Corona: Wie Politiker einen Gastwirt abholten – und ihn dann stehen ließen

Foto: Timo Rieg

Corona-Hilfen reichten nicht, so Thomas Schäfer. Durch Beharrlichkeit traf er den Bundespräsidenten. Die Bilanz ist bitter. Ein Ortsbesuch an der Ostseeküste.

Das Corona-Virus spürte Thomas Schäfer bereits im Februar 2020. Denn die Umsätze in seiner Gaststätte gingen zurück. Ab März wurde es dann so deutlich, dass er dem Geschehen nicht tatenlos zusehen, sondern konstruktiv mitwirken wollte, die wirtschaftlichen Auswirkungen als Gesellschaft zu gestalten.

Die als "Bazooka" vom damaligen Finanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beworbenen unbürokratischen Kreditangebote schienen Thomas Schäfer nicht der richtige Weg zu sein.

Vergebliche Suche nach Unterstützung: Abfuhr von Branchenverband

Als Erstes wandte er sich daher an seinen Branchenverband Dehoga. "Aber der wollte meine Mitarbeit nicht, man regele das schon alles für uns", erzählt Schäfer beim Treffen mit Telepolis.

Mitte März 2020 hatte das Land Schleswig-Holstein, in dem Schäfers "Gasthof Lehmsiek" liegt, mit starken Beschränkungen auf die am 11. März von der WHO ausgerufene Pandemie reagiert.

Restaurants mussten spätestens um 18 Uhr schließen, Schulen und Kitas blieben ebenso wie die meisten Geschäfte ganz geschlossen. Die Grenze nach Dänemark wurde dichtgemacht, auch aus anderen Bundesländern wurde die touristische Einreise verboten.

Doch während Beamte und öffentlich Bedienstete Sonderurlaub von der Landesregierung bekamen, sah Gastwirt Schäfer seinen Betrieb zwangsweise stillgelegt – was er aus der Zeitung erfuhr.

Kreative Anpassungen: Umbau während des Lockdowns

Um nicht auch selbst im Stillstand zu sein, nutzte Schäfer die Zeit, um überwiegend in Eigenarbeit den nicht mehr lohnenden großen Saal seines Gasthofs in vier Hotelzimmer umzubauen. Den dafür benötigten Kredit bekam er problemlos, da die tatsächliche Wertsteigerung diesen gut absichern konnte.

Doch einen Termin für die Wiederaufnahme seiner geschäftlichen Tätigkeit gab es nicht. So wandte sich Thomas Schäfer das erste Mal an die Politik – und zwar direkt an Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), via Instagram.

Politische Kontaktaufnahmen

"Er hatte damals 230 Follower, also dachte ich mir, dass er meine Nachricht sehen wird", sagt Schäfer, der den Politiker auch zuvor schon gelegentlich zu Gast hatte, schließlich wohnt er im benachbarten Eckernförde. Doch eine Antwort bekam er zunächst nicht.

Viele Ratschläge und Maßnahmen der Politik empfand der gelernte Elektriker Schäfer als wenig hilfreich bis kontraproduktiv. Beispiel Außer-Haus-Verkauf: Widerwillig hätten sich er und seine Frau Birte, die die Küche leitet, darauf eingelassen und in vier Wochen rund tausend Essen verkauft.

Doch die Preise sind dafür nicht kalkuliert.

Thomas Schäfer

Zur Kostendeckung gehörten Getränke und Nachspeisen, die Essenspreise auf der Karte basierten auf einer Mischkalkulation. Schäfer: "Am Ende hatten wir 6,50 Euro Unterdeckung pro Mitnahme-Gericht."

Beispiel Gutscheine: Die Bevölkerung wurde von der Politik aufgerufen, zum Erhalt von Gastronomie und Kultur Gutscheine zu kaufen. "Doch das Geld konnte zu diesem Zeitpunkt von uns ja gar nicht ausgegeben werden, man musste es zurückstellen für den Tag, an dem es zur Einlösung kommt", sagt Schäfer.

Auch den Wirtschaftsminister des Landes, Bernd Buchholz (FDP), kontaktiert Schäfer – gleichfalls ohne Reaktion.

Zufällige Begegnung mit Ministerpräsident Daniel Günther

Im Mai 2020 kommt es zu einer zufälligen Begegnung mit Ministerpräsident Daniel Günther, im Landgasthof Lehmsiek. Wie er bisher durch die Pandemie gekommen sei, fragt der Landesvater. "Schlecht", meint Schäfer.

Im Verlauf des Gesprächs tauschen sie ihre Handynummern aus, später wird ein Termin in der Staatskanzlei vereinbart, zum Treffen kommt es letztlich im Oktober 2020, 40 Minuten Zeit hat Günther eingeplant.

Unzureichende Hilfsmaßnahmen für Selbstständige

Ein Hauptproblem, das Schäfer dabei anspricht und das ihn bis heute beschäftigt: die fehlende Zahlung von "Unternehmerlohn". Denn während Gehälter von Angestellten in Kleinstunternehmen bspw. für die Corona-Soforthilfe berücksichtigt werden durften, wurde der eigene Lebensunterhalt oder die Krankenversicherung des Selbstständigen nicht als Teil des Liquiditätsengpasses gesehen.

Während ein als Geschäftsführer angestellter Inhabers seines eigenen Unternehmens Kurzarbeitergeld beantragen konnte, wurden Selbstständige auf das Arbeitslosengeld II ("Hartz IV") verwiesen.

Auch andere Corona-Hilfen hält Schäfer für unzureichend durchdacht, etwa weil Einkommensteuer, Körperschafts- und Gewerbesteuer darauf entfallen und dadurch der Fiskus etwa die Hälfte wieder zurückerhalte. Oder dass Unternehmer zu staatlichen Krediten gedrängt wurden, deren Rückzahlung sie dauerhaft belastet.

Thomas Schäfer sagt, er habe einen der externen Berater für die Entwicklung staatlicher Hilfen getroffen. Und der habe im Gespräch eingeräumt, man hätte den Inhaberlohn schlicht vergessen, zu sehr an die großen Firmen gedacht, die es vor Insolvenzen zu bewahren galt.

Dabei sei es doch einfach und unbürokratisch möglich, die Corona-Verluste zu kompensieren: über die Finanzämter, denen ohnehin alle relevanten Daten aus den Vorjahren vorliegen und die quasi automatisiert für eine Angleichung sorgen könnten.

Bundespräsident als Anlaufstelle: Schäfers Brief an Steinmeier

Um Nachbesserungen zu erreichen, wandte sich der Gastronom am 4. Februar 2022 schließlich an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Zum einen, weil er dieses höchste Staatsamt als Anlaufstelle für die Bürger versteht, die sich sonst nirgends Gehör verschaffen konnten.

Zum anderen, weil jedes Bundesgesetz vom Bundespräsidenten nach Prüfung unterzeichnet werden muss. Er bat um ein persönliches Gespräch und schrieb:

Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass die Bürger von der Politik öffentlich dazu aufgefordert werden, sich an Lösungen zu beteiligen, und wenn man sich meldet, möchte es keiner wissen! Ich möchte Teil der Lösung sein und nicht das Problem.

Thomas Schäfer

24 Wochen musste Schäfer warten, bis eine Antwort kam – in wesentlichen Teilen wohl ein Standardschreiben, das zahlreiche Telefonate und weitere Briefe nach sich zog und ihn bis heute gewaltig ärgert.

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