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Das Alter des Universums

Himmelsbewegungen nach Isaac Newton - Hier in der Planetenmaschine von James Ferguson (zwischen 1710 und 1776). Bild: Public Domain

Über Jahrhunderte hinweg war die Bestimmung des Alters des Universums kein Thema für die Wissenschaft, sondern eher Gegenstand metaphysischer Spekulationen. Erst mit der Entwicklung der modernen Kosmologie konnten fundierte Antworten geliefert werden

Seit jeher hat sich die Menschheit an allen Winkeln der Erde die Frage nach dem Ursprung der Welt gestellt. Fast alle Religionen greifen auf den Schöpfungsmythos der von Göttern gezeugten Welt zurück. Das Alter der Welt zu bestimmen, erschien allein deswegen zwecklos, weil die Entstehung der Welt jenseits aller menschlichen Erfahrung lag. Die lange Zählung des Maya-Kalenders besaß beispielsweise Zeiteinheiten für Milliarden von Tagen!

In Europa, bei den Griechen, gab es Philosophen, die den Anfang der menschlichen Geschichte auf eine nicht datierbare "dunkle" Periode zurückführten. Aristoteles argumentierte dagegen, dass jeder Körper ein materielles Substrat hat, das nur von anderen Körpern stammen könne. Materie verwandelt sich ständig, bleibt aber erhalten, und deswegen muss das Universum seit jeher bestehen und ewig sein. Materie könne nicht einfach aus dem Nichts entstehen oder sich in Nichts verwandeln.

Das ist aber nicht die Geschichte, die im Ersten Buch Mose bzw. dem Buch Genesis erzählt wird. In nur sieben Tagen wird die Welt erschaffen und ab dem sechsten fängt die menschliche Geschichte mit Adam und Eva an. Da das Neue Testament dann die Ereignisse um ihre Nachkommen über Generationen verfolgt, war die Versuchung groß, einfach diese Generationen zu zählen, dazu Lücken mit astronomischen Beobachtungen zu überbrücken, um so auf das Datum der Entstehung der Welt zu schließen.

Der berühmteste Versuch in diese Richtung war der von James Ussher, Erzbischof und Primat von Irland. In mehreren Büchern, verfeinerte Ussher seine Berechnungen der Lebensspanne der verschiedenen biblischen Geschlechter, bis er in 1650-1654 den Anfang der Welt auf den 22. Oktober im Jahr 4004 BC datieren konnte. Am Zeitpunkt der Dämmerung wohlbemerkt. Dies ist die berühmte "Ussher Chronologie", die damals ernst genommen wurde.

Titelseite von James Usshers "Annales veteris testamenti, a prima mundi origine". Bild: Public Domain

Obwohl Newton sehr religiös war, glaubte er dennoch, dass das Buch Genesis nicht wörtlich gelesen werden sollte, sondern als eine Art Mythos. Und er selbst kam auf eine Idee, wie das Mindestalter der Erde bestimmt werden könne. Angenommen die Erde wäre durch Kollisionen zwischen Asteroiden entstanden, könnte man sie in erster Approximation als eine Kugel aus geschmolzenem Eisen modellieren. Durch die Bestimmung der für die Kühlung und Verfestigung des Eisens notwendige Zeit kam Newton auf ein Mindestalter der Erde von 50.000 Jahren, ein Vielfaches des Vorschlags von Ussher.

Ein Jahrhundert nach Newton ließ sich der französische Naturforscher Comte de Buffon mehrere Stahlkugeln herstellen. Er führte Newtons Experiment durch, extrapolierte auf den Radius der Erde, und kam auf 96.670 Jahre, bis die Erde "Zimmertemperatur" erreichen könnte.1 [1] Die Annahmen des Experiments wurden wieder etwa hundert Jahre später durch Lord Kelvin revidiert, aber vorher verlagerte sich das Interesse der Physiker auf einen anderen Himmelskörper, auf die Sonne.

Die Thermodynamiker reden mit

Es war für die moderne Physik ein großes Mysterium, wie die Sonne ihre ungeheure ausgestrahlte Energie erzeugen konnte. Reines Verbrennen von Material, wie auf der Erde, würde nicht ausreichen. Da die Kernfusion nicht bekannt war, mussten andere Mechanismen herhalten.

Hermann von Helmholtz, der ab 1871 Professor für Physik in Berlin war, kam auf die Idee, die Energie der Sonne auf einen Gravitationskollaps zurückzuführen. Eine Sonne aus Kohle, rechnete er, würde in 5000 Jahren voll ausbrennen. Stattdessen kann man die potentielle Energie der Teilchen in der Sonne berechnen und wieviel Energie ausgestrahlt wird, wenn diese Teilchen zur Mitte der Sonne fallen. Durch physikalische Annahmen konnte Helmholtz Approximationen für die Temperatur der Sonne und den Druck im Inneren bestimmen und damit den Energiedurchsatz der Sonne schätzen. Durch den Vergleich mit der in ihrer Masse vorhandenen potentiellen Energie kam Helmholtz 1857 auf eine Lebenszeit der Sonne von etwa 21 Millionen Jahren. Obwohl durch die Berechnung die Zeit seit der Entstehung der Sonne nicht damit bestimmt werden könnte, war sie deswegen wichtig, weil damit klar war, dass Himmelskörper auch einer Geschichte unterliegen: Sie haben einen Anfang und ein Ende. Jahrtausende sind deswegen zu kurze Zeitspannen in kosmologischen Maßstab.

Lord Kelvin, der berühmte schottische-irische Physiker, übernahm Teile der Methoden von Helmholtz und verfeinerte Newtons Gedankenexperiment für die Erde. Zuerst änderte er von Helmholtz Annahmen für die Dichte des Materials in der Sonne und kam auf bis zu 60 Millionen Jahre für die weitere Lebensspanne des Sterns. Dann verfeinerte Lord Kelvin die theoretischen Berechnungen für die Kühlung der Erde und betrachtete die Tatsache, dass die Erde im Inneren immer noch heiß ist. Eine Zeitspanne von Tausenden von Jahren reichte aus, um die Oberfläche der Erde zu kühlen, aber nicht deren Inneres, und so sollten ein geschmolzener Kern und ein Temperaturgradient übrig bleiben, der durch Messungen in Bohrungen bestätigt werden könnte.

Die Berechnungen von Lord Kelvin zeigten dann, dass die Erde wahrscheinlich 100 Millionen Jahre alt sein müsste, um die heutigen Bedingungen in der Erdkruste erklären zu können. Durch die möglichen Fehler in der Annahme betrug die berechnete statistische Spanne für das Alter der Erde ein Zeitintervall zwischen 20 und 400 Millionen Jahren. Es war trotzdem ein ungeheuerliches Resultat: Sowohl für die Erde als auch für die Sonne sollten wir in der Dimension von Millionen und keineswegs von Tausenden von Jahren denken.

Andere Wissenschaftler waren von den neuen Berechnungen sehr angetan. Die Biologen z.B., die mit der Veröffentlichung von Darwins Evolutionstheorie im Jahr 1859 für die Veränderung der Arten auch sehr große Zeitspannen vermuteten. Die Geologen waren ebenfalls sehr früh auf den Verdacht gekommen, dass die Erde seit Millionen von Jahren bestehen sollte, da sonst Witterungsprozesse in geologischen Erdschichten nicht erklärt werden könnten. Wir können also sagen, dass im 18. Jahrhundert die Lebenspanne der Erde noch in Tausenden von Jahren gemessen wurde, während im 19. Jahrhundert ein Faktor Tausend dazu gekommen ist. Ab dann musste man in Millionen von Jahren rechnen.

Milliarden von Jahren

Im 20. Jahrhundert gehen wir von den Millionen zu den Milliarden von Jahren über, wenn es um die Geschichte des Sonnensystems und des Universums geht. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert, im Jahr 1895, hatte John Perry die Berechnungen von Lord Kelvin verbessert und ein mögliches Alter für die Erde von zwei bis drei Milliarden Jahren vorgeschlagen. Damit war ein Widerspruch entstanden zwischen dem Alter der Erde und der Lebenspanne der Sonne, die immer noch in Millionen Jahren angegeben wurde.

Der erste Ansatz einer Lösung kam mit der Entdeckung der Radioaktivität. Bereits 1896 hatte Henri Becquerel den radioaktiven Zerfall beobachtet. Andere Wissenschaftler, wie Pierre und Marie Curie stiegen in das neue Gebiet ein, und es war gerade Marie Curie diejenige, die das neue Phänomen "Radioaktivität" nannte. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde somit vorgeschlagen, dass vielleicht radioaktiver Zerfall als Energiequelle der Sonne dienen könnte. Würde die Sonne aus radioaktivem Material bestehen, könnte dann das Alter der Sonne in die Nähe der Milliarden von Jahren vorrücken!

Durch die Entdeckung der Radioaktivität und den Nachweis von Isotopen von verschiedenen Materialien konnte nach und nach die spontane Umwandlung von Elementen in andere Elementen verstanden werden, z.B. die Zerfallskette von Uranium zu Radium, Radon, weitere Elemente und schließlich zu Blei. Die mittleren Zerfallszeiten wurden gemessen und so entwickelte sich die sogenannte radiometrische Alterbestimmung. Beispielsweise kann in einem Stein, in dem sowohl Uranium als auch Blei vorhanden sind, angenommen werden, dass zuerst nur Uranium vorhanden war. Es kann dann geschätzt werden, in welcher Zeit die gemessenen Konzentrationen an Uranium und Blei entstehen konnten.

Der Brite Arthur Holmes verfeinerte diese Methode, bis er schließlich im Jahr 1927 das Alter der Erde auf zwischen 1,6 bis 3 Milliarden Jahren schätzte. Wiederum war die Erde älter als die Sonne. Heute wird die radiometrische Methode weiterhin verwendet. aber es werden mehrere Zerfallsketten im selben Stein berücksichtigt, um mögliche Fehler bei der Berechnung zu minimieren. Gleichzeitig werden Meteoriten gemessen, von denen angenommen wird, dass sie zur selben Zeit wie die Erde geformt wurden. Meteoriten haben den Vorteil, dass sie Milliarden von Jahren isoliert im Weltall waren.

Hubble und die Expansion des Universums

Der nächste große Sprung für das Verständnis des Alters des Universums war die Entdeckung von dessen Expansion durch den Amerikaner Edwin Hubble.

Hubbles erster astronomischer Erfolg war der Nachweis, dass es andere Galaxien außerhalb der Milchstraße gibt. Mit Hilfe des Teleskops am Mount Wilson Observatory, außerhalb von Pasadena, konnte Hubble beweisen, dass die sogenannten "Nebelwolken" eigentlich ferne Galaxien waren, wie bereits Immanuel Kant vermutet hatte.

Im Jahr 1929 veröffentlichte Hubble die Daten, die das heute nach ihm benannte Gesetz begründen sollten.2 [2] Durch die Messung der Rotverschiebung des Lichtes konnte Hubble zeigen, dass eine Galaxie desto schneller von uns wegfliegt, je entfernter sie ist. Die Deutung des Phänomens war nicht klar, bis die Relativisten diese Messungen als Nachweis der Expansion des Universums deuten konnten. Einstein selbst besuchte das Mount Wilson Observatory. Einstein konnte jedoch jahrelang nicht von der Expansion des Universums überzeugt werden.

Erste Bestimmung durch Hubble des linearen Gesetztes zwischen Geschwindigkeit mit der sich Galaxien von uns entfernen (in Km/s) relativ zu ihrem Abstand von uns (in Megaparsec). Grafik: TP

Durch das Hubble-Gesetz konnten die Physiker zum ersten Mal ernsthaft versuchen, das Alter des Universums zu bestimmen. Wenn die Expansion des Universums durch den Hubble-Parameter gemessen wird, dann wissen wir, wie schnell sich das Universum "aufbläht". Rechnet man zurück bis zu der Stelle, wo das Universum an einem Punkt konzentriert war, erhält man das Alter des Universums. Diese einfache Berechnung berücksichtigt keine zeitlichen Änderungen des Expansionstempos, ist aber eine gute erste Annäherung. Heute erhalten wir mit dem gemessenen Wert für den Hubble-Parameter ein Alter von etwa 14,4 Milliarden Jahren. Das wäre die seit dem Big Bang vergangene Zeit. Diese Zahl überschätzt das Alter des Universums, da der Hubble-Parameter nicht konstant über die Zeit bleibt und einige Korrekturen unvermeidlich sind.

Die erste Schätzung von Hubble für den Wert seines Parameters war fehlerhaft, fast um dem Faktor sieben! Mit dem von Hubble angegebenen Wert hätte man das Alter des Universums auf etwa 2 Milliarden Jahre geschätzt. Erst im Jahr 1958 kam die Bestimmung des Parameters in der Nähe des heute mit Satelliten gemessenen Wertes und seitdem reden wir von einem Universum, das um die 14 Milliarden Jahre alt ist.

Moderne Messungen des Alters des Universums

Für eine exaktere Bestimmung des Alters des Universums muss berücksichtigt werden, dass in Einsteins Theorie die Ausdehnung des Raumes in Abhängigkeit von der mittleren Dichte der Strahlung und Materie im Universum geschieht. Ein Universum, das nur Strahlung enthält, expandiert anders als ein Universum, das nur mit Materie ausgefüllt ist, oder sogar anders als ein Universum ohne Strahlung und ohne Materie (ein sogenanntes de-Sitter-Modell, wo nur eine kosmologische Konstante eine Rolle spielt).

Das alles bedeutet nur, dass der Hubble-Parameter sich mit der Zeit und in Abhängigkeit der Materie- und Strahlungsdichte des Universums ändert. Wenn man dann die notwendigen Korrekturen durchführt, landen wir bei den heute akzeptierten 13,7 Milliarden Jahre für das Alter des Universums. Es gibt zwei andere Verfahren um das Alter des Universums zu bestimmen: einerseits durch Berechnungen der Entwicklung der beobachtbaren Sterne, andererseits durch Berechnungen der Hintergrundstrahlung, eine Hinterlassenschaft des Big Bang. Da die Physiker sehr streng sein wollen, ist durch die Kombination der verschiedenen Methoden ein Alter des Universums von 13,7 (plus-minus 0,5) Milliarden Jahren ermittelt worden.

Im Falle der Sterne, insbesondere der Sonne, war Arthur Eddington wahrscheinlich der erste, der 1920 die Kernfusion als Energiequelle der Sterne vorschlug. Durch die Äquivalenz von Energie und Masse, enthalten in der berühmten Gleichung E=mc^2, war es dann denkbar, dass große Energiemengen durch die Fusion von Kernen entstehen könnten.

Die Physiker George Gamow und Carl Friedrich von Weizsäcker schlugen 1937 einen Mechanismus für die Fusion von Protonen in Sternen vor, und Hans Bethe konnte 1938 die ganze Kette der Fusionsreaktionen und das Recycling von Elementen in der Sonne erklären. Dafür erhielt er 30 Jahre später den Nobelpreis. Aber wichtiger im Sinne unserer Schilderung war, dass damit zum ersten Mal eine wissenschaftliche Grundlage für die Bestimmung des Alters der Sonne vorhanden war.

Unser hauseigenes Stern. Ein Bild der Sonne aus dem NASA Solar Dynamics Observatory. Bild: NASA / SDO / Duberstein

Durch die radiometrischen Verfahren legen wir heute die Entstehung der Erde 4,54 Milliarden Jahre zurück, was in etwa das geschätzte Alter der Sonne ist. Durch eine immer feinere Bestimmung des Hubble-Parameters3 [3] und entsprechende Korrekturen denken wir heute, dass das sichtbare Universum die bereits erwähnten 13,7 Milliarden Jahre alt ist. Die Erde ist also etwa 30% so alt wie das Universum.

Es ist in gewissen Sinne erstaunlich, wie unsere Vorstellung der Welt in wenigen Jahrhunderten so alt und so weiträumig geworden ist. Von den von Newton geschätzten 50.000 Jahren für das Alter der Erde sind wir heute bei 4,54 Milliarden Jahren angelangt. Und die wesentlichen theoretischen Werkzeuge für die Bestimmung des Alters des Universums und des Sonnensystems, d.h. die radiometrischen Methoden, sind die Relativitätstheorie und die Kernphysik, also erst Produkte des 20. Jahrhunderts.

Das 21. Jahrhundert kann deswegen nur neue Überraschungen bereiten. Von den metaphysischen Kosmogonien vergangener Jahrhunderte mit ihren Götterschlachten sind wir bei der modernen wissenschaftlichen Kosmologie angelangt, die uns zum ersten Mal verraten kann, seit wann "wir" da sind.


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