Das Experiment Bauhaus ist noch nicht zu Ende
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Malerei und plastische Kunst lagen in der Ausbildung am Bauhaus eng zusammen. Die holländische Gruppe De Stijl, die mit dem Bauhaus eng verbandelt war, gab den Anstoß. Ihr ging es um "Umsteigestationen" von der Malerei in die Architektur. Der russische Konstruktivist El Lissitzky ruft ganz neue Raumvorstellungen hervor, wenn er schreibt, Raum ist "das, was man nicht durch das Schlüsselloch ansieht, nicht durch die offene Tür." Für die Malerei bedeutet das die Abkehr von der Zentralperspektive der Renaissance, die auf einen Fluchtpunkt zuläuft.
Die Grundlage lieferte Piet Mondrian mit seinen abstrakt-geometrischen Bildern, die sich auf die primären Farben Rot, Gelb und Blau, auf Schwarz und Weiß und auf gerade Linien in rechtem Winkel beschränken. Die in farbige Quadrate und Rechtecke unterteilten Bildflächen könnten als Grundflächen eines Hauses oder einer geometrischen Stadt gedeutet werden. Die Vorstellung fällt nicht schwer, einzelne Segmente zu Wandflächen hochzuklappen, woraus sich auch die Decke ergibt.
Theo van Doesburg hat auf seine Weise die Mondrianschen Gemälde zu Architekturbildern gemacht, indem er verschiedene Flächen entlang einer gedachten senkrechten Achse differenziert nach oben beförderte. Der Eindruck eines Hauses entsteht durch die teils auseinander gezogenen, teils ineinander verschobenen und übereinander geschichteten Flächen, als hätten diese Zeichnungen zur Vorlage für die Dessauer Meisterhäuser gedient. Noch deutlicher wird es beim Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht.
Um zu Mondrian zurückzukommen, werden nun die vertikalen Flächen wieder in eine Ebene geklappt. Nächste Gemälde können angelegt werden. So erweitert sich über den Grundriss das Haus zur Zeile, die Zeile zur Stadt. Alle Seiten des Hauses liegen in einer Ebene vor dem Betrachter, er braucht nicht herum zu gehen. Das ganze optisch-geometrische Experiment lässt sich auch mittels Pop-up-Büchern veranschaulichen. Beim Aufklappen heben sich Flächen und verschieben sich gegeneinander. Der Grundriss ist variabel in einer Gesamtkomposition.
Wie können bei derlei Häusern, bei denen die Dimension des Nacheinanders von vorne und hinten in eine Ebene der Gleichzeitigkeit gezogen wird, die Seiten unterschieden werden? Gar nicht, würde Bruno Taut antworten, der deshalb die Wandflächen seiner Häuser farbig gegeneinander absetzte. Er nannte es "Elementarisierung". Mies van der Rohe, der in seinem Reduktionismus radikaler war als Taut, spöttelte in Anbetracht der Taut'schen Häuser: "Mein Gott, der Taut ist farbenblind". Aber auch an den Bauhausgebäuden selbst wurden Farben als Leitsystem eingesetzt, wenn auch zurückhaltend.
Theo van Doesburg schuf ein Bild mit dem Titel: "Rhythmus eines russischen Tanzes". Es sieht aus wie der gezeichnete Entwurf einer Choreographie für Maschinenmenschen. Die intermittierten Linien, die bei hauptsächlicher Längsrichtung im rechten Winkel zueinander stehen, wecken aber auch die Assoziation zu dem großartigen Entwurf des nie gebauten Landhauses in Backstein von Mies. Die Unterbrechungen der Linien machen diese zur Grundlage von frei stehenden Wandscheiben. Einzelne Mauerlinien werden weit in die Landschaft gezogen wie Fliehkräfte, die die Bewegung des Betrachterblicks von links nach rechts kontrapunktieren.
Die Musik, vor allem die der Zwanziger Jahre, geht mit der Bauhaus-Architektur zusammen. Sie ist die Kunst, in der Gleichzeitigkeit und Nacheinander, Raum und Zeit, sich am intensivsten einander annähern. Der Stil der Zeit wird zum Lebensrhythmus, gebildet aus Tanzkunst und Architektur.
Die Diskussionen zwischen den Sparten des Bauhauses wogten zu heftig, als dass von einem Bauhaus-Stil gesprochen werden könnte. Das wäre Zeichen eines Akademismus gewesen, aber man verstand sich experimentell. Von Beginn der Zwanziger Jahre an entspann sich ein Disput zwischen Johannes Itten, bekannt für seine Farbenlehre, und Gropius. Itten vertrat eine individuell geschaffene Kunst ohne Fühlung zur Industrie, während Gropius die "Auftragsnotwendigkeit" betonte. Gropius setzte sich durch, und der Bauhausmeister Georg Muche formulierte später drastisch: "Das künstlerische Formelement ist ein Fremdkörper im Industrieprodukt. Die technische Bindung macht die Kunst zu einem nutzlosen etwas."
Den Streit zwischen dem "L'art pour l'art"-Künstler, der aus seinem Inneren heraus Kunstwerke mit einmaliger Aura schafft, und dem künstlerischen Konstrukteur, der serientauglich Typen erstellt und das Werk über die Person stellt, wurde klassisch bereits 1914 im "Werkbundstreit" zwischen dem vom Jugendstil kommenden Henry van de Velde und dem behutsamen Wegbereiter der Moderne, Hermann Muthesius, ausgetragen.
Die inneren Konflikte des Bauhauses verschränkten sich mit den äußeren. Schon die Gründung 1919 passte den rechten Parteien nicht. Die Umzüge nach Dessau 1925 und 1932 nach Berlin sind jeweils durch den Druck rechter Parteien und schließlich der Nationalsozialisten bedingt gewesen. Am Ende standen Durchsuchungen durch die Gestapo. Der Vorwurf des Bolschewismus sollte polizeilich bewiesen werden.
Dem Druck versuchte Gropius von Anfang an zu begegnen, indem er die Politik aus der Hochschule heraushielt. Er nahm aber auch positiv Impulse aus der Studentenschaft auf, die er sozusagen ins Künstlerische überführte. Spätestens jedoch mit dem Direktorat von Hannes Meyer ab 1928 klaffte auch ein Riss zwischen den Studenten. Meyer war selbst Sozialist. Die künstlerische Ausrichtung der Hochschule unter seinem Vorgänger nannte er "formalistisch", ein Begriff, der im Stalinismus zur Denunziation benutzt wurde.
Die innere Politisierung der Hochschule lud zu Angriffen der rechten Parteien ein und gefährdete den Bestand. Mies van der Rohe steuerte nach der Absetzung Meyers 1930 radikal und autoritär gegen. Versuche, die Hochschule durch Konzessionen an die Nazis zu retten, halfen ihm nichts. Mies wurde schließlich zum Opfer seines eigenen unpolitischen Kurses. Im politischen Spannungsfeld steht Kunst seit je. Von dieser Spannung ist die heutige Stiftung Bauhaus eingeholt worden, als die Punkband Feine Sahne usw. ihren Auftritt ankündigte. Die jetzige Chefin der Stiftung reagierte scheinbar unpolitisch, in Wahrheit jedoch hilflos gegenüber der Politik.
Was bleibt vom Bauhaus? Form follows function? Der Satz stammt gar nicht vom Bauhaus. Verwendet hat ihn der Pionier der amerikanischen Hochhäuser, Louis Sullivan, der sich selbst nicht immer daran hielt. Der Zusammenhang von Form und Funktion besteht auch nicht automatisch, merkte Muthesius an, und die Bauhäusler würden ihm beipflichten. In der Anwendung auf die vom Bauhaus betriebene Architektur bliebe auch die Struktur des Traggerüsts, die Rhythmik der Konstruktion unberücksichtigt. Sullivan beglaubigte jedoch seine Aussage damit, dass sie auch und vor allem in der Natur, ob Tier oder Pflanze, gelte. Es handele sich um ein auf die Architektur übertragbares Naturgesetz, und dem stimmte Gropius zu.
Heute sind die Anforderungen an Gebäude differenzierter. So wie die Gesellschaft ins Offene treibt, sollen Bauwerke für häufigere Nutzungsänderungen disponiert sein. Den Boden hat das Bauhaus bereitet, indem es in seinen besten Beispielen Licht als Element des Bauens einsetzte, so in Mies' Entwürfen für ein Hochhaus an der Berliner Friedrichstraße (1922) oder im Bauhausgebäude selbst. Ausschnitte des unendlichen Außenraums werden einbezogen in die architektonische Raumkomposition, die ihrerseits in die Umgebung hinausgreift. Der Raum selbst scheint sich zu bewegen. Er wird verzeitlicht, wird offen für Veränderungen. Das ist der fließende Raum. Raum wird zu einer kinetischen Erfahrung.
Wenn die Unbeständigkeit und Veränderlichkeit mehr gilt als die Form, so ändert das zunächst die Rolle von Tag und Licht. (...) Was man zu sehen bekommt, sieht man immer vermittelt über Beschleunigungs- und Verzögerungs-Phänomene, die in jedem Punkt mit Beleuchtungsintensitäten gleichgesetzt werden können.
Paul Virilio
Was bleibt noch vom Neuen Bauen à la Bauhaus? Geförderter Wohnungsbau? Er wird gerade wieder neu aufgelegt, der Wohnungsnot gehorchend. Das Bauhaus lehrte, dass Schönheit und Nützlichkeit sich nicht im Wege stehen müssen. Die Reduktion der Formen in ästhetischer Abstimmung mit den Proportionen verträgt sich mit kostengünstigem Bauen. Ist das einen Gedanken wert, oder sind unsere Zeiten noch ärmer als die Zwanziger Jahre?