"Das Brüssel, das wir heute kennen, ist eine Festung!"
- "Das Brüssel, das wir heute kennen, ist eine Festung!"
- "Demokratisierung der Wirtschaft muss das Herz jedes ökonomischen Masterplans gerade bei der Bekämpfung der Umweltkrise sein"
- "Weg von zentralisierten Banken, hin zu public domains!"
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Yanis Varoufakis über die EU, das Programm von DIEM25, die Umweltkrise und die Demokratisierung der Wirtschaft
Yanis Varoufakis war Finanzminister, Cambridge-Dozent, arbeitete am "Counterstrike"-Game mit - als EU-Wahl-Spitzenkandidat des internationalen Aktivisten-Netzwerks DIEM25 wird er nun unterstützt von Bernie Sanders, Antonio Negri, Fernando Haddad, Richard Sennett, Ken Loach und Pamela Anderson.
Europa ist zutiefst gespalten - der Vatikan trat auch diesmal nicht beim ESC an. Eine wirkliche Spaltung in der EU zwischen Nord und Süd, Arm und Reich aber gab es 2015 in der Euro- und Griechenland-Krise, als es im Europäischen Rat der EU-Regierungschefs und bei den Finanzministertreffen in Brüssel zu finalen shoot-outs kam, die mit der nächtlichen Grexit-Drohung Angela Merkels nach dem "Oxi"-Referendum endeten und mit sozialen Sparmaßnahmen nach dem "agreekment" (EU-Ratspräsident Donald Tusk). Der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble fasste die Diskussionen mit Varoufakis am Finanzminister-Konferenztisch in Brüssel in der US-TV-Doc "Inside Europe" später so zusammen: "Er erklärte uns lange, dass wir alle Idioten sind. Und vielleicht hatte er Recht."
2016 gründete Varoufakis mit Dutzenden von Wissenschaftlern, Gewerkschaftern, Aktivisten, Künstlern und Politikern aus fast ganz Europa das international ausgerichtete Netzwerk Democracy in Europe (DIEM25), unterstützt von der spanischen Podemos-Bewegung. Gründungsmitglieder und Unterstützer sind unter anderem Antonio Negri, Noam Chomsky, Ken Loach, Slavoj Zizek, Naomi Klein ("No Logo"), Jean-Michel Jarre, Srecko Horvat, Brian Eno, Baltasar Garzon, Elif Shafak, Benoit Hamon, Eyal Weizman, Julian Assange, Jeremy Corbyn und Pamela Anderson.
"Die Europäer denken, sie seien auserwählt als Hort des Humanismus"
Donald Rumsfeld bezeichnete vor einigen Jahren das westliche Europa als old europe. Die westlichen Staaten der EU stellen sich heute gerne als Kraft der Zukunft dar, ökonomisch wie moralisch. Allerdings wird oft Kritik an unsozialer Politik damit beantwortet, das sei ja alles Schwarzmalerei, Angstmacherei und Schlechtrederei - nach dem rabiaten US-Sprichwort: our way or highway. Warum ist es heute leider so uncool, sozial zu sein?
Yanis Varoufakis: Die große Täuschung besteht darin, dass nichts so ist, wie es scheint. In der Software-Entwicklung nennt man so etwas "mock" … In Europa liebt man es geradezu, vieles Großes auf die Amerikaner zu projizieren - man hält die USA für außergewöhnlich in Spiegelung dessen, was die Amerikaner von sich selbst halten: in ihrem Glauben an die eigene Großartigkeit, an den fast schon schicksalhaften Auftrag, die Welt zu erobern. Es gibt einen Begriff, der aus der Geschichtsschreibung der USA herrührt: Exceptionalism - in sinnstiftender Weise.
Aber betrifft dieses vermeintliche oder tatsächliche Dominanzgehabe denn nur Amerika?
Yanis Varoufakis: Europa leidet unter einer ähnlichen gesellschaftlichen Lebenslüge. Die Europäer denken, sie seien auserwählt als Hort des Humanismus: Man glaubt in Europa, unser Erbe der Aufklärung wird uns genuin schützen vor den Pathologien, dem Wahnsinn, den diese Gesellschaft global hervorgebracht hat in den letzten Jahren und der sich anschickt, die Welt tatsächlich zu verwüsten. Doppelmoral und Verlogenheit, die Angst vor dem Fremden und Ungewohnten - und, ja, Armut, Ausbeutung, Herrschaft über andere.
Die Wahrheit über Europa liegt nicht mehr in der Komfort-Zone. Um die Wahrheit über den jetzigen Zustand der Welt zu erfahren, müssen wir uns unseren Blick nicht in die Ferne richten - es reicht der Blick bis hin zum Mittelmeer, nicht weiter … Die Europäische Union nimmt für sich in Anspruch, die auserwählte Heimat großer Prinzipien und Ansprüche der Zivilisation zu sein, sie verletzt aber jeden Tag ihre eigene Existenzgrundlage der großen Prinzipien. Abertausende sind im Mittelmeer elendig verrreckt - und die, die die EU repräsentieren, sehen ihnen beim Sterben von den Patrouillenbooten aus zu.
Es ist jetzt die Zeit, unsere Menschlichkeit zu retten - vor diesen Abgründen der Vernichtung, diesem Abyss. Es ist jetzt die Zeit, das Versprechen Europas an sich selbst und die Welt einzulösen. Dieses europäische Projekt muss die Welt in der Realität, nicht nur in den Versprechungen auf einen sozialeren und demokratischen Weg führen, die Gesellschaft zu organisieren.
"Es geht um das Überleben Europas"
In Italien, in Spanien, in Portugal oder Griechenland und der Türkei gab es seit über 100 Jahren immer eine starke, auch undogmatische Linke, die eine "Massenbasis" in der Bevölkerung hatte. DIEM25 verfolgt ja nun einen transnationalen Ansatz. Ist denn ganz Europa bereit für einen linken Aufbruch, irgendwo zwischen den damals schon paneuropäischen Ideen von Antonio Gramsci bis Helmut Kohl?
Yanis Varoufakis: Nun ja, unser Netzwerk DIEM25 ist nicht entstanden aus einem radikalen Ansatz. Wir möchten einen common sense erreichen: die Haushaltspoltik der Austerität, also die Sparpolitik, funktioniert einfach nicht. Das sinnlose Leiden der Armen und Ärmsten, der Verletztlichsten, durch diese Spar- und Anti-Schulden-Politik wird nicht wirklich Wohlstand produzieren für alle die, denen es bisher besser ging, also vor allem in den nördlichen Nachbarländern Europas. Prosperität entsteht anders!
Mit Austerität ist ja wirtschaftswissenschaftlich eine "protestantische" Politik der ausgeglichenen Haushalte gemeint, wie sie vor allem in Nordeuropa historisch vorherrschte, im Gegensatz zu einer optimistischen Investitionspolitik, wie sie der prominente Ökonom Keynes propagierte und die in Südeuropa, aber vor allem den USA seit gut 200 Jahren quasi zur Staatsräson gehört, besonders von republikanischer und konservativer Seite, verkehrt zum Rechts-Links-Schema in Europa. In der Alltagspolitik in Deutschland bekannt geworden ist die Austeritätspolitik durch den Begriff der "schwarzen Null", wie Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble ihn prägten. Aber was sind denn Ihre Vorstellungen für Europa?
Yanis Varoufakis: DIEM25 richtet sich an alle Europäer! Wir gehen mit unserem Vorschlag in den politischen Wettbewerb um die beste Idee zur Zukunft Europas: Also, vor allem gibt es einen Grundirrtum in dem, was gerne dargestellt wird in den ganzen Diskussionen zur EU und der Entstehung des Wohlstandes.
Die verschiedenen Menschen müssen sich verbünden, um dagegen zu mobilisieren. Der wirklich schädlichste Mythos dabei ist einer, der in ganz Europa gerne wiederholt wird, nämlich dass die Arbeiter und Angestellten in Deutschland ihren Profit machen würden durch die große Armut in Griechenland. Aber was ist die Wirklichkeit? Das genaue Gegenteil ist der Fall. In Deutschland ist die Armut in den letzten fünfzehn Jahren gewachsen. Und Millionen von Deutschen und Menschen in Deutschland - auch in den Familien, deren Erwachsene Arbeit haben - geht es wirtschaftlich schlechter als vor der gesamten Euro-Krise und Griechenland-Debatte.
Wir von DIEM25 machen mit unserem Programm ein politisches Gegenangebot. Es ist simpel, praktisch und bietet notwendige Lösungen. Wir möchten einen breiten Zusammenschluss gegen diese bisherige Politik zustandebringen. Dabei geht es nicht um die Frage: Ist Europa bereit dafür? Mittlerweile geht es um das Überleben Europas und darum, wie ganz Europa diese gesamte Krise überleben wird, wenn es nun nicht aufwacht durch eben genau diese Krise.
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