Corona, die BRD und die DDR
Warum die Äußerungen der Beherrschten auch in Nicht-Pandemie-Zeiten nur Ausdruck der herrschenden Interessen sind
In den Corona-Debatten der letzten zwei Jahre war eines besonders auffällig: In Deutschland wird davon ausgegangen, dass eine vom Staat, von der Regierung, der sogenannten politischen Klasse "unabhängige" Bevölkerung existiere, die ihre politischen Positionen gewissermaßen autonom entwerfe und dann – mittels Protest oder Abwahl – der Regierung entgegensetze. Motto: hier unten die guten Leute von nebenan, dort oben die böse Regierung.
So gab es die Erzählung von einer "Spaltung der Gesellschaft", die durch öffentliche Sortierung in Geimpfte und Ungeimpfte erfolge – und nicht etwa einer Spaltung, die – nämlich zwischen Besitzenden und Besitzlosen – längst existiert.
Dass hingegen die Bürger – radikale Impfgegner ebenso wie Hetzer gegen Ungeimpfte, auch der Rest, die brave sogenannte Mitte – nur Spiegel des Staates, in dem sie leben, sind, hat die letzte Zeit ganz anschaulich erwiesen: Noch der letzte Querdenker ist bloß Abbild des Willens einer nationalen Regierungstradition. Das zeigen etwa die erheblichen Unterschiede der Impfzahlen wie des sonstigen Umgangs mit der Pandemie im Vergleich zwischen einzelnen Ländern und sogar Bundesländern.
Auch und gerade im sich sehr eigen und unabhängig dünkenden Verhalten erweist sich der jeweilige Bürger immer als Produkt der staatlichen, religiösen, nationalen, regionalen Traditionen einer Gesellschaft.
So sind Staaten wie die Niederlande wegen ihres weitverbreiteten Calvinismus oder Regionen wie Süddeutschland mit ihrer hohen Anzahl an Waldorfschulen, Anthroposophen und Alternativheilpraktiken besonders stark durch geringe Impfquoten und starken Protest gegen Eindämmungsmaßnahmen aufgefallen.
Aber dass der Calvinismus eine Doktrin ist und Waldorfschulen gefördert werden, ist ja wiederum auf Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte staatlichen, gesellschaftlichen Handelns zurückzuführen – nicht auf die grandiosen Einfälle vereinzelter Volksrebellen.
Wenn also jetzt die Gegner strenger Maßnahmen beteuern – oder vielmehr hoffen –, in Deutschland würde den Bürgern die Mündigkeit und Vernunft abgesprochen, selbst zu entscheiden, wann etwa eine Maske zu tragen ist, dann stimmt das sicherlich.
Nur leider geht ja eine jahrhundertelange Politik des Vernunftabsprechens und Unmündigmachens von oben gerade in Deutschland – siehe Luther, Romantik, Revolutionsniederschlagungen, Verfolgung der Arbeiterbewegung, Faschismus usw. – nicht spurlos an den Menschen vorüber: Wem ständig die Vernunft abgesprochen wird, der hat dann tatsächlich auch irgendwann keine mehr.
Die libertären oder liberalen Linken liegen daher mit ihrem Glauben an einen eigenständigen Willen des Volkes genauso falsch, wie die sich zunehmend sozialdemokratisierenden Linksradikalen, die in Deutschland eine Covid-Solidarität herbeisehnen, welche sich aber nur in Form von verordneten Verhaltensregeln realisieren ließe, die wiederum gerade jene Unmündigkeit und Verantwortungslosigkeit befördert, die zu keiner wirklichen Solidarität fähig sein kann.
Gegner wie Verteidiger eines "Etatismus" sehen die Dialektik des staatlichen Handelns nicht: Wenn ein Staat seine Bürger – mittels Politik, Institutionen, Werten, Belohnungen usw. – geradezu dazu erzieht, auf eine nichtrevolutionäre Weise rebellisch zu sein, also etwa durch Förderung von Quacksalberei in Bildungs- und Gesundheitswesen Massen von Leuten dazu ermutigt, sich ganz prinzipiell gegen Wissenschaft und Vernunft aufzulehnen, hat man staatlich erwünschte Verblödung, die sich in vielen Situationen auszahlt – nur eben nicht unbedingt während einer Pandemie.
Wobei die objektive Funktion solcher Gruppen in Ausnahmesituationen natürlich die ist, vom Regierungshandeln abzulenken, indem bequem auf "Querdenker" verwiesen werden kann, die den Erfolg der Pandemiebekämpfung verhinderten.
Als von Politik und Medien in den letzten Wochen – bevor man sich des hierzulande wohl unmöglichen Unterfangens einer Überzeugung von Unmündigen entledigte, indem man nun die Einführung einer Impfpflicht anstrebt – bei den Ungeimpften die Schuld gesucht wurde, so als seien sie Ursache, nicht Symptom der kapitalistischen deutschen Verhältnisse, war das also genauso kurz gedacht wie das Gerede derer, die die Ungeimpften rechtfertigten: Das Bild von der Regierung als Eltern und den Staatsbürgern als Erziehungsobjekte löst bekanntermaßen Unmut bei Liberalen aus, die sich zumindest persönlich frei und unabhängig wähnen – aber es tut das gerade, weil dieses Bild nun mal stimmt.
Die bürgerlichen Politiker der Bundesrepublik verhalten sich nämlich in der Tat wie Eltern, die ständig ihre Kinder schlagen und sich dann wundern, wenn ihre Kinder wiederum andere schlagen. Warum, zum Beispiel, ist man überrascht von der Verkehrspolitik eines Andreas Scheuer in einem Land, das bevölkert ist von Scheuers? Warum wundert man sich über Empörungsmakler wie Lauterbach, wo doch ein Großteil der Deutschen genau aus solchen Aufregungsgewinnlern besteht?
Die Ansichten der Bevölkerung sollten daher in allen wesentlichen, also die Staatsgeschäfte betreffenden Bereichen, die Impfskepsis ebenso wie die Panikmache, als Folge der Geschichte eines Staates und seines Regierungshandelns begriffen werden.
Wie die herrschenden Meinungen immer die Meinungen der Herrschenden sind, zeigen sich die Einstellungen der Beherrschten immer genau als solche Einstellungen, die den sozialen Frieden im Sinne der Herrschenden garantieren.
Es ergäben sich, wären die Bürger allesamt von ihrem Staat und dessen Interessen unabhängige Geister, nicht diese Unterschiede in den Ansichten zwischen einzelnen Staatsbevölkerungen.