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Das Endlager der digitalen Revolution

Bild: Camino Filmverleih

Der Dokumentarfilm "Welcome to Sodom" erzählt vom Leben in den Feuern der Elektromülldeponie Agbogbloshie

Wie weißer Pulverschnee sieht die Asche aus, die den Boden von Agbogbloshie bedeckt. Der "Sodom" genannte Stadtteil der ghanaischen Hauptstadt Accra, der vom Sumpfgebiet zu einer der größten Elektromülldeponien der Welt umgewandelt wurde.

Der weiße Staub, der auf 1.600 Hektar Land verstreut liegt, ist die Asche von 250.000 Tonnen Elektroschrott, die jährlich hier landen und in offenen Feuern von den Anwohnern "recycelt" werden. Die knapp 6.000 Bewohner von Agbogbloshie sind die Goldschürfer, die ihren Lebensunterhalt aus der Asche der digitalen Revolution zusammensammeln. Ein kleiner Junge benutzt dazu einen selbstgebauten Elektromagneten, der die letzten Metallpartikel aus dem Boden saugt.

Den Sack Rohmetall, den er an einem Tag in Sodom zusammenkratzt, verkauft er an einen der zahllosen Schrotthändler. Den Kilopreis bestimmt dabei nicht der Händler selbst, er wird von der New York Mercantile Exchange vorgegeben, dessen Index vor jedem Verkauf über das Smartphone kontrolliert wird. Den winzigen Gewinn, der ihm bleibt, erwirtschaftet er mit seiner offenkundig verzogenen Waage. Der Junge weiß drum, muss sich aber mit den paar Cedi für das abgelieferte Metall zufrieden geben.

Welcome To Sodom - Dein Smartphone ist schon hier (0 Bilder) [1]

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Der Rohstoff selbst geht, nachdem er im Feuer Sodoms vom restlichen Schrott getrennt wurde, zurück nach Europa und in die Vereinigten Staaten. Von dort kommt er als neuer Schrott - meist auf illegalem Weg - zurück nach Agbogbloshie.

Ein Verwertungskreislauf, der den Müll auf afrikanischem Boden und das Gift in den Körpern afrikanischer Arbeiter filtert. Was auf einer Seite des Globus "digitale Revolution" genannt wird, bekommt auf der anderen den Namen eines Ortes, den Gott in einem Regen aus Feuer und Schwefel vernichtete.

Für die Menschen, die in Agbogbloshie arbeiten und sterben, scheint es eine mythologische Begriffswelt zu brauchen, um zu erklären, wie der technologische Fortschritt am anderen Ende der Welt ein fruchtbares Moorgebiet in ein ständig brennendes Fegefeuer verwandeln kann, dessen Rauchsäulen den Himmel auf ewig zu überdecken scheinen.

Fegefeuer und Krisenkult

"Welcome to Sodom" verschweißt die Mythologie, die das giftige Feuer umgibt, mit einem prosaischen direct cinema-Ansatz. Das funktioniert dort am besten, wo die Vitalität der Arbeiter auf das toxische Feuer der Müllkippe trifft.

Athletische, von Schweiß benetzte junge Männer, die für körperliche Höchstleistungen geboren scheinen, klopfen brennende Ringe aus alten Kabeln auf der Asche des Bodens aus, bis nur ein kleiner Klumpen wertvolles Kupfer übrig bleibt.

Verkauft wird der Rohstoff für die tägliche Mahlzeit und ein paar Plastikbeutel voll Wasser, mit denen der giftige Ruß aus dem Gesicht gespült wird. Doch selbst die ghanaische Lebenskraft, die abseits der Arbeit in allerlei akrobatischen Einlagen der Arbeiter zur Schau gestellt wird, kann hier nicht lange bestehen.

Bild: Camino Filmverleih

Die Menschen sterben jung in Agbogbloshie. Viele leben gerade lang genug, um ihren Kindern einen Ausweg aus Sodom, in die Slums von Accra ermöglichen zu können. Die Fluchtwege aus Ghana sind kaum mehr passierbar.

Auch hier hat sich ein Geschäftsmodell um das Elend entwickelt, wie einer der Bewohner von Agbogbloshie erzählt. Gangs kontrollieren die Fluchtrouten, berauben, töten und vergewaltigen diejenigen, die sie zu nutzen versuchen. Die Menschen, die einmal in den Slums nahe der Mülldeponie angekommen sind, verlassen sie in der Regel nicht mehr - das Feuer von Sodom bleibt ihre einzige Lebensgrundlage.

Diese Hoffnungslosigkeit ist Nährboden für eine ganze Reihe von Krisenkulten: Ein manischer Prediger verkündet am Rande der brennenden Müllberge das Jüngste Gericht; ein Schrotthändler, der fest an den großen Reichtum glaubt, der in der Deponie verborgen liegt, fordert, dass noch mehr Müll nach Accra geschickt wird; junge Männer übernachten gemeinsam in Särgen - ein Voodoo-Ritual das einem von ihnen Reichtum verspricht; die Kabelbrenner rauchen Ganja in dem Glauben, sie würden so unverwundbar.

"Welcome to Sodom" entwirft so ein Panoptikum des giftigen Fegefeuers, in dem dutzende biblische, mythologische und popkulturelle - ein Teil des Films beschäftigt sich mit der lokalen Hip-Hop-Szene - Phänomene miteinander konkurrieren.

Allerdings schaffen die Regisseure Florian Weigensamer und Christian Krönes es dabei nur bedingt, die Einzelschicksale der Menschen mit den kultischen, jenseitigen und mythologischen Erzählungen, die die Feuer von Agbogbloshie umspielen, in Verbindung oder Widersprüche zu setzen.

Der Film bleibt stets ein Augenzeugenbericht, der formal keine unerwarteten Einsichten oder Korrespondenzen zwischen der herbeizitierten Spiritualität und dem tödlichen Dunst von Sodom herauszuarbeiten vermag. Agbogbloshie bleibt ein Endlager, in dem der Elektroschrott des Westens die Vitalität einer jungen Generation und ihre Hoffnung auf ein Leben abseits der Armut zu weißer Asche verbrennt.


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