Das Ende der "Great Moderation"?
Ein BIZ-Ökonom hält die "Great Moderation" für beendet und ein "neues Gleichgewicht" erreicht. Nun drohe eine globale Rückkehr hoher Inflationsraten oder - im Krisenfall - weltweit gefährliche Deflation
Das weltweite Ansteigen der Inflationsraten macht die Geldpolitiker zusehends nervös. Zuletzt warnte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet am 26. März davor, dass die Phase mit hohen Inflationsraten – zuletzt mehr als drei Prozent im Euroraum – etwas länger dauern könnte, als ursprünglich angenommen. Das regte auch Christian Noyer, den Chef der französischen Notenbank, erst letzte Woche zu einer besorgten Analyse an, wobei allerdings beide ihre „feste Überzeugung“ ausdrückten - für die sie als Notenbanker allerdings gut bezahlt werden -, dass die Geldpolitik weiterhin imstande sein werde, mittelfristig übermäßige Preissteigerungen zu verhindern.
In ihrer bevorzugten Sichtweise sei das jüngste Ansteigen der Inflationsraten mit einmaligen Effekten aufgrund der gestiegenen Nahrungs- und Rohstoffpreise zu begründen, die aufgrund der gestiegenen Flexibilität der Weltwirtschaft zwar nicht so rasch wie zuvor erhofft, aber dann doch gegen Jahresende wieder eingedämmt werden könnten. Dann werde die „Great Moderation“, wie die letzten 25 Jahre mit ungewöhnlich stabilen makroökonomischen Verhältnissen genannt werden, weitergehen, wofür vor allem die erfolgreiche Geldpolitik der Notenbanken verantwortlich sei.
Allerdings sehen auch die beiden Notenbanker etliche Problemzonen, die ihren Optimismus relativieren: So könnten höhere Inflationserwartungen zu höheren Lohnsteigerungen führen, was die gefürchteten „Zweitrundeneffekte“ materialisieren ließe. Auch könnte das rasche Aufholen vieler Entwicklungsländer dazu führen, dass die Globalisierung künftig nicht mehr preisdämpfend sondern inflationstreibend wirke. Darüber hinaus könnten die Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung und die Überalterung der westlichen Bevölkerung zu strukturell bedingten Preissteigerungen führen. Und nicht zuletzt sei es möglich, dass der fragile Zustand des Finanzsystems es den Notenbanken unmöglich mache, ausreichend gegen inflationäre Tendenzen anzukämpfen. Laut Noyer sollte das rückläufige Wachstum der Weltwirtschaft aber spätestens 2009 dafür sorgen, dass die Inflation, die in der EU zuletzt bei 3,2 Prozent gelegen hatte, wieder auf die erwünschten zwei Prozent zurückgehen werde.
William R. White, Ökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), ist da weniger zuversichtlich. Er hat sich in einem aktuellen Paper mit der „Great Moderation“, den weltweit ungewöhnlich niedrigen Inflationsraten der letzten 25 Jahre beschäftigt, die gleichzeitig mit sehr niedriger Realzinsen und hoher Wachstumsraten aufgetreten sind. Immerhin waren nach den sehr hohen Teuerungsraten in den 1970er Jahren die Inflationsraten in den Industrieländern ab Anfang der 1980er Jahre in den Industrieländern und mit zehn Jahren Verspätung auch in den Entwicklungsländern stetig zurückgegangen.
White analysiert die vier gängigsten Begründungen für diese Entwicklung, von denen er zwei - bessere Politik der Notenbanken sowie steigende Deregulierung und Wettbewerb – als innerstaatliche Phänomene betrachtet, und zwei weitere – ein weltweiter Überschuss an Ersparnissen („global savings glut“), wie die US-Notenbank es bezeichnet (bzw. ein weltweiter Mangel an Investitionen, ein „Investitionsstreik“, wie die BIZ dieses Phänomen charakterisiert), sowie verstärkter internationaler Wettbewerb bei Gütern und Produktionsfaktoren – der Globalisierung zuordnet.
Jede Erklärung für sich werfe allerdings jeweils mehr Fragen und Widersprüche auf, als sie beantworte, und nur eine Kombination all dieser Faktoren biete White zufolge eine befriedigende Erklärung. Nachdem White diese Rahmenbedingungen aber in ein globales Modell integriert hatte, kam er auf eher unschöne Konsequenzen, die ihm zufolge ein Ende der Great Moderation befürchten lassen.
Industrieländer:
Entwicklungsländer:
Nach Whites’ Analyse hätten die oben genannten Faktoren insgesamt zu einer Veränderung der makroökonomischen Zusammenhänge geführt, wobei in einer Übergangsphase so lange zusätzliches Wachstum, niedrigere Realzinsen und stabile Preise ermöglicht wurden, bis ein neues Gleichgewicht erreicht sei - was laut White inzwischen aber geschehen ist. Die Zeit massiver globale Überschusskapazitäten sei jedenfalls vorbei. Nahrungsmitteln, Energie und Rohstoffe werden bereits knapp. In Europa aber auch in China würde der Druck zugunsten kräftiger Lohnsteigerungen deutlich steigen, wofür auch der stark gefallene Anteil der Arbeitslöhne am Sozialprodukt spreche, die nach einem Ausgleich verlangen würden.
Wenn dem tatsächlich so ist, dann sei nun im günstigeren Fall in globalem Maßstab mit einer Rückkehr hoher Inflationsraten zu rechnen. Anderseits könnte White zufolge im Zuge eines ungeordneten Abbaus der weltweit so vielen finanziellen und ökonomischen Ungleichgewichte die sich aufgrund der so lange sehr niedrigen Zinsen aufgebaut haben (z.B. negative Sparquote in den USA, Höchstpreise für praktisch alle illiquiden Assets bis zum Sommer 2007, Immobilien- und Baubooms), „das Endspiel aus einer gefährlichen weltweiten Deflation bestehen“. White befürchtet nun den so genannten Minsky-Moment, der für den Wendepunkt einer Kreditexpansion typisch sei. Demnach verschlechtere sich die Qualität der Kreditnehmer in der Expansionsphase so lange, bis die neuen Kredite vor allem dazu verwendet werden, um die Zinsen auf die bestehenden zu bezahlen.
Sobald die Kreditgeber dies bemerken, komme es typischerweise, so White, zu einem schlagartigen Einfrieren der Kreditmärkte für alle Kreditnehmer, was bislang trotz anhaltender Finanzkrise noch nicht zu bemerken war. Immerhin hatten die Kreditvergaben an den Privatsektor nach EZB-Angaben wenigstens in Euro-Europa bis zuletzt noch deutlich zugenommen, Hinweise auf Kreditrestriktionen bleiben vorerst anekdotisch. In den USA dürfte dieser Punkt allerdings bereits erreicht worden sein.