Das Ende einer Zinswende, die es nie gab
- Das Ende einer Zinswende, die es nie gab
- Rosige Aussichten
- Auf einer Seite lesen
Die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken hat über Jahre eine Zombiewirtschaft erschaffen. Deren Rettung erfordert noch mehr billiges Geld und die Finanzmärkte jubeln. Ein Gastbeitrag.
Die EZB und allen voran ihre Präsidentin, Christine Lagarde, gerieren sich seit Monaten als Vorkämpfer gegen die Inflation. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos implizierte Lagarde einen harten Kampf der Zentralbanken, denn die Inflation sei "nach allen Maßstäben viel zu hoch".
Möglichen Zweifeln begegnete sie mit der Behauptung, dass die EZB fähig sei, die Inflation wieder auf zwei Prozent zurückbringen, und zwar "rechtzeitig".
Auch Isabel Schnabel, EZB-Direktorin und Deutschlands mächtigste Währungshüterin, hat große Härte zur Überwindung der Inflation angekündigt, nachdem sie – wie die gesamte Führungsspitze der EZB – lange Zeit überzeugt war, dass sich die Inflation von selbst wieder zurückbilden werde.
Bei einer gegenwärtigen Inflationsrate von teilweise mehr als zehn Prozent, so Schnabel, könne man "von Preisstabilität wohl kaum sprechen". Das Handeln der EZB sei entscheidend, denn die Inflation werde "nicht von selbst zurückgehen".
Nun gab sich die EZB vom Bankenbeben, in dem mehrere kleine US-Banken und die Credit Suisse kollabierten und anschließend die Aktienkurse europäische Bankaktien abstürzten, reichlich unbeeindruckt. Trotz der Unruhe an den Finanzmärkten erhöhte sie die Leitzinsen wie avisiert um 0,5 Prozent auf 3,5 Prozent. Außerdem bekräftigte sie ihre Absicht, mit weiteren Zinsschritten die Preisstabilität wieder herstellen zu wollen.
Lagarde ging sogar in die Offensive. Sie behauptete, dass Leitzinsanhebungen nichts im Wege stünde, denn anders als allgemein angenommen gebe es "keinen Zielkonflikt zwischen Preisstabilität und Finanzstabilität". Die sogenannte "Separation" von Preisstabilität und Finanzstabilität sei möglich.
Die EZB habe nämlich "genügend Instrumente, um das Finanzsystem bei Bedarf mit Liquidität zu versorgen", um Finanzkrisen notfalls eindämmen zu können. Anderseits gelinge es, "die reibungslose Übertragung der Geldpolitik zu gewährleisten", also preisstabilisierende Zinssteigerungen durchzusetzen.
Taubenhafte Interpretation
Trotz der starken Worte zeigen die Finanzmärkte eine taubenhafte Interpretation der von den Zentralbankanken ausgehendenden Zinssignale. So ließ die Ankündigung der EZB vom Anfang Februar, die Leitzinsen um 0,5 Prozent zu erhöhen und im März nochmals um den gleichen Prozentsatz aufzusatteln, die Aktienmärkte jubeln.
Auch die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen sackte in der Erwartung niedrig bleibender Langfristzinsen auf etwa zwei Prozent ab. Nicht anders war die Reaktion auf die Leitzinsentscheidungen der US-Notenbank (Fed) und der EZB vom März, als die Fed die Zinsen nur um 0,25 Prozent statt der avisierten 0,5 Prozent anhob und beide Zentralbanken ankündigten, dass sie weitere Zinsentscheidungen von der konjunkturellen Entwicklung abhängig machen würden.
Längst treten wichtige Mitglieder des EZB-Rats mit der Erwartung in die Öffentlichkeit, dass die EZB bereits im Frühjahr den Zinsgipfel erreichen werde. Der Hauptgrund für das globale Kursfeuerwerk, so Analysten, sei jedoch "die Hoffnung, dass die Inflation ihren Höhepunkt erreicht hat".
Die Finanzmärkte vermuten offenbar, dass sich die Inflation auch weitgehend ohne Zutun der Zentralbanken wieder zurückbildet. In einer Prognose rechnet die Commerzbank bis Ende des Jahres sogar mit einer Inflationsrate von nur noch knapp über zwei Prozent für den Euroraum.1
So haben viele Aktienindizes inzwischen Rekordhöchststände erreicht. An der Londoner Börse stieg der wichtigste britische Börsenbarometer FTSE 100 im Februar erstmals über 8.000 Punkte. Auch der französische Leitindex CAC 40 übertraf Mitte Februar den bisherigen Höchststand vom Januar 2022. Der Dax lag zu diesem Zeitpunkt nur noch vier Prozent unter seinem bisherigen Allzeithoch, trotz des zwischenzeitlichen Bankenbebens fehlen inzwischen nur noch 1,2 Prozent.
Inflation beruht auf Verteilungskämpfen
Die Finanzmärkte feiern die Geldpolitik der Zentralbanken der vergangenen Jahre. Sie haben zugelassen, dass die Inflation an Dynamik und Breite gewinnen konnte und nun Zweitrundeneffekte das Inflationsgeschehen prägen. Der Preisanstieg entzündet sich immer wieder neu und verläuft in Wellen.
Um nicht auf Verlusten sitzenzubleiben, versuchen Unternehmen wie auch Erwerbstätige den Anstieg ihrer eigenen Kosten möglichst ausgleichen, indem sie Preisrunden initiieren. Inflationstreibend kommt hinzu, dass ein knappes Güterangebot eine ideale Gelegenheit ist, um die Preise über den eigenen Kostenanstieg hinaus anzuheben.
So ist die Inflation ein Verteilungskampf, in dem sich die stärkeren Marktteilnehmer durch Preissetzungen durchzusetzen versuchen, wie der Ex-Chefökonom des Internationalen Währungsfonds Olivier Blanchard kürzlich auf Twitter erklärte. Die erkennbare Folge der von den Zentralbanken zugelassenen Inflation sind Rekordgewinne der an den Börsen notierten Unternehmen und Reallohneinbußen bei den Erwerbstätigen.
Den Gewinnern der Inflation – darunter vor allem Großunternehmen und Konzernen – ist es gelungen, die entstandene Güterknappheit zur Durchsetzung ihrer Preisvorstellungen zu nutzen. Die von den Zentralbanken zugelassene Inflation hat den Zweck erfüllt, den günstiger positionierten Marktteilnehmern Preiserhöhungen zu erleichtern. So konnten sie höhere Kosten weitgehend überwälzen und in vielen Fällen ihre eigenen Margen auf Kosten schwächerer Marktteilnehmer erhöhen.
Die Akteure an den Finanzmärkten sind längst zur Überzeugung gelangt, dass die Inflation ihren Interessen – wie in den letzten beiden Jahren an Rekorddividenden und Rekordkursen erkennbar – nicht notwendigerweise zuwiderläuft. Ganz im Gegenteil können sie ihre Interessen besser wahren, wenn die Zentralbanken eine über dem bisherigen Inflationsziel von zwei Prozent liegende Inflation tolerieren.
Mit einer restriktiven Geldpolitik würden sie nämlich die Güternachfrage spürbar eindämmen. Die Marktmacht der Anbieter nähme ab und Kostenüberwälzungen sowie Preisanhebungen über den eigenen Kostenanstieg wären deutlich schwieriger.
Bei einer inflationsdämpfend wirkenden restriktiven Geldpolitik sind die Zentralbanken jedoch noch immer nicht angekommen. Kürzlich wies Bundesbankpräsident Joachim Nagel – wie zuvor bereits andere Notenbankpräsidenten – gegenüber der Financial Times darauf hin, dass die EZB-Geldpolitik der Inflation noch nicht entgegenwirke, denn die Zinspolitik sei noch immer nicht im "restriktiven Bereich".
Die Zentralbanken fürchten die von Zinsanhebungen und der Umkehr ihrer Anleihekäufe ausgehenden destabilisierenden Effekte so sehr, dass sie – seit dem Beginn der Inflation vor mehr als zwei Jahren – mit ihren Leitzinsanhebungen dem Inflationsanstieg meilenweit hinterhertrotten.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.