Cum-Ex-Anwältin Brorhilkers Kampfansage an Finanzlobby und Regierung

Olaf Scholz im Hintergrund, Vordergrund verschwommen

Beobachter des Geschehens im Hintergrund: Olaf Scholz. Bild: Juergen Nowak / Shutterstock.com

Klage gegen Schieflage des Systems. Ehemalige Oberstaatsanwältin wirft Banken Milliardenbetrug und Regierung Untätigkeit vor. Auch Medien werden angegriffen.

Anne Brorhilker macht Ernst. Wie Medien berichten, beabsichtigt die ehemalige Oberstaatsanwältin und wohl bekannteste Ermittlerin im Cum-Ex-Skandal, sich an einer Klage gegen die Regierung zu beteiligen, um gegen die "Schieflage des Systems" zu kämpfen, das den milliardenschweren Steuerbetrug erst ermöglicht habe.

Brorhilker hatte im Mai 2024 ihr Amt niedergelegt, um sich der Bürgerbewegung Finanzwende anzuschließen, die sich nach eigener Darstellung als Gegengewicht zur Finanzlobby einsetzt. Als neue Co-Geschäftsführerin der Finanzwende erhebt Brorhilker nun schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung und insbesondere Finanzminister Christian Lindner (FDP). Ihre Forderung:

Die Finanzverwaltung muss beweisen, dass sie aufseiten der Bürger steht und nicht der Banken, die den Staat um Milliarden betrogen haben.

Kriminelle Deals mit dem Segen der Regierung

Zusammen mit dem Finanzwende-Gründer und ehemaligem Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick (Grüne) prangert Brorhilker unter anderem die Untätigkeit des Staates beim sogenannten Cum-Cum-Steuerbetrug an.

Diese Betrugsmasche hat Schätzungen zufolge mit mindestens 28,5 Milliarden Euro einen noch höheren Schaden verursacht, als die eng damit verwandten und bekannteren Cum-Ex-Geschäfte, in die auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mutmaßlich verwickelt ist.

Trotz beträchtlicher Haushaltsdefizite, so die Anschuldigung von Brorhilker und Schick, zeigten die Finanzminister in Bund und Ländern bislang kein Interesse, dieses Geld einzutreiben.

Mehr noch: Brorhilker zufolge leistete das Bundesfinanzministerium jener umstrittenen Praxis sogar jahrelang Vorschub, indem es in einem Schreiben von 2016 die kriminellen Aktiendeals unter bestimmten Bedingungen für zulässig erklärte. Erst 2021 sei dies korrigiert worden – allerdings ohne erkennbare Anstrengungen, die Milliarden zurückzuholen.

Finanzwende hat laut ntv inzwischen vier Klagen gegen das Bundesfinanzministerium sowie die Finanzministerien von Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen eingereicht. Die Aktivisten wollen nach eigenen Angaben politischen Druck erzeugen, um die milliardenschwere Steuerhinterziehung ernsthaft zu bekämpfen.

Andere Länder wie Dänemark und Frankreich würden zeigen, dass dies möglich sei, wenn der politische Wille vorhanden sei, so Brorhilker. In Dänemark verfolgt die Regierung Cum-Ex-Täter auch im Ausland, und Frankreich hat eine eigene Staatsanwaltschaft für solche Taten gegründet.

Hinter der beklagten Untätigkeit der Regierung, durch die das Vertrauen in den Rechtsstaat erodiere, vermutet Brorhilker den Einfluss der Finanzlobby, einer, wie ntv sie zitiert, "große(n), sehr gut vernetzte(n) Branche, die ein großes Interesse daran hat, effektive Kontrollen und Strafverfolgung zu verhindern, und die damit durchkommt."

Es ist nicht das erste Mal, dass Brorhilker den übermäßigen Einfluss jener Finanzlobby offen verurteilt. Erst Anfang Juli hatte die Juristin deutliche Worte über die politische und mediale Manipulation gefunden, derer sich jene Lobby zuweilen bediene.

"Entmachtungsversuche" und "mangelnde Rückendeckung"

Anne Brorhilker ermittelt seit 2013 zum Cum-Ex-Betrug. Seit 2017 ist sie Leiterin der Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung der Staatsanwaltschaft Köln mit dem Schwerpunkt Cum-Ex-Verfahren.

Auf Basis ihrer Ermittlungen begann 2019 der Musterprozess vor dem Landgericht Bonn, der erstmals klärte, inwieweit Cum-Ex-Geschäfte illegal seien. Das Gericht stellte 2020 die Strafbarkeit der Steuer-Erstattungs-Praxis fest und verurteilte die Angeklagten. Der Bundesgerichtshof bestätigte ein Jahr später diese Einschätzung.

Im September 2023 kam es zu einem Streit um ihre "Entmachtung". Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) wollte ihr die Hälfte der Staatsanwälte entziehen, was nach heftiger Kritik und einer Petition zu einer Kehrtwende führte. Limbach stellte vier neue Staatsanwälte ein und behielt die Arbeitsstruktur der Abteilung bei.

Unter Brorhilkers Führung eröffnete die Kölner Staatsanwaltschaft rund 120 Verfahren gegen 1700 Beschuldigte. Trotz dieser Erfolge habe sie kaum Ressourcen erhalten und sei auf erheblichen Widerstand gestoßen. "Die Rückendeckung meiner Vorgesetzten war sehr unterschiedlich ausgeprägt," so Brorhilker am 10. Juli in ihrem ersten Interview seit ihrem Rückzug.

"Systematische Diskreditierung" und "Medien-Märchen" der Finanzlobby

Zu den zahlreichen Erschwernissen ihrer Arbeit zählte Brorhilker auch die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Behörden. So habe das Bundesministerium der Finanzen seit 2009 über eine Liste mit 566 potenziellen Cum-Ex-Betrügern verfügt, die jedoch nicht mit ihr geteilt wurde.

Zudem entdeckte die Juristin eine enge Verbindung zwischen Finanzindustrie und Politik, insbesondere im Fall der Warburg-Bank, bei dem Steuerrückforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro fallen gelassen wurden.

Darüber hinaus berichtete Brorhilker auch von massivem Widerstand der Finanzlobby gegen ihre Ermittlungen. "Es wurde häufig alles getan, um unsere Arbeit zu erschweren und in die Länge zu ziehen", so die ehemalige Staatsanwältin.

Dokumente seien ins Ausland geschafft worden, Anwälte hätten aktiv Durchsuchungen behindert. Auch über den außergerichtlichen Einfluss der Finanzlobby auf entsprechende Verfahren blieb sie nicht im Ungefähren.

Auf die vom Tagesspiegel rekapitulierte Darstellung, wonach der Prozess gegen Warburg-Bankier Christian Olearius unter ihrer Führung deshalb abgebrochen worden sei, weil sich eine Niederlage der Staatsanwaltschaft abzeichnete, gab Brorhilker eine mehr als brisante Antwort:

Fakt ist, dass Anwälte von Herrn Olearius einen Freispruch beantragt haben. Die Vorsitzende Richterin hat das abgelehnt. Angeklagte beschäftigen oft für viel Geld nicht nur Anwälte, sondern auch Leute, die gezielt Märchen erzählen. Sie meinen die Medienstrategen. Ja.

Und zu einer solchen Medienstrategie gehört offensichtlich nicht nur, die eigene Person reinzuwaschen, sondern auch, die Gegenseite systematisch zu diskreditieren. Da wird dann behauptet, dass ich eine komische Person sei, die alles Maß verloren habe. Mit der irgendwas nicht stimme. Auf die man besser nicht hören solle.

Anne Brorhilker

Gegenüber ntv beteuerte Brorhilker, ihre Erfahrung und ihr Wissen bei Finanzwende einzubringen, um "Wirtschaftskriminalität auf einer anderen Ebene zu bekämpfen". Ihr Ziel sei es, die Finanzverwaltung und die Politik stärker in die Verantwortung zu nehmen und effektive Maßnahmen gegen Steuerbetrug durchzusetzen.