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Das Defizitverfahren gegen Griechenland wird abgeschlossen

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Großer Zinsgewinn für den deutschen Fiskus. In Griechenland setzt sich die Verelendung fort

Während sich im nordgriechischen Kozani vor dem Saal Demonstranten und Polizei eine Prügelei lieferten [1], jubelte im Saal Premierminister Alexis Tsipras über eine seiner Ansicht nach gelungene Wirtschaftspolitik [2]. Bei seiner Ankunft in Kozani war der Premier von Gewerkschaftlern des staatlichen Stromunternehmens Public Power Company mit Särgen empfangen worden.

Tsipras Freude beruht auf einer Nachricht aus Brüssel. Die Europäische Kommission empfiehlt, das Defizitverfahren gegen Griechenland zu beenden. Dieses dauert wegen der Verletzung der im Vertrag von Maastricht zur Euroeinführung festgelegten Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die maximale Neuverschuldung des Staats seit acht Jahren an.

"Ein weiteres positives Signal für ökonomische Stabilität ..."

Für 2009 war bei einer Verschuldung von 126,8 Prozent ein Haushaltsdefizit von 15,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts festgestellt worden [3]. Im Jahr 2016 konnte das Land dagegen einen Haushaltsüberschuss von 0,7 Prozent vorweisen.

Kommission-Vizepräsident Valdis Dombrovskis, verantwortlich für den Euro, verkündete, "unsere Empfehlung ist es, dass das Defizitverfahren für Griechenland abzuschließen ist. Dies ist ein weiteres positives Signal für ökonomische Stabilität und wirtschaftliche Erholung im Land. Ich lade Griechenland dazu ein, auf den Erfolgen aufzubauen und das Vertrauen in seine Wirtschaft weiter zu stärken. Das ist wichtig, damit Griechenland seine Rückkehr an die Märkte vorbereiten kann".

Pierre Moscovici, der Kommissar für Wirtschaft und Finanzen, fügte die Symbolik des Moments für Griechenland hinzu. Damit würde das Land nach Jahren der Opfer endlich den Nutzen der Anstrengungen sehen. Gemäß Moscovici stehen dem Land nun ein Ende der Austerität und eine Rückkehr zum Wirtschaftswachstum bevor [4].

Nicht alle sind so zuversichtlich. Der Internationale Währungsfonds befürchtet, dass das Land, das aktuell von einer Schuldenlast in der Größenordnung von 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belastet wird, ohne effektiven Schuldenschnitt bis zum Jahr 2060 bei einer Staatsverschuldungsquote von 226 Prozent landet. Die EU Kommission beschwört dagegen das Sparprogramm würde eine Quote von 49,1 Prozent im Jahr 2060 erbringen.

Bislang wurden dem Land 255 Milliarden Euro größtenteils der Umschuldung dienende Kredite von den heute Institutionen genannten Kreditgebern ausgezahlt. Außer dem IWF sind EFSM, EU und EZB beteiligt. Somit wurde die private Verschuldung des Landes gegenüber Investmentbanken, darunter auch deutschen und französischen Geldhäuser, auf die Steuerzahler übertragen.

Deutscher Zinsgewinn: knapp eine Milliarde

Der deutsche Anteil der Bürgschaften an den bislang ausgezahlten Tranchen der drei Rettungspakete beträgt 55 Milliarden Euro [5]. Bislang bescherte dies dem deutschen Fiskus einen Zinsgewinn von knapp einer Milliarde Euro [6], weil faktisch kein Geld geflossen ist. Die Bürgschaften dienten zur Geldschöpfung durch die EZB.

Heute kann sich das Finanzministerium also über ein gelungenes Geschäft freuen, das im Fall des Scheiterns der Rettungsprogramme für Griechenland jedoch zur Belastung wird. Unter diesem Aspekt erscheint es durchaus nachvollziehbar, dass die Entscheidung über einen Schuldenschnitt, das faktische Eingeständnis des Scheiterns, von den nun herrschenden Politikern auf die Zeit späterer Generationen verschoben wird.

Wie steht es wirklich um Griechenland?

Im realen Leben fühlt sich Griechenland nicht wie ein prosperierendes oder zumindest sich erholendes Land an. "Von der eigenen Mutter aus Verzweiflung verkauft" - das könnte die Schlagzeile für eine 14-jährige Griechin sein, die von ihrer Mutter auf die Reise nach Korfu mit einem 55-jährigen Geschäftsmann aus Volos geschickt wurde [7].

Dieser wollte das Mädchen sexuell missbrauchen, was er wie heraus kam, bereits mit Wissen der Mutter mit der 18-jährigen Schwester des Opfers gemacht hat. Der verheiratete Familienvater fiel im Hotelzimmer über sein Opfer her. Seiner Frau hatte er eine Geschäftsreise als Grund für seine Abwesenheit genannt.

Das Mädchen wehrte sich mit lauten Schreien. Zimmermädchen wurden aufmerksam und holten die Polizei [8]. Heraus kamen die Verwicklung der Mutter und der Kindesmissbrauch des in seiner Heimatstadt bislang hoch angesehenen Unternehmers. Dieser, unter anderem Besitzer von Supermärkten, griff der arbeitslosen Mutter in den vergangenen Jahren unter die Arme und verlangte als Gegenleistung die sexuelle Ausbeutung der Mädchen.

Nichtauszahlung von Löhnen

Eine andere fünfundvierzigjährige Frau aus dem nordgriechischen Giannitsa wurde auf andere Art und Weise Opfer eines Besitzers einer Supermarktkette. Sie war bei den Supermärkten Karypidis des Multiunternehmers und Fußballklubbesitzers Thodoros Karypidis angestellt [9]. Vor ihrem Arbeitgeber hatte sie in den letzten fünfzehn Monaten, ebenso wie viele ihrer Kollegen auch keinen Lohn erhalten. Gegen Karypidis liegen aktuell 170 Anzeigen wegen verweigerter Lohnzahlungen vor.

Das oberste Gericht, der Areopag, hatte allerdings vor knapp einer Woche beschlossen, dass auch die monatelange Nichtauszahlung von Löhnen keine wesentliche Einschränkung des Arbeitsvertrags bedeutet. Im Klartext heißt dies, dass die Arbeitnehmer, so sie denn nicht selbst kündigen und die wirtschaftlichen Einbußen dieses Schritts tragen, weiterhin zur Arbeit verpflichtet sind.

Ohne Kündigung durch den Arbeitgeber blieb der Frau auch das ohnehin karge Arbeitslosengeld verwehrt. Sie musste zudem bis spätestens zum 17. Juli eine Steuererklärung abgeben. Dabei spielt es bei der Ermittlung der steuerlichen Belastung keine Rolle, ob der Lohn ausgezahlt wurde oder nicht.

Jeder Grieche, der keine absolute Mittellosigkeit nachweisen kann, ist mindestens zur Versteuerung eines vom Fiskus anhand zahlreicher Faktoren geschätzten Mindesteinkommens verpflichtet. Ob die Frau auch noch weitere Zahlungsverpflichtungen hatte ist nicht bekannt. Sie nahm sich aus Verzweiflung über ihre aussichtslose Lage das Leben.

Die Steuerschätzungen, sowie vor der Krise aufgenommene Kredite belasten auch eine andere soziale Gruppe, die Rentner. Diese haben bislang innerhalb von sieben Jahren knapp die Hälfte ihrer Ruhegelder eingebüßt. Für 2018 steht bereits die nächste Rentenkürzung an.

Private Überschuldungen

Ohne Möglichkeit durch Arbeit weiteres Geld zu verdienen, finden sich viele der Rentner nun im Teufelskreis der Überschuldung wieder. Eigentlich sollten sie vor Pfändungen geschützt sein, so versprach zumindest das Arbeitsministerium im Parlament. Gleichzeitig wurde den Abgeordneten jedoch die Zustimmung zu erleichterten Pfändungen abgerungen. Das ursprüngliche Versprechen wurde nicht umgesetzt.

Daher verlangen nun sechzig Parlamentarier der Syriza-Fraktion mit einer parlamentarischen Anfrage von ihrem Minister, dass dieser endlich Maßnahmen zum Schutz der Rentner ergreift [10].

YouTube soll stärker zur Kasse gebeten werden

Offenbar als Sparmaßnahme hat das Kulturministerium in einer am 7. Juli vorgelegten Novelle des Gesetzes für das Urheberrecht einen dem Staat nützenden Paragraphen eingebaut. Demnach sind rückwirkend ab 1993 keine Bibliotheksabgaben an Urheber mehr fällig. Staatliche Bildungseinrichtungen können sich ohne Einverständnis des Urhebers und ohne dessen Entlohnung an dessen Werk bedienen, sofern die Veröffentlichung als der Bildung dienend bezeichnet wird [11]. Die zu Syriza gehörende Kulturministerin Lydia Koniordou bezeichnete diese Maßnahme, die keinerlei Kompensation für die Urheber vorsieht als notwendig.

Es mutet wie Ironie an, dass ausgerechnet von Seiten der als neoliberal eingestuften Partei To Potami im EU-Parlament eine konträre Bestimmung für Urheber durchgesetzt wird. Georgios Grammatikakis, EU-Parlamentarier für To Potami, trug in den Verhandlungen über eine neue EU-Urheberrechtsbestimmung maßgeblich dazu bei, dass große Unternehmen wie Google (Youtube) künftig stärker zur Kasse gebeten werden [12].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3770575

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.iefimerida.gr/news/350209/kozani-epeisodia-metaxy-syndikaliston-kai-mat-prin-apo-tin-omilia-tsipra-eikones-vinteo
[2] http://www.iefimerida.gr/news/350229/tsipras-kathoristiko-vima-i-exodos-apo-ti-diadikasia-ypervolikoy-elleimmatos
[3] http://www.tovima.gr/finance/article/?aid=367252
[4] http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-1962_en.htm
[5] https://global.handelsblatt.com/finance/germany-profits-from-greek-debt-crisis-796637?ref=MTA5NDE2&utm_source=twitter&utm_medium=social&utm_campaign=post
[6] https://web.de/magazine/politik/deutschland-profitiert-milliardenhoehe-griechenland-hilfen-32424744
[7] http://www.protothema.gr/greece/article/696034/salos-ston-volo-gia-ton-epiheirimatia-pou-pige-diakopes-me-14hroni/
[8] http://tvxs.gr/news/ellada/oi-kamarieres-esosan-tin-14xroni-apo-tis-nosires-orekseis-toy-55xronoy-epixeirimatia
[9] http://www.onsports.gr/podosfairo/superleague/story/500078/karypidis-eimai-olympiakos-pairno-ton-ari-kai-feygo-apo-ti-veroia
[10] http://www.thetoc.gr/politiki/article/60-bouleutes-suriza-kata-petropoulou-gia-tis-katasxeseis
[11] http://www.protothema.gr/greece/article/696612/protofanis-apofasi-katargoun-apo-tin-piso-porta-ta-pneumatika-dikaiomata/
[12] http://www.protothema.gr/politics/article/696606/eurovouli-me-tropologies-grammatikaki-perase-i-anatheorisi-ton-kanonon-pneumatikis-idioktisias/