Daily Wire: Angriff auf die Woke-Kultur

Sebastian Wessels

Filmplakat Lady Ballers

Neu in den USA: Kreative Konservative, die Hollywood herausfordern. Mit einem Film über Männer, die im Frauensport antreten, und einem Anti-Disney-Schneewittchen. Kulturrevolution?

"Lady Ballers" ist eine Sportkomödie nach typischem Hollywood-Strickmuster. Ein Basketballtrainer, der seine besten Jahre hinter sich hat, trommelt sein gealtertes Team noch einmal zusammen.

Er hat eine Idee, wie sie es gemeinsam noch zu spätem Ruhm bringen können: indem sie bei den Frauen antreten. Die Strategie geht auf. Sie bringt nicht nur die ersehnten Wettkampfsiege, sondern darüber hinaus lukrative Sponsoringverträge und ein begeistertes Medienecho. Kritik gilt als transphob und ist daher tabu.

Biologische Männer im Frauensport – das Thema war in den letzten Jahren immer mal wieder mit spektakulären Fällen in den Schlagzeilen und ist ein gefundenes Fressen für Parodie und Satire. Allerdings würde es Hollywood aktuell nicht mit der Kneifzange anfassen. So kommt Lady Ballers (Trailer hier) auch nicht von dort, sondern aus Nashville. Der Film ist eine Produktion des konservativen Medienunternehmens Daily Wire und seit Anfang Dezember exklusiv auf dessen Streamingplattform zu sehen.

2015 von Ben Shapiro und Jeremy Boreing gegründet, hat sich der Daily Wire zunächst mit Nachrichten und Podcasts einen Namen gemacht. Die täglich ausgestrahlte Ben Shapiro Show gehört zu den beliebtesten Podcasts der USA. 2022 war das Unternehmen nach eigenen Angaben auf eine Belegschaft von 150 Mitarbeitern angewachsen und kam erstmals auf 100 Millionen US-Dollar Jahresumsatz. Durch den Erfolg beflügelt, wagt sich der Daily Wire neuerdings verstärkt in die Welt der Unterhaltung vor.

Das ist ausdrücklich als Herausforderung Hollywoods gemeint. Die dortige Filmbranche neigt politisch seit jeher nach links, folgt aber in den letzten Jahren immer strenger einer Orthodoxie, die nicht nur nach Wahrnehmung des Daily Wire in Konflikt mit dem kreativen Schaffen gerät. Todd Phillips beispielsweise, Autor und Regisseur des Oscar-prämierten Dramas "Joker" von 2019, hat nach eigenen Angaben das Comedygenre verlassen, weil die neue "Woke-Kultur" Komödien unmöglich mache. 2021 klagte Quentin Tarantino mit Blick auf Hollywood:

Vor allem seit dem letzten Jahr ist Ideologie wichtiger als Kunst. Ideologie trumpft Kunst. Ideologie trumpft individuelle Leistung. Ideologie trumpft gut.

100 Millionen Dollar gegen Disney

Zuletzt feuerte die satirische Animationsserie "South Park" im Oktober mit dem Spezial "Joining the Panderverse" eine Breitseite auf den strauchelnden Disney-Konzern ab, der derzeit eine nicht enden wollende Reihe von teuren Flops präsentiert und außer der Betonung weiblicher und "diverser" Charaktere keine Ideen mehr zu haben scheint. Selbst Disney-Chef Bob Iger räumte kürzlich ein, dass sich der Konzern zu sehr auf Botschaften fokussiert und darüber seine Hauptaufgabe aus dem Blick verloren habe, zu unterhalten.

So ist Disney auch ein Hauptadressat der Herausforderung des Daily Wire. Im März 2022 gelangten Auszüge einer internen Videokonferenz an die Öffentlichkeit, in der sich leitende Mitarbeiter unter anderem brüsteten, das Kinderprogramm mit "Queerness" anzureichern, wo immer sie könnten. Karey Burke, Präsidentin der TV-Unterhaltung bei Disney, verwies darauf, dass sie selbst je ein trans- und ein "pansexuelles" Kind habe, und wünschte sich für die Zukunft, dass 50 Prozent der Disney-Charaktere LGBT oder ethnische Minderheiten sein sollten.

Anlass des Meetings war ein neues Gesetz des Staates Florida, das die Behandlung der Thematik sexuelle Orientierung und Gender-Identität im Schulunterricht bis zur dritten Klasse untersagt. Der damalige Konzernchef Bob Chapek hatte zuerst politische Neutralität bekundet, sich dann aber unter internem Druck gegen das Gesetz ausgesprochen und eine andauernde Fehde mit Gouverneur Ron DeSantis ausgelöst. All das kam in der amerikanischen Öffentlichkeit nicht durchweg gut an.

Der Daily Wire nutzte nun die Aufmerksamkeit, um eine Investition von mindestens 100 Millionen US-Dollar in die Produktion von alternativen Unterhaltungsformaten für Kinder über die nächsten drei Jahre anzukündigen. Die dafür geschaffene Plattform Bentkey ist seit Oktober 2023 aktiv.

Schneewittchen und die sieben magischen Wesen

Eine weitere Steilvorlage Disneys, die der "Daily Wire" zu verwandeln versucht, waren die Kontroversen um die kommende "Schneewittchen"-Neuverfilmung des Konzerns. Im Sommer gelangten Fotos von den Dreharbeiten an die Öffentlichkeit, auf denen die "magischen Wesen" zu sehen waren, die anstelle der sieben Zwerge in dem Film auftreten sollten. Zuvor hatte der kleinwüchsige Schauspieler Peter Dinklage in einem Podcast die Verwendung von Zwergen als rückständig verdammt. Die "magischen Wesen" waren einfach Menschen verschiedener Ethnien in bunten Klamotten und gaben ein wenig überzeugendes Bild ab.

Zugleich äußerte sich die Hauptdarstellerin Rachel Zegler immer wieder abfällig über die klassische Umsetzung von 1937, die der Durchbruch für Disney und ein Meilenstein des Animationsfilms gewesen war. Zegler bezeichnete sie als "reichlich veraltet" und kritisierte, der Prinz habe Schneewittchen darin "gestalkt". Es sei "wundervoll", dass die neue Version keine Liebesgeschichte sein werde. Schneewittchen werde nicht vom Prinzen gerettet, sondern die Handlung konzentriere sich darauf, wie sie zu einer "starken Anführerin" werde.

Im Oktober kündigte der Daily Wire dann eine eigene "Schneewittchen"-Verfilmung für 2024 an und veröffentlichte einen Teaser, der nicht viel verrät, aber erwartungsgemäß eine konventionelle Märchenromantik ausstrahlt. Kurz darauf verschob Disney den Start seines Films auf 2025 – und veröffentlichte ein neues Bild, auf dem Zeglers Schneewittchen von ganz klassischen Zwergen umringt ist. Die Verschiebung mag mit dem Autoren- und Schauspielerstreik des Spätsommers zu tun haben; die Rückkehr der Zwerge ist damit schwieriger zu erklären.

Die anonymen Konservativen Hollywoods

Für Jeremy Boreing, der das öffentliche Gesicht des Daily Wire als Unternehmen und maßgeblich für dessen Vorstöße in die Unterhaltung verantwortlich ist, schließt sich damit womöglich ein Kreis, der selbst Filmstoff sein könnte. Boreing ist inmitten von Schauspielern und Musikern aufgewachsen und als junger Mann nach Los Angeles gezogen, um in Hollywood Karriere zu machen. Er versuchte sich als Schauspieler, Autor und Produzent und wirkte tatsächlich an einer Reihe von Filmen mit, doch der große Erfolg blieb aus.

Dafür ergaben sich andere Perspektiven. Von 2011 bis 2016 leitete Boreing "Friends of Abe", ein mehr oder weniger geheimes Netzwerk von Konservativen in Hollywood, das zu einer kleinen vierstelligen Anzahl von Mitgliedern heranwuchs. Der Name ist angelehnt an "Friends of Bill", ein Codewort für die Anonymen Alkoholiker, die von William Wilson ("Bill") ins Leben gerufen wurden. Mit Abe ist der erste republikanische US-Präsident Abraham Lincoln gemeint. Die Friends of Abe dienten nach ihrer Gründung 2004 tatsächlich zunächst als eine Art Selbsthilfegruppe; Boreing erzählt von Neumitgliedern, die in Tränen ausbrachen, als sie durch das Netzwerk bemerkten, dass sie doch nicht ganz allein waren.Damals kursierte unter ihnen ein Witz:

Es gibt nicht viele von uns, aber das Gute ist, dass einer von drei Republikanern in Hollywood später einmal Präsident wird.

Mit dem Wachstum der Gruppe wurde die Stimmung selbstbewusster. Abgesehen von einigen führenden Köpfen blieben die Identitäten der Mitglieder streng geheim, was auch nötig war – das Outing als Konservativer wäre für viele in Hollywood nicht nur peinlich, sondern eine ernste Gefahr für die Karriere gewesen, und das Problem hat sich im Laufe der Zeit eher noch verschärft. Doch gleichzeitig wurde sich die Gruppe bewusst, dass sie eine politische und kulturelle Kraft darstellte, oder zumindest das Potenzial dazu hatte. Für republikanische Politiker mit Ambitionen gehörte ein Besuch bei den Friends of Abe schließlich zum Standardprogramm.

Auch der 2012 verstorbene Journalist, Autor und Aktivist Andrew Breitbart war in der Organisation aktiv und drückte ihr seinen Stempel auf. Er ist vor allem für sein Motto bekannt: "Politics is downstream from culture." Kultur ist demnach die eigentlich bestimmende Kraft der Politik. Wer die Politik verändern will, muss die Kultur verändern. So gesehen erscheint das Unterhaltungsprogramm des "Daily Wire" nicht als optionales Extra, sondern als Rückkehr zum Wesentlichen.

Konservative mit Lust auf Neues?

Der kanadische Psychologe Jordan Peterson – der selbst beim Daily Wire unter Vertrag ist – sprach Boreing kürzlich in seinem Podcast auf eine Paradoxie an: In der Regel sind Konservative wenig kreativ. Psychologisch gesehen ist Kreativität Ausdruck des Persönlichkeitszuges, Offenheit für Erfahrung, der Interesse an Ideen und Ästhetik beinhaltet und stark mit linken politischen Orientierungen korreliert. Wie ist also der kreative Schaffensdrang beim konservativen Daily Wire zu erklären, die Lust, immer wieder Neues zu probieren, statt sich an das Erprobte und Bewährte zu halten?

Für Boreing spiegelt sich darin eine spezifisch amerikanische Art von Konservatismus, für die im Unterschied zum europäischen ein liberales, freiheitliches Moment ebenso grundlegend sei wie das bewahrende. Zudem sei das Projekt Daily Wire aus einem "besonderen Breitbartianischen kulturellen Augenblick" im Los Angeles der 2010er-Jahre geboren, für den auch die Friends of Abe stünden – eine Aufbruchstimmung unter einer speziellen Auswahl von Konservativen, die alle aus der Kreativwirtschaft kamen.

Doch Peterson spekuliert, dass der Auftritt einer frechen, rebellischen, kulturell interessierten Sorte von Konservativen auch mit der politischen Großwetterlage zusammenhängen könnte. In einer Kultur, die sich immer mehr auf ausgetretenen Pfaden bewegt und intolerant gegen Abweichung ist, fühlen sich Menschen mit hoher Offenheit beengt. Und wenn eine solche dominante Kultur eher progressiv ist, mag der eine oder andere Quergeist deshalb einen Sog in die entgegengesetzte Richtung verspüren.

Danach klingt eine frühe Aussage der "South Park"-Macher Trey Parker und Matt Stone. Sie sind dafür bekannt, in alle Richtungen auszuteilen, scheinen aber doch zuweilen härter mit der Linken ins Gericht zu gehen. Darauf angesprochen, erklärten sie 2006 in einem Interview, nach rechts zu neigen sei in Hollywood einfach rebellischer.