Corona in Österreich: Kommt 1-G?

Kanzler Kurz verkündet, dass die Pandemie für die Geimpften vorbei ist, die nächste Welle werde "vor allem eine Belastung für die Ungeimpften"

Eine generelle Impfpflicht lehnt der österreichische Kanzler ab, die Maßnahmen, die Sebastian Kurz gestern ankündigte, zielen jedoch darauf ab, die Impfbereitschaft zu erhöhen. Es werde keine Einschränkungen für die geben, die geimpft sind, aber für "die, die noch nicht geimpft sind", sagte er gegenüber dem ORF. Für die Geimpften müsse die Zeit der Lockdowns vorbei sein.

Im Nachbarland ist ein Fünf-Punkte-Programm des Kanzlers, das per Mail an mehrere Redaktionen verschickt wurde, aber von den Landesregierungen noch nicht bestätigt wurde, Gegenstand offener Fragen. Der Neuigkeitswert der fünf Punkte sei begrenzt, urteilt die österreichische Zeitung Der Standard. Anderswo heißt es, es seien bisher "nur Überschriften" (eine Übersicht findet sich hier).

Schutzmaßnahmen nur noch für Ungeimpfte

Herausgehoben wird, wie auch in deutschen Medienberichten, die Ankündigung des Kanzlers, dass es "keinen generellen Lockdown" mehr geben wird - mit dem "Nachsatz: Schutzmaßnahmen soll es nur noch für Ungeimpfte geben". Das sei der Kern der Maßnahmen, wie auch der ORF zum Sommergespräch mit Kurz festhält.

Einmal mehr erklärte er die Pandemie für Geimpfte für beendet: Er sehe es "schon so, dass für Geimpfte die Pandemie überstanden ist", so Kurz. Die nächste Welle werde "vor allem eine Belastung für die Ungeimpften". Das Virus werde "nicht verschwinden", das werde es "in zehn Jahren noch geben". Die Impfung sei darauf die "beste Antwort", so der Kanzler. "Wenn Sie nicht geimpft sind, dann werden Sie sich irgendwann anstecken", sagte Kurz in Richtung der Ungeimpften. Das könnten "kein Staat" und "keine Maßnahme" verhindern.

ORF

In der österreichischen Regierung hat man die Gedankenspiele zu den Maßnahmen sehr weit ausgedehnt, wie man an den Überlegungen zu "1-G"-Maßnahmen erkennen kann. Justizministerin Alma Zadić erklärte am gestrigen Montag, dass "in der Gastronomie, aber auch darüber hinaus" 1-G geprüft werde.

Sie begründet dies mit einem Argument, das auf die Freiheitsrechte der Geimpften aufbaut und zugleich auf der Notwendigkeit von Maßnahmen. Hier bringt sie die krudeste Version ins Spiel, den Lockdown als "Hausarrest":

Für die, die Geimpft sind, wird man den Lockdown nicht einführen können. (…) Auf Grund der steigenden Zahlen bei den Intensivbetten wird es notwendig sein, auch weitere Maßnahmen zu setzen. (…) Man hat (letztes Jahr) die Freiheiten eingeschränkt, um das Leben der anderen zu schützen. Wenn man aber jetzt geimpft ist und das Leben der anderen durch die Impfung schützt, dann lässt sich das verfassungsrechtlich schwer argumentieren, warum man die Personen, die geimpft sind, zuhause einsperrt.

Alma Zadić, österreichische Justizministerin

Mit dem 1-G-Vorschlag ist sie nicht allein in der Regierung. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein schlug die 1-G-Regel für die Nachtgastronomie und für "Stehpartys" wie beim Après-Ski vor. "Zu ihrem eigenen Schutz". Sie sollen in diese Risikobereiche keinen Zutritt haben.

Auch Kanzler Kurz sprach sich dafür aus, in den Bereichen, "wo viele Menschen aufeinandertreffen", als Beispiele nannte er wie Mückstein Nachtgastronomie und Großveranstaltungen, "aktiv" zu werden, ohne jedoch eine "1-G-Regel" zu erwähnen.

Gleichsetzung von Geimpften und Genesenen

Was heißt "1-G", warum nicht "2-G" (von 3-G ist überhaupt keine Rede mehr)?

Anscheinend gibt es da der österreichischen Regierung eine Gleichsetzung zwischen "Genesenen" und "Geimpften", wie es Die Presse berichtet.

Was auffiel: Für Kurz sind "genesen" und "geimpft" mehr oder weniger dasselbe. Genesene und Geimpfte seien "de facto gleichgestellt", sagte er.

Die Presse

Andererseits sträubt man sich in der Regierung gegen diese Gleichsetzung. Dass die Genesenen im Fünf-Punkte-Plan von Kurz gar nicht erwähnt werden, erklärt der Der Standard nämlich so:

Aus rechtlicher Sicht wäre es laut dem Verfassungsrechtler Peter Bußjäger zwar "heikel", aber nicht undenkbar, Genesene von bestimmten Gesellschaftsbereichen auszuschließen. Aus epidemiologischer Sicht sind Genesene vor der Delta-Variante sogar besser geschützt als Geimpfte, was gegen eine Schlechterstellung sprechen würde. Wobei Bußjäger schon in der Vergangenheit anführte: Eine Gleichstellung von Genesenen und Geimpften könnte dazu führen, dass Menschen auf die Idee kommen, sich absichtlich anzustecken, oder zumindest eine Infektion in Kauf nehmen- das würde freilich die Intensivstationen belasten und damit die Schutzmaßnahmen ad absurdum führen, von Long Covid ganz zu schweigen.

Der Standard

Am 6. September 2021 waren 66,4 Prozent der österreichischen Bevölkerung im Alter über zwölf Jahren doppelt geimpft und 70,2 Prozent einfach.

Von Rückkehrern aus Österreich ist häufig zu hören, dass Kontrollvorgaben lässig behandelt wurden, was teilweise mit Freude aufgenommen wurde, teilweise mit Verunsicherung ("zu acht in der Gondel, T-Shirt an T-Shirt, ohne Schutzmaske"). Auch Kanzler Kurz ist aufgefallen, dass die 3-G-Nachweise im "Gastgewerbe und in Freizeitbetrieben" lasch kontrolliert wurden, bzw. "teilweise mangelhaft". Zum Fünf-Punkte-Plan gehört nun auch eine Erhöhung des Kontrolldrucks.