Darf’s ein bisschen mehr sein?
Was Nachhaltigkeit für die Architektur bedeutet
In modernen, hochkomplexen Gesellschaften wie der unseren löst kein Wahlausgang ein politisches Problem. Der Sieg einer Partei, so der Medientheoretiker Norbert Bolz, hat für den Wähler vor allem Expressionswert – ähnlich wie der Sieg seiner Fußballmannschaft. Moderne Politik ist Wort- und Zeichenpolitik. Man kann die Lage zumeist nicht ändern, wohl aber ihre Wahrnehmung. Politik ist das emotionale Management dessen, was man faktisch nicht managen kann. An die Stelle der politischen tritt die medienästhetische Präsentation.
Darin ähnelt die Architektur der Politik. Beide sind stets auf der Suche nach (neuen) Inhalten - und stets in der Gefahr, sich in ihnen zu verlieren. Gleichwohl pflegen sie die Wahrheit mit großer Autorität, im Brustton der Überzeugung zu verkünden. Und doch bleibt der Bezugsrahmen von Architektur immer ein gesellschaftlicher. Denn wie Globalisierung und Nachhaltigkeitsdiskussion nur verschiedene Seiten derselben Medaille darstellen, so hat sich auch das Verhältnis zwischen Politik und Architektur allenfalls verschoben, keineswegs ins Nichts aufgelöst. Gerade am Beispiel "Sustainability" zeigt sich, wie das Bewusstsein über die Wechselwirkung von Gesellschaft und gebauter Umwelt zu schärfen wäre.
In der Diskussion, die hierzulande geführt wird, erscheint Nachhaltigkeit besonders wenn sie auf Innovation und Hochtechnologie bezogen wird wie eine Dame ohne Unterleib, abgeschnitten von den kulturellen Fermenten und den sozialen Katalysatoren, ohne die ihr gesellschaftlicher Gebrauch zu haben sind. Richard Buckminster Fuller prägte vor mehr als sechs Jahrzehnten den Begriff „cosmic conceptioning“. Gemeint war die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge für Erhalt und Pflege der Lebensgrundlage nicht bloß zu erkennen, sondern im Denken und Handeln wirksam werden zu lassen - vor allem in einer präzisen Modellierarbeit von Ereignismustern, ihren Veränderungen und Transformationen. Nachhaltige Entwicklung, so hat Fuller es uns vorgemacht, gibt es nur als Synthese von technologisch-ingenieurmäßigen Handeln und gesellschaftspolitischen, wertebasierten und werteorientierten „Ansprüchen“.
Doch wie sieht das Ergebnis aus, wenn es sich Bauten und Räumen materialisiert? Nicht eben erstrebenswert, wenn man einem – vor einiger Zeit in der FAS geäußerten – Fazit Glauben schenkt: „Im 'Nullenergiehaus' las man in dunkelgraues Recyclingpapier hineingedruckte Traktate über 'Entschleunigung' und aß selbstgeschrotete Slow-Food-Brötchen, die so flach und hart waren, dass der Schlachtruf 'weniger!' bald auch für die Zähne wahr wurde.“ Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Architektur in ihrem Bemühen um Nachhaltigkeit nicht gut weg kommt.
Gewiss wird bei den irgendwie hervorgehobenen Bauvorhaben – sei es nun, deklamatorisch, beim Commerzbankhochhaus in Frankfurt oder, realiter, beim Umweltbundesamt in Dessau – viel Wert auf „ecological correctness“ gelegt. Dies mag schon aus Gründen eines zukunftsgewandten Marketings geboten sein. Dennoch ist es bislang eher die Optimierung von Einzelaspekten, weniger eine Gesamtheit umweltorientierter Planungsprinzipien, es ist stärker die Bezugnahme auf das einzelnen Gebäude als auf den Siedlungszusammenhang, die die Realität bestimmen. Green Glamour als private Lebenstiloption für Besserverdienende, das ökologisch hochgerüstete Eigenheim auf der grünen Wiese: Sie mögen, für sich genommen, begrüßenswert sein. Sie bieten aber keine probate Antwort auf die eigentliche Herausforderung.
Eine Frage, die zwar selten offen angesprochen, gleichwohl aber immens bedeutsam wird, ist die der Form und Erscheinung, weil sie eine Kerndomäne anspricht: die Gestaltungskompetenz des Architekten. Wenn man Umweltenergien sinnvoll in das Gebäudekonzept direkt oder indirekt einbeziehen will, so kann das nicht ohne Auswirkungen auf die bauliche Gestalt bleiben. Dennoch bleiben die meisten Architekten seltsam auf Distanz; ein Zitat von Peter Eisenman spricht da durchaus Bände:
To talk to me about sustainability is like talking to me about giving birth. Am I against giving birth? No. But would I like to spend my time doing it? Not really. I’d rather go to a baseball game.
Es gibt keinen Nachhaltigkeits-Stil
Nachhaltigkeit scheint für die Architektur ein Label zu sein, das viele abschreckt. Nun mag dies darauf zurückzuführen sein, dass frühe ökologische Architektur an Wohn- und Lebensformen gebunden wurde, die den konventionellen widersprachen (Aussteigermodelle, Landkommunen). Die Abneigung gegen deren missonarischen Anspruch ist indes kein Grund, auf einen Neustart zu verzichten.
Zwar gibt es durchaus Ansätze, das nachhaltige Bauen in eine zeitgenössische „Architektursprache“ zu übersetzen: Etwa die Idee der "Natürlichen Konstruktionen", wie sie an Frei Ottos Sonderforschungsbereich in Stuttgart experimentell entwickelt wurde; die Öko-Hauptschule in Mäder, Vorarlberg, von Baumschlager & Eberle, deren ökologischer Anspruch in stringenter Formensprache – kompakter Kubus mit schimmernder Doppelhaut aus Holz und Glas – artikuliert wird; oder der Münchner Thomas Herzog mit seinen so intelligenten wie erfrischenden Baukonzepten.
Gleichwohl aber fällt es, aufs Ganze gesehen, noch immer schwer, Nachhaltigkeit kongenial in Architektur zu übersetzen. Zumal meist die sinnlich-ästhetische Komponente entweder vergessen oder aber geleugnet wird. Es braucht jedoch ein lustvolles Element: Wer will von einem hässlichen Gebäude schon wissen, dass es tüchtig ist. Um die notwendige Breitenwirkung zu erzielen, muss Nachhaltigkeit attraktiv und aufregend gemacht werden. Sie muss vor allem weg vom Image der „grauen Maus“.
Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass es keinen Nachhaltigkeits-Stil gibt. Ein solches Bauen verlangt keine einheitliche Ästhetik und keine allgemeinverbindlichen Regeln, es sei denn diejenigen eines vernünftigen, die Umwelt nicht zerstörenden (zumindest nicht verschmutzenden) Verhaltens. Um es ganz platt zu sagen: Ein "nachhaltiges Gebäude" kann im Stil der Klassischen Moderne ebenso wie im Jugendstil oder dem der Postmoderne gebaut werden.
Insofern ist auch der mitunter angeführte Widerspruch zwischen Gestaltung und Umweltanspruch ein scheinbarer. Seit Galilei wissen wir, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Tagtäglich aber erleben wir, wie die Sonne im Osten auf und im Westen untergeht. Vertraute Maßstäbe und moderne Dimensionen leben nebeneinander, miteinander und gegeneinander. So widersprüchlich gestalten sich auch die menschlichen Maßstäbe und räumlichen Dimensionen, und wir müssen sie wohl – im Sinne der Nachhaltigkeit – auf eine so neue wie einfühlsame Weise bewältigen. Zumal ja, dies wäre hier nochmals zu betonen, das Bauen die ressourcen- und materialintensivste menschliche Tätigkeit überhaupt ist.