst recht in höherem Lebensalter.

Die Vergangenheit ist der beste Blick in die Zukunft

Nicht in der Rechnung enthalten sind jedoch die "unbekannten Unbekannten", die nun mal von jeder neuartigen Technologie ausgehen. Durch den mRNA-Wirkstoff werden erst im Körper Proteine synthetisiert, die ihrerseits eine Immunreaktion auslösen.

Der Mechanismus ist daher weitgehend parallel zu klassischen Impfstoffen, enthält aber doch diesen zusätzlichen ersten Schritt.

Das ist ohne Zweifel elegant und vielleicht eine wichtige Zukunftstechnologie, birgt aber auch neue Möglichkeiten, die langfristig beunruhigen können. Von Visionären wie beispielsweise Ray Kurzweil wird schon lange die Idee sogenannter "Nanoroboter" propagiert, maßgeschneiderte Wirkstoffe, die an ganz bestimmten Stellen im Körper ihre definierte Aufgabe erfüllen, beispielsweise Kalkablagerungen aus Arterien entfernen.

Im Prinzip könnte man – theoretisch – diese solche Nanoroboter auch durch Proteinsynthese herstellen, d.h. durch entsprechende Injektion von mRNA, die sich mittels reverser Transkriptase auch in die DNA einbauen kann – das tun Viren übrigens regelmäßig, was Impfgegner eher selten ansprechen.

Ich stelle klar: Nichts deutet darauf hin, dass die neuartigen Impfstoffe etwas anderes herstellen als das SARS-CoV-2 Spike-Protein.

Auch sind viele Prozesse noch zu unbekannt, als dass die Technologie schon allgemein anwendbar wäre. Auf lange Sicht müssten solche Medikamente jedoch einen grundsätzlich anderen Zertifizierungsprozess durchlaufen, da sie letztlich genetisch programmierbare Bestandteile enthalten.

In dieser Hinsicht ist es nachvollziehbar, dass viele eine Verpflichtung zu einem permanenten Impf-Abo, auf die es hinauslaufen soll, nicht haben wollen.

Möglicherweise handelt es sich um eine Technik, die sich einst zum Segen der Menschheit entwickeln wird, und vielleicht gehen wir eines Tages entspannt mit ihr um wie mit Elektrizität oder Chemie.

Aus wissenschaftshistorischer Perspektive muss man aber auch feststellen, dass jede neue Technologie unvermeidlich gewisse Risiken mit sich bringt. Anfang des letzten Jahrhunderts wurde radioaktive Zahnpasta verkauft und Kinderfüße in vielen Schuhgeschäften wegen der Passform geröntgt.

Auch feste wissenschaftliche Überzeugungen, insbesondere, was "möglich" und "unmöglich" ist, überdauern nicht immer die Zeiten, man denke nur an Alfred Wegener, Ignatz Semmelweis oder sogar Otto Hahn, der fünf Jahre lang die Kernspaltung für "undenkbar" hielt.

Auch die Geschichte der Impfpioniere ist in diesem Zusammenhang lesenswert. Sicher, hätte es nicht Menschen gegeben, die solche Risiken auch eingehen, würden wir wahrscheinlich heute noch in Höhlen leben. Die allgemeinen und besonderen Bedenken der Impfskeptiker sind daher höchstwahrscheinlich unbegründet. Aber sie sind nicht irrational.

Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas Seltenes. Aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel.

Friedrich Nietzsche

Die Würde des Menschen ist unantastbar – aber der Körper schon?

Damit kommen wir zu der hier maßgeblichen Frage, was die Mehrheit in einem Rechtsstaat darf. Demokratie bedeutet, dass politische Richtungsentscheidungen nach deren Willen gefällt werden, aber eben nicht, dass die Mehrheit beliebig in die individuellen Rechte einer Minderheit eingreifen kann. Der Schutz von Minderheiten ist ein Kernelement des Rechtsstaats.

Das wohl wichtigste Individualrecht ist das in Art. 2 Grundgesetz verankerte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Ein Eingriff ist nur zu rechtfertigen, wenn andernfalls ebenso wichtige Rechtsgüter in Gefahr geraten, zum Beispiel durch eine Überlastung des Gesundheitssystems, die eine unüberschaubar große Anzahl von Menschen in Gesundheitsgefahr bringen würde.

Nach der tödlichen zweiten Welle im vergangenen Winter, die von eklatanten Versäumnissen geprägt war, haben sicherlich viele gehofft, mit der unbegrenzten Verfügbarkeit von Impfstoffen sei das Thema nun endlich erledigt. Der Idealfall wäre sicher, alle Maßnahmen abzuschaffen, und im Einzelnen sein Risikomanagement zu überlassen.

Wegen der sich abzeichnenden Belastung des Gesundheitssystems geht das leider noch nicht. Kritiker bemängeln die Reduzierung der Intensivbetten und die miserablen Arbeitsbedingungen in der Pflege, was richtig ist. Trotzdem muss der Staat auch handeln, um Infektionen zu vermeiden.

Wie bei allen derartigen Abwägungen, muss das Mittel – hier die Impfpflicht – geeignet und verhältnismäßig sein, die drohende Gefahr abzuwenden. Schon die erste Bedingung ist höchst fraglich, denn unstreitig können sich auch Geimpfte infizieren und das Virus weitergeben.

Sicher gab es und gibt es viele Beispiele von unverantwortlichen Verhalten. Es widerspricht aber jeder Evidenz, anzunehmen, ein Ungeimpfter, der sich beispielsweise durch Tragen von Masken, vorsichtigen Kontakten und Selbsttestungen umsichtig verhält, stelle eine größere Gefahr für die Allgemeinheit dar als ein Geimpfter, der unbekümmert seinen Umgang pflegt.

Überhaupt ist die mangelnde Differenzierung eine Absurdität der momentanen Debatte, die Gesellschaft spaltet sich in einem gigantischen Rudelverhalten in ein "dafür" und "dagegen".

Ob Impfungen allein ausreichen, die Pandemie zu besiegen, kann man bezweifeln, wie beispielsweise Robert Malone, einem Erfinder der mRNA-Schlüsseltechnik.

Die moralisierende Beschuldigung der Ungeimpften als Frustableiter für die nicht enden wollende Pandemie war ungerecht und das öffentliche Anprangern von Prominenten ein neuerlicher Tiefpunkt der Medien.

Westliche Pharmokratie

Eine Impfpflicht dürfte immer nur das letzte Mittel sein, wenn alle anderen Maßnahmen versagt haben. Mit der Fokussierung auf die Impfung scheinen andere Möglichkeiten, die Krankheit zu bekämpfen, völlig aus dem Blick zu geraten, insbesondere günstige Medikamente. Natürlich ist es nicht klar, ob beispielsweise Vitamin D oder Ivermectin gegen die Krankheit hilft, aber die teilweise hysterische Agitation gegen diese Versuche wirft doch Fragen auf.

Wenn diese Wirkstoffe (in geeigneter Dosierung) keine oder kaum Nebenwirkungen haben, aber einen großen potenziellen Nutzen, müsste man in Studien die Wirksamkeit erst gründlich ausschließen, bevor man die Versuche damit aufgibt. Aber selbst die vielversprechenden Kortikosteroide finden wenig Anwendung, während die schon erfolgreiche Therapie mit monoklonalen Antikörpern regelrecht bürokratisch gegängelt werden.

Auch von frühen Therapie- und Präventionsprotokollen hört man kaum.

Jedenfalls hat man den ganz deutlichen Eindruck, dass die Strategie der Pandemiebekämpfung nicht wissenschaftlich neutral ist, sondern einen Bias zugunsten der Impfung aufweist. Dieser Eindruck der Unredlichkeit verstärkt sich, wenn man die Praxis der europäischen Arzneimittelbehörde Ema betrachtet.

Es ist ganz offensichtlich, dass von ihr die Zulassung der weltweit erprobten russischen und chinesischen Impfstoffe verzögert wird, während die westlichen Hersteller in den Genuss aller Beschleunigungen des Verfahrens kamen. Der Geruch der Korruption ist hier überdeutlich wahrnehmbar, und es ist daher niemandem zu verübeln, wenn er allein deswegen an den Beteuerungen zur Sicherheit der westlichen Impfstoffe zweifelt – welche die Konzerne in ihren Verträgen ja auch nicht garantieren wollen.

Das bewährte Muster: private Gewinne, Risiken sichert der Steuerzahler ab, nun auch noch mit seiner Gesundheit. Ich wiederhole: Die objektive Gefahr mag gering sein, aber es ist legitim, kein Vertrauen in diese Strukturen zu haben. Im Hinblick auf das oben Gesagte wäre es obendrein bizarr, eine Impfpflicht ohne einen zugelassenen Totimpfstoff einzuführen – nachweislich stören sich viele Impfskeptiker auch gerade daran.

Neben all dem ist bei einer Impfpflicht insbesondere deren Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Das bedeutet, dass sie nur zulässig sein kann, wenn jedes mildere Mittel versagt hat. Viel zu wenig wird die Sicherheit beachtet, die durch Tests erreicht werden kann. PCR ist zeitaufwändig und teuer, zur Eindämmung der Pandemie sind jedoch auch die Schnelltests äußerst wirksam.

In einer Notlage ist gegen 3-G-Regeln nichts einzuwenden (in sensiblen Bereichen sollten sogar Geimpfte mehr getestet werden), solange die Kosten für den Einzelnen nicht unzumutbar sind. Nach dem Vier-Augen-Prinzip durchgeführte Schnelltests werden in Schulen erfolgreich angewendet, teuer werden sie nur durch vermeidbare Bürokratie.

Es ist also offensichtlich, dass eine Vielzahl von milderen Möglichkeiten existiert, die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems abzuwenden, als eine allgemeine Impfpflicht. Auch die bereits eingeführte sektorale ist daher nicht zu rechtfertigen.

Sogar die momentanen Maßnahmen verhindern schon eine Überlastung, selbst wenn man die Fortschritte in Forschung und Entwicklung nicht mitrechnet. Es ist daher ebenso offensichtlich, dass die Forderung nach einer Impfpflicht die hauptsächlich die Bequemlichkeitsbedürfnisse der Mehrheitsgesellschaft bedient.

Der Wunsch nach der Rückkehr zur Normalität mag verständlich sein, ein Zwang zu einer medizinischen Behandlung des Einzelnen bleibt trotzdem eklatant rechts- und verfassungswidrig. Die Masern- Impfpflicht, wiewohl angreifbar, ist im Übrigen anders: die Impfung ist seit Jahrzehnten erprobt, und die hier besonders gefährdeten Kinder dürfen im Einzelfall vor irrationalen Eltern geschützt werden.

Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt

Die Wortklaubereien zwischen "Pflicht" und "Zwang" sind im Übrigen heuchlerisch. Wie soll man denn ein faktisches Verbot der Berufsausübung und damit die Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz anders nennen als "Zwang"?

Und was passiert eigentlich, wenn die Bußgelder, welche die Linkspartei freundlicherweise nach Einkommen staffeln will, nicht wirken?

Schließlich lebt ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung von staatlichen Leistungen, da bleibt dann nur Ersatzhaft oder unmittelbarer Zwang – so steht es im Verwaltungsvollstreckungsgesetz. Hat darüber mal schon irgendjemand nachgedacht?

Bisher sprengte dies jede gesellschaftlich tolerierte Fantasie, und sogar Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn, sonst nicht unbedingt rechtsstaatlicher Analytiker, fragte sich, wie man sich das vorstellen solle: "Wird dann Frau Wagenknecht von der Polizei abgeholt zum Impfen?"

Wagenknecht hatte die Dreistigkeit besessen, ihr Nicht-Geimpftsein in einer Talkshow zu rechtfertigen, wo man sie wohl demnächst mit der Frage konfrontieren wird: "Geschadet hat es Ihnen aber doch nicht, oder?"

Doppelte Maßstäbe, wenn überhaupt

Eine offene Debatte über diese Probleme ist aber dann wohl ohnehin obsolet, denn was soll eine zwangsweise verabreichte Spritze in den Oberarm implizit anderes verdeutlichen, als dass man sich seine Meinung darüber auch irgendwohin stecken kann? Nach Artikel 2 Grundgesetz kommt es ja auf Artikel 5 schließlich nicht mehr an.

Die Impfpflicht-Verfechter haben jegliche Sensibilität dafür verloren, welche Zumutung ein körperlicher Eingriff gegen die eigene Überzeugung oder auch nur gegen Ängste bedeutet. Würde man denn Veganer – aus Gründen der Volksgesundheit versteht sich – mit Fleisch zwangsernähren? Oder Moslems mit Schweinefleisch?

Wer so tut, als sei er von der Radikalisierung der Gegner überrascht, der heuchelt. Oder war diese Reaktion in kalkulierter Rücksichtslosigkeit gar ein bisschen erwünscht, um neue Überwachungsmaßnahmen einzuführen? Man weiß es nicht.

Natürlich tragen die Verantwortung für illegale Aktionen diejenigen, die sie ausführen. Aber der politische Nährboden wird von denen bereitet, die mit dieser Impfpflicht die Gesellschaft (wieder einmal) spalten.

Es war bisher gute demokratische Gepflogenheit, dass sich neu gewählte Politiker als Vertreter aller Wähler präsentieren. Olaf Scholz bekannte sich dagegen schon vor seiner Amtseinführung als Kanzler der Geimpften.

Hygieneregeln der Politik außer Kraft

Alle Gewählten sollten sich fragen, ob es nicht einfach eine Sache des Anstands gewesen wäre, festzustellen: wir halten uns an die Zusage, dass es eine Impfpflicht nicht geben wird. Viele hatten es nur deshalb nicht explizit versprochen, weil die Frage noch vor wenigen Wochen zu abwegig erschien, als dass sie ein Journalist oder Meinungsforschungsinstitut gestellt hätte.

Solche Volten untergraben jedes Vertrauen in die Institutionen, abgesehen davon, dass eine Zwangsmaßnahme als solche auch die gewichtigen sachlichen Argumente für die Impfung diskreditiert. Denjenigen Ärzten, die sich um sachliche Aufklärung der Zweifler bemüht haben, wird nun der Boden entzogen, denn der Staat befiehlt, was in der Arztpraxis geschieht.

Würden die Abgeordneten tatsächlich in Ruhe auf ihr eigenes Gewissen hören, hätte eine Impfpflicht wohl wenig Chancen. Aber viel wahrscheinlicher ist es, dass die Mehrheit in einem Herdentrieb von "Alle demokratischen Parteien nun gegen die Pandemie" und einer "Wir wollen doch alle das Virus bekämpfen" - Harmonie über diesen rechtsstaatlichen Elefanten im Raum hinweg jubelt.

Zu alledem kommt die bizarre Situation, dass die Pflicht durch zahlreiche 2-G-Maßnahmen schon durchgesetzt wird, bevor sie überhaupt Gesetz geworden ist, ohne dass die Gerichte tätig werden – nicht nur ein Verstoß gegen die Resolution 2361 des Europarates, die feststellt, dass die Impfung freiwillig ist und nicht Geimpfte nicht diskriminiert werden dürfen.

Schnee von gestern. Wenn sich unsere Maßstäbe von Rechtsstaatlichkeit derart schnell verändern, muss man besorgt sein.

Nicht Stimmenmehrheit ist des Rechtes Probe.

Friedrich Schiller

Am gefährlichsten ist wohl Unrecht, das von einer großen Mehrheit getragen wird. Nur die Judikative kann solche Exzesse unterbinden, und so muss man eine erneute Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht abwarten.

Die Entscheidung zu den bisherigen Pandemie-Maßnahmen war sicherlich angreifbar und hatte durch das Abendessen im Kanzleramt ein zusätzliches "Geschmäckle".

Dennoch handelte es sich angesichts der erstmalig so aufgetretenen Pandemiesituation um ein vertretbares Urteil. Die Frage einer allgemeinen Impfpflicht berührt den Rechtsstaat aber noch viel elementarer. Würde das Bundesverfassungsgericht hier zustimmen, verlöre es wohl seine Existenzberechtigung.

Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur – Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten erschien 2019 im Westend-Verlag. Im Januar 2022 erscheint es als Taschenbuch.