Cum-Ex-AnwÀltin Brorhilkers Kampfansage an Finanzlobby und Regierung
Beobachter des Geschehens im Hintergrund: Olaf Scholz. Bild: Juergen Nowak / Shutterstock.com
Klage gegen Schieflage des Systems. Ehemalige OberstaatsanwÀltin wirft Banken Milliardenbetrug und Regierung UntÀtigkeit vor. Auch Medien werden angegriffen.
Anne Brorhilker macht Ernst. Wie Medien [1] berichten, beabsichtigt die ehemalige OberstaatsanwÀltin und wohl bekannteste Ermittlerin im Cum-Ex-Skandal, sich an einer Klage gegen die Regierung zu beteiligen, um gegen die "Schieflage des Systems" zu kÀmpfen, das den milliardenschweren Steuerbetrug erst ermöglicht habe.
Brorhilker hatte im Mai 2024 ihr Amt niedergelegt, um sich der BĂŒrgerbewegung Finanzwende anzuschlieĂen, die sich nach eigener Darstellung als Gegengewicht zur Finanzlobby einsetzt. Als neue Co-GeschĂ€ftsfĂŒhrerin der Finanzwende [2] erhebt Brorhilker nun schwere VorwĂŒrfe gegen die Bundesregierung und insbesondere Finanzminister Christian Lindner (FDP). Ihre Forderung:
Die Finanzverwaltung muss beweisen, dass sie aufseiten der BĂŒrger steht und nicht der Banken, die den Staat um Milliarden betrogen haben.
Kriminelle Deals mit dem Segen der Regierung
Zusammen mit dem Finanzwende-GrĂŒnder und ehemaligem Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick (GrĂŒne) prangert Brorhilker unter anderem die UntĂ€tigkeit des Staates beim sogenannten Cum-Cum-Steuerbetrug an.
Diese Betrugsmasche hat SchĂ€tzungen zufolge mit mindestens 28,5 Milliarden Euro einen noch höheren Schaden verursacht, als die eng damit verwandten und bekannteren Cum-Ex-GeschĂ€fte, in die auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mutmaĂlich verwickelt ist.
Trotz betrÀchtlicher Haushaltsdefizite, so die Anschuldigung von Brorhilker und Schick, zeigten die Finanzminister in Bund und LÀndern bislang kein Interesse, dieses Geld einzutreiben.
Mehr noch: Brorhilker zufolge leistete das Bundesfinanzministerium jener umstrittenen Praxis sogar jahrelang Vorschub, indem es in einem Schreiben von 2016 die kriminellen Aktiendeals unter bestimmten Bedingungen fĂŒr zulĂ€ssig erklĂ€rte. Erst 2021 sei dies korrigiert worden â allerdings ohne erkennbare Anstrengungen, die Milliarden zurĂŒckzuholen.
Finanzwende hat laut ntv [3] inzwischen vier Klagen gegen das Bundesfinanzministerium sowie die Finanzministerien von Hessen, Baden-WĂŒrttemberg und Nordrhein-Westfalen eingereicht. Die Aktivisten wollen nach eigenen Angaben politischen Druck erzeugen, um die milliardenschwere Steuerhinterziehung ernsthaft zu bekĂ€mpfen.
Andere LĂ€nder wie DĂ€nemark und Frankreich wĂŒrden zeigen, dass dies möglich sei, wenn der politische Wille vorhanden sei, so Brorhilker. In DĂ€nemark verfolgt die Regierung Cum-Ex-TĂ€ter auch im Ausland, und Frankreich hat eine eigene Staatsanwaltschaft fĂŒr solche Taten gegrĂŒndet.
Hinter der beklagten UntĂ€tigkeit der Regierung, durch die das Vertrauen in den Rechtsstaat erodiere, vermutet Brorhilker den Einfluss der Finanzlobby, einer, wie ntv sie zitiert, "groĂe(n), sehr gut vernetzte(n) Branche, die ein groĂes Interesse daran hat, effektive Kontrollen und Strafverfolgung zu verhindern, und die damit durchkommt."
Es ist nicht das erste Mal, dass Brorhilker den ĂŒbermĂ€Ăigen Einfluss jener Finanzlobby offen verurteilt. Erst Anfang Juli hatte die Juristin deutliche Worte ĂŒber die politische und mediale Manipulation gefunden, derer sich jene Lobby zuweilen bediene.
"Entmachtungsversuche" und "mangelnde RĂŒckendeckung"
Anne Brorhilker ermittelt seit 2013 zum Cum-Ex-Betrug. Seit 2017 ist sie Leiterin der Schwerpunktabteilung zur BekÀmpfung von Steuerhinterziehung der Staatsanwaltschaft Köln mit dem Schwerpunkt Cum-Ex-Verfahren.
Auf Basis ihrer Ermittlungen begann 2019 der Musterprozess vor dem Landgericht Bonn, der erstmals klÀrte, inwieweit Cum-Ex-GeschÀfte illegal seien. Das Gericht stellte 2020 die Strafbarkeit der Steuer-Erstattungs-Praxis fest und verurteilte die Angeklagten. Der Bundesgerichtshof [4] bestÀtigte ein Jahr spÀter diese EinschÀtzung.
Im September 2023 kam es zu einem Streit [5] um ihre "Entmachtung". Justizminister Benjamin Limbach (GrĂŒne) wollte ihr die HĂ€lfte der StaatsanwĂ€lte entziehen, was nach heftiger Kritik und einer Petition zu einer Kehrtwende [6] fĂŒhrte. Limbach stellte vier neue StaatsanwĂ€lte ein und behielt die Arbeitsstruktur der Abteilung bei.
Unter Brorhilkers FĂŒhrung eröffnete die Kölner Staatsanwaltschaft rund 120 Verfahren gegen 1700 Beschuldigte. Trotz dieser Erfolge habe sie kaum Ressourcen erhalten und sei auf erheblichen Widerstand gestoĂen. "Die RĂŒckendeckung meiner Vorgesetzten war sehr unterschiedlich ausgeprĂ€gt," so Brorhilker am 10. Juli in ihrem ersten Interview seit ihrem RĂŒckzug.
"Systematische Diskreditierung" und "Medien-MĂ€rchen" der Finanzlobby
Zu den zahlreichen Erschwernissen ihrer Arbeit zĂ€hlte Brorhilker auch die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Behörden. So habe das Bundesministerium der Finanzen seit 2009 ĂŒber eine Liste mit 566 potenziellen Cum-Ex-BetrĂŒgern verfĂŒgt, die jedoch nicht mit ihr geteilt wurde.
Zudem entdeckte die Juristin eine enge Verbindung zwischen Finanzindustrie und Politik, insbesondere im Fall der Warburg-Bank, bei dem SteuerrĂŒckforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro fallen gelassen wurden.
DarĂŒber hinaus berichtete Brorhilker auch von massivem Widerstand der Finanzlobby gegen ihre Ermittlungen. "Es wurde hĂ€ufig alles getan, um unsere Arbeit zu erschweren und in die LĂ€nge zu ziehen", so die ehemalige StaatsanwĂ€ltin.
Dokumente seien ins Ausland geschafft worden, AnwĂ€lte hĂ€tten aktiv Durchsuchungen behindert. Auch ĂŒber den auĂergerichtlichen Einfluss der Finanzlobby auf entsprechende Verfahren blieb sie nicht im UngefĂ€hren.
Auf die vom Tagesspiegel rekapitulierte Darstellung, wonach der Prozess gegen Warburg-Bankier Christian Olearius unter ihrer FĂŒhrung deshalb abgebrochen worden sei, weil sich eine Niederlage der Staatsanwaltschaft abzeichnete, gab Brorhilker eine mehr als brisante Antwort:
Fakt ist, dass AnwĂ€lte von Herrn Olearius einen Freispruch beantragt haben. Die Vorsitzende Richterin hat das abgelehnt. Angeklagte beschĂ€ftigen oft fĂŒr viel Geld nicht nur AnwĂ€lte, sondern auch Leute, die gezielt MĂ€rchen erzĂ€hlen. Sie meinen die Medienstrategen. Ja.
Und zu einer solchen Medienstrategie gehört offensichtlich nicht nur, die eigene Person reinzuwaschen, sondern auch, die Gegenseite systematisch zu diskreditieren. Da wird dann behauptet, dass ich eine komische Person sei, die alles Maà verloren habe. Mit der irgendwas nicht stimme. Auf die man besser nicht hören solle.
Anne Brorhilker [7]
GegenĂŒber ntv beteuerte Brorhilker, ihre Erfahrung und ihr Wissen bei Finanzwende einzubringen, um "WirtschaftskriminalitĂ€t auf einer anderen Ebene zu bekĂ€mpfen". Ihr Ziel sei es, die Finanzverwaltung und die Politik stĂ€rker in die Verantwortung zu nehmen und effektive MaĂnahmen gegen Steuerbetrug durchzusetzen.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.n-tv.de/wirtschaft/Ehemalige-Cum-Ex-Staatsanwaeltin-verklagt-jetzt-die-Regierung-article25093281.html
[2] https://www.finanzwende.de/ueber-uns/aktuelles/anne-brorhilker-ist-geschaeftsfuehrerin-der-buergerbewegung-finanzwende
[3] https://www.n-tv.de/wirtschaft/Ehemalige-Cum-Ex-Staatsanwaeltin-verklagt-jetzt-die-Regierung-article25093281.html
[4] https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021146.html
[5] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/cum-ex-statsanwaltschaft-100.html
[6] https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/cum-ex-skandal-chef-ermittlerin-brorhilker-bekommt-ploetzlich-mehr-macht/29440496.html
[7] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/finanzen/ehemalige-cum-ex-ermittlerin-anne-brorhilker-die-banken-wehren-sich-mit-handen-und-fussen-11993978.html
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