Das Ende der Tastatur
Schluss mit Tippen: Cyber-Stifte an die Macht
Computer sind arrogante Dinger. Zwar machen sie meistens, was ihr Nutzer Ihnen befiehlt, doch wie befohlen wird, das bestimmen sie. E-Mails verschicken? Texte verarbeiten? Termine speichern? Klar, macht er, der Computer. Klicken oder Tippen und der - hoffentlich funktionstüchtige - Rechner spurt. Doch wehe der Mensch versucht's auf seine Weise; will dem digitalen Gefährten per Sprache oder Stift Order geben. Dann, so scheint's, wendet sich der Rechner gelangweilt ab: "Sprache? Nö, verstehŽ ich nicht. Handgeschriebenes? Pah, erkenn' ich nicht." Zumindest Letzteres soll sich bald ändern. (Vgl.Das Rätsel der Handschrift)
Während Forscher der US-amerikanischen Sperry-Univac-Laboratorien schon im Jahr 1979 die perfekte Spracherkennungssoftware prophezeiten, lässt diese auch heute noch auf sich warten. Besser sieht es da für Schreiber aus. Die schwedische Firma Anoto hat einen Stift entwickelt, der die von vielen gehasste Computer-Tastatur verdrängen soll. Der Wunder-Griffel sieht aus wie ein dicker Kugelschreiber, hat weder Kabel noch Knöpfe und wirkt eher wie ein etwas klobiger Design-Stift, nicht aber wie eine epochale Erfindung. Das könnte pures Understatement sein.
Was man als Tastatur-Ersatz braucht, ist ein Stück Spezial-Papier von Anoto und den Wunder-Griffel - den Chatpen CHA-30. Das Papier wird mit Tinte beschrieben und - schwups - flimmert das eben verfasste Gekrakel auf dem Monitor. Das Schreibblatt ist nämlich abnormal; dicht übersät mit kleinen Punkten. Saust darüber die Miene des Hightech-Schreibers, nimmt eine winzige Digital-Kamera die individuelle Aneinanderreihung der Pünktchen auf und sendet die Daten zum Computer - die Tinte ist für den Schreiber sichtbar, nicht aber für die Kamera. Der Rechner empfängt das Geschriebene als Bilddatei und versteht. Bei all dem braucht es keine Kabel, keine Eingabe-Befehle. Es genügen Stift und Papier. Wie in alten Zeiten.
Möglich wird das durch die Bluetooth -Technik. (Vgl.Funkende, kleine Kästen und andere Klone) Ein kleiner blauer Chip steckt im Bauch des Chatpen und überträgt per Funk die Daten. Doch nicht nur Computer können auf dem Punkt-Papier Geschriebenes empfangen - ebenso Handys oder Faxgeräte. Dass gerade ein Bluetooth-Chip im Chatpen klemmt, verwundert nicht. Immerhin hat der Schwede Örjan Johansson beides mit erfunden - erst den Chip, dann den Stift. Nun ist der Daniel Düsentrieb der Skandinavier Aufsichtsratsvorsitzender von Anoto, reist mit missionarischem Eifer von Messe zu Messe und kämpft um Aufmerksamkeit für seinen Cyber-Griffel. Der Firmenname Anoto ist übrigens eine Abwandlung des lateinischen Ausspruchs "annoto" - "ich schreibe." Und der obskure Stift und das merkwürdige Papier sollen nichts geringeres sein, als "das Interface der Zukunft" (Johansson).
Die Idee ist nicht neu. Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler per Handschreibe mit Computern zu kommunizieren - bisher eine Odyssee voller Misserfolge. Schon 1968 erfand der Informatiker Alan Kay ein elektronisches Notizbuch mit Stifteingabe. Doch der Kasten wurde nie gebaut und Kay entwickelte statt dessen eine andere Alternative zur Tastatur - die grafische Benutzer-Oberfläche. Auch Anfang der Neunziger Jahre schlugen sämtliche Versuche fehl, per Stift mit Rechnern zu kommunizieren. Es mangelte schlicht und einfach an leistungsfähigen Prozessoren. Der berühmteste Verlierer hieß "Newton", ein Handrechner von Apple, der grandios floppte. Seit dem ist nicht sonderlich viel passiert. Zwar werden heuer schon unzählige Handhelds mit kleinen Stiften bedient, doch muss der Nutzer dafür erst die speziellen Schriftzeichen erlernen. Der "Chatpen" soll aber selbst Kinder-Gekritzel erkennen. So einfach, so genial, so unausgereift: derzeit wird die Technik verfeinert. Doch schon Ende diesen Jahres will Anoto in Zusammenarbeit mit dem schwedischen Hightech-Riesen Ericsson den Wunder-Schreiber in Schweden probeweise verkaufen, Anfang nächsten Jahres soll er dann auch hierzulande auf den Markt kommen.
Doch Anotos Chatpen ist nicht allein im Kampf gegen die Tasterei. Die Konkurrenz schläft nicht und bastelt selber, einen so genannten Vpen nämlich. Den hat das israelische Unternehmen OTM Technologies entwickelt. Unterstützung kam vom Technik-Multi Philips. Der Vpen braucht weder Papier noch Tinte, sondern gleitet sanft über glatte Oberflächen. Ein Laser in dem keilförmigen Designerstift misst die Bewegungen und sendet sie per Infrarot (auch hier werkelt ein Bluetooth-Chip) zum jeweiligen Rechner. In etwa einem Jahr soll der Griffel in die Läden kommen. Bleibt nur noch die alles entscheidende Frage: Will das wer?