Covidioten: Die Pandemie der Infantilität
Wenn naturwissenschaftliche Realität auf eine verweichlichte und ignorante Gesellschaft trifft. Ein Kommentar
Man hat den Eindruck, dass weite Teile der Bevölkerung noch nie darüber nachgedacht haben, dass die Art Homo sapiens auf diesem Planeten eine verletzliche Zivilisation ist. Dass das Leben nicht automatisch immer bequem weitergeht, am besten garantiert von der Regierung, die einen vor jeder Veränderung zu bewahren hat. Eine Virusepidemie gilt seit langem als eine der Menschheitsgefahren, mit der sich Wissenschaftler beschäftigen. Dass Corona sich dabei nicht so katastrophal entwickelt hat, wie man anfangs befürchten konnte, ändert daran nichts.
Aber vielen scheint der Gedanke völlig fremd zu sein, dass es globale Ereignisse gibt, die niemand einfach verbieten kann. Man fragt sich, wie manche auf andere Gefahren reagieren würden. Ein Asteroid ist im Anflug? Verschwörung der NASA! Evakuierung vor einem Supervulkan? Widerstand gegen die Umsiedlung! Umwelt-, Arten- und Klimaschutz? Alles Fake! Gefahr eines Blackouts durch Sonneneruptionen? Hat es immer schon gegeben! Die gefährlichen unbekannten Unbekannten, von denen Nassim Taleb spricht? Fehlanzeige, wir wissen nichts. Hauptsache Widerstand, denn irgendwie, irgendwo, muss ja die Politik schuld sein.
Mir drängt sich hier die Assoziation zu einem Dreijährigen auf, der sich trotzig auf den Boden wirft und seine Eltern beschimpft, weil es am Geburtstag regnet. Die reale Welt besteht aber nicht nur aus Sonnenschein, erst recht nicht im 21. Jahrhundert.
Vielleicht war Corona eine heilsame "Generalprobe" für die Welt, derartige Gefahren ernster zu nehmen. Nicht nur ist eine so vernetzte Zivilisation an vielen Stellen verwundbar, die Biotechnologie bietet seit einigen Jahren die Möglichkeiten, Viren praktisch beliebig zu kombinieren und zu konstruieren. Und es wäre vollkommen naiv zu glauben, dass in den Biowaffenlaboren der Welt nicht alles ausprobiert würde, was möglich ist. Das bedeutet nicht, dass dies bei der vorliegenden Pandemie der Fall ist, aber es besteht eine realistische Möglichkeit, dass Konflikte - und die soll es ja geben auf der Welt - in Zukunft auch auf solche Weise ausgetragen werden.
Erstaunlicherweise gibt es in den alternativen Medien nur wenige Stimmen wie Mathias Bröckers oder Dirk Pohlmann, die diesen interessanten Fragen nachgehen. Viele scheinen sich dagegen in einer hyperventilierenden Blase zu befinden, die den Verstand ausgeschaltet hat.
Ansteckende Dummheit
Anstatt rational mit der Situation umzugehen, und sich an Evidenz zu halten, wird blind auf Titel vertraut. Jeder Geisteswissenschaftler, der in seiner Jugend ein Semester Statistik gehört hat, darf die Gesetze der bedingten Wahrscheinlichkeit mal neu interpretieren. Die Alternativen verkennen leider, dass man zu jedem Unsinn einen halbwegs namhaften Experten finden kann, der ihn vertritt.
Es reicht, wenn sich irgendein Schwätzer mit zur Not auch falschem Professorentitel vorstellt, und die Gemeinde hängt an den Lippen. Ein Dr. Wodarg gewinnt seine Zuhörer schon mit dem Satz "Ich bin Arzt", das faktenresistente Zeug, das danach kommt, geht unter - bei diesem Anlass übrigens ein Dank an Telepolis, das ihm Gelegenheit gab, seine Ahnungslosigkeit zur Übersterblichkeit zu dokumentieren.
Auch der YouTube-Star Prof. Sucharit Bhakti zieht die Zuhörer mit seiner sanften Stimme in den Bann. Er meint zu Corona: "Gesunde Menschen erkranken daran nicht ernsthaft." Nicht die einzige Merkwürdigkeit des emeritierten Mediziners. Vor kurzem wurde ein Rechtsmediziner gehypt, der bei Autopsien keine Corona-Ursache feststellen konnte, lediglich viele Embolien. Nachdem nun bekannt wird, dass diese oft von COVID-19 verursacht werden, ist er stiller geworden.
Die Krönung der medizinischen Erkenntnis liefert aber mal wieder Prof. Bhakti: Die Embolien seien entstanden, "weil die Leute zu Hause herumsaßen".
Keiner dieser interviewfreudigen Ärzte hat irgendeinen Beitrag dazu geleistet, die Therapien von Covid-19 tatsächlich zu verbessern. Tatsächlich gibt es ja berechtigte Hoffnung darauf, durch blutverdünnende Mittel, Vitamin D, entzündungshemmende und antivirale Medikamente, verbesserte Beatmungsprotokolle etc. Aber eben nicht durch Leugnen der Fakten, welche die rasende Ausbreitung und die potenzielle Letalität beweisen.
Nur: Für Vorbeugung gibt es eben keinen Ruhm zu ernten. Und so beschwert man sich in Deutschland (lieber nicht über die Grenzen schauen) über die Feuerwehr, die das ach so harmlose Glimmen gelöscht hat. Und unsere Recht dabei verletzt hat, nicht nass zu werden!
Grundrecht auf Krankheit der anderen
Es gab wohl noch nie so viele Grundrechtsexperten in Deutschland wie 2020. Leute, die noch nie eine Güterabwägung jenseits der eigenen Egoismen durchgeführt haben, gönnen sich täglich neue Grundrechte, nach dem Prinzip: Jeder, dem irgendetwas nicht passt, heult herum, er sei "verletzt". Sogar eine Partei wurde gegründet, Widerstand 2020. Widerstand wogegen? Ich habe den Eindruck: dagegen, dass sich die Welt vielleicht verändert und dass uns das Angst macht.
Nein, ich bin nicht obrigkeitshörig, und mir liegt etwas an Grundrechten. Ich finde die Meinungsfreiheit durch das NetzDG verfassungswidrig eingeschränkt, protestiere gegen die schleichende Machtergreifung von Google, Facebook und Twitter, die sich nichts um die deutsche Rechtsordnung scheren, finde das Bayerische Polizeiaufgabengesetz verfassungswidrig und einiges mehr. Aber da hätte ich mir einen ähnlichen Grundrechts-Shitstorm gewünscht wie jetzt.
Ich habe auch volles Verständnis, wenn jemand in seiner beruflichen Existenz gefährdet ist und sich gegen Maßnahmen wehrt, die nicht sachgerecht sind. Manche spezifische Lockerung könnte man hier vielleicht früher machen.
Die Frage, die mich aber bei all jenen umtreibt, die sich überhaupt und allgemein ereifern, ist: Gegen was genau wird eigentlich protestiert?
- Dass man Covid-erkrankte 80-Jährige hierzulande nicht mit Morphium ins Jenseits schickte, sondern behandelte? Ist denen, die an jeder Ecke Nazis wittern, eigentlich klar, dass "Corona betrifft ja nur Alte und Kranke" eine Neuauflage des Konzepts des "unwerten Lebens" ist?
- Gegen die drohende Totalüberwachung mit einer nicht existenten App, die wahrscheinlich zu Tode diskutiert wird, bevor sie funktioniert? Haben die Empörten schon einmal was von Edward Snowden gehört? Davon, dass alle Internetkonzerne sowieso jeden ausspionieren und man infolgedessen von der NSA totalüberwacht ist, wogegen Deutschland sich nie gewehrt hat?
- Gegen die hinterhältigen Machenschaften eines Bill Gates, der mit einem nicht existierenden Zwang zu einer nicht existierenden Impfung mit nichtexistierendem Monopol Geld verdienen will, das er nicht braucht? (Was nicht bedeutet, dass alles toll ist, was seine Stiftung macht.) Apropos Gates und Weltherrschaft: Gibt es da nicht auch ein Betriebssystem, gegen das seit 30 Jahren demonstriert wird, wegen dessen Intransparenz, Monopolstellung, Ausspionieren, systemimmanenter Virenanfälligkeit? Aber im Jahr 2020 müssen wir dringend gegen Gates auf die Straße.
- Gegen die Ausgangsbeschränkungen, die im Vergleich zu Frankreich, Italien, Spanien (von China gar nicht zu reden) milde bis zur Nichtwahrnehmbarkeit waren und von den Gerichten (wohl einzigartig auf der Welt) umgehend korrigiert wurden, wo sie zu weit gingen?
- Dagegen, dass in einem Land mit akzeptierten Helm- und Gurtpflicht zur eigenen Sicherheit vorübergehend und an manchen Orten eine Maske zum Schutz anderer getragen werden soll, die ungefähr so beeinträchtigt wie ein Schal im Winter? Geht's noch?
- Dass man vorübergehend auf massenweisen Körperkontakt außerhalb der Familie und Partnern verzichtet? Dass man sich die Hände waschen soll? Was kommt als nächstes? Grundrecht darauf, jemand ins Gesicht zu husten und zu spucken? Grundrecht auf Nutten ohne Gummi? Grundrecht Urinieren in öffentlichen Gebäuden?
Demo auf Corona komm raus
Nein, ich verstehe es nicht. Im Gegenteil, ich hätte noch Anregungen zur weiteren Aufregung: Obwohl die Politik im Großen und Ganzen mit dem Masken- und Abstandsgebot die richtigen Maßnahmen getroffen hat, wird im Einzelnen gepfuscht. So werden die Schulen durch Klassenteilungen in ein organisatorisches Chaos gestürzt, anstatt die Masken auch im Klassenzimmer vorzuschreiben und für eine ausreichende Frischluftzufuhr zu sorgen. So wäre Unterricht ohne große Einschränkungen möglich.
Im Bußgeldkatalog den Verstoß gegen Masken- und Abstandspflicht nicht zu sanktionieren, ist ein Fehler, der dringend korrigiert werden muss. Denn in den Verzicht auf medizinische Behandlung - wie in diesem satirischen Formular - werden die Covidioten kaum einwilligen.
Die geplanten Demonstrationen werden auch das Phänomen der Schweigespirale zeigen - eine laute, aggressive Minderheit, die der Mehrheit den Willen aufzwingen möchte -, sofern sie sich außer Geschrei überhaupt auf etwas einigen kann. Das einzige Ergebnis wird wahrscheinlich sein, dass die Infektionszahlen - wie in München zu beobachten - wieder ansteigen, was die europäischen Nachbarn kaum dazu bewegen wird, ihre Grenzen wieder zu öffnen. Gratulation zu diesem Ergebnis einer Demo für Bewegungsfreiheit.
Dummheit ist nicht strafbar, aber andere zu gefährden, geht eben gar nicht. Demonstriert jemand und hält sich an die Regeln - nun gut. Aber wer ohne Maske keinen ausreichenden Abstand hält, ist - wo auch immer - ein rücksichtsloser, asozialer Idiot. Und ich wünsche mir, dass der Rechtsstaat dies mit aller ihm zur Verfügung stehender Entschiedenheit sanktioniert.
Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch "Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur - Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten" erschien 2019 im Westend-Verlag.
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