Das Humangenomprojekt
Hauptdarsteller sind u.a. die Atombombe, das menschliche Genom, eine Honda Nighthawk, ein Ex-Beachboy, das Bermuda-Dreieck, die Verkündigung I + II und die Sprache Gottes
Wir betrachten die Bühne eines Theaters.
Aufgeführt wird das Stück "Die Entschlüsselung".
Hauptdarsteller sind ein Schneesturm, die Atombombe, das humane Genom, eine Honda Nighthawk, ein Ex-Beachboy, das Bermuda-Dreieck, die Erfindung des Rades, die Verkündigung I + II und - zu guterletzt - die Sprache Gottes.
Der Abend verspricht, aufregend zu werden. Und von Zeit zu Zeit fragen wir uns: Sind wir noch oder schon Teil des Stückes? Geht es überhaupt noch um uns oder machen wir schon mit?
Ein Schneesturm brachte die Idee
Im Dezember 1984 trafen sich im US-Bundesstaat Utah 19 Wissenschaftler, um zu klären, mit welchen Methoden das Erbgut der Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki auf Strahlenschäden untersucht werden könnte. Während sie zu dem Schluss kommen mussten, dass keine Methoden zur Verfügung stehen, wurde der kleine Gebirgsort Alta, in dem die Tagung stattfand, von fürchterlichen Schneestürmen heimgesucht und zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten. Genau dieser Moment der Weltabgewandtheit scheint die Forscher inspiriert zu haben: Heute gilt die Konferenz als Ursprung der Idee, das gesamte menschliche Erbgut zu entschlüsseln.
Nun ist es "kein historischer Zufall, dass der Plan zur Enträtselung unseres Erbguts mit Hiroshima und Nagasaki verbunden ist. Denn die Entwicklung der modernen Humangenetik ging Hand in Hand mit der Konstruktion, dem Bau und dem Einsatz der Atombombe."1
Was Robert Oppenheimer ab 1943 in Los Alamos unter strengster Geheimhaltung (Tarnname "Manhattan-Projekt") entwickelte - die erste Atombombe - wurde von Anfang an von Genetikern begleitet. Sie sollten die Folgen der Explosionen abschätzen und nachträglich untersuchen: "Schließlich sollte die radioaktive Strahlung möglichst viele Japaner töten oder verletzen."2
Zahlen zur Patentierung von Genen
Von 1981 bis 1995 wurden weltweit rund 1200 Patente auf menschliche DNS-Abschnitte erteilt, angemeldet sind beim US-Patentamt mehr als 5000.
Über Patentanträge in Europa entscheidet das Europäische Patentamt (EPA) in München. Über 2000 Patente sind am EPA auf menschliche Gene angemeldet, etwa 300 sind gültig (Stand 1998). Aus dem DHGP wurden etwa 300 Gene zum Patent angemeldet, 2 davon patentiert.
Heute sind in Los Alamos neben der weiterhin blühenden Atomwaffenforschung mehrere Zentren der amerikanischen Genforschung beheimatet, darunter das Center for Human Genome Sciences, dessen wissenschaftlicher Leiter Dr. Darry Deaven 1989 meinte: "Woran wir hier forschen, das ist das zweite Manhattan-Projekt."3
Dass mit Superlativen in der Entschlüsselungs-Szene nicht gegeizt wird, beweist auch der US-Genetiker James Watson immer wieder. So sagt er z.B.: "Früher haben wir gedacht, unser Schicksal stünde in den Sternen. Heute wissen wir, es liegt in unseren Genen." Um eben dieses Schicksal in den Griff zu kriegen, gründete er im April 1988 unter der Regie des US-Department of Energy die Human Genome Organization. Unter dem Rufnamen HUGO war sie bald in aller Munde. Sie sollte die auf der zugeschneiten Tagung entstandene Idee umsetzen - die internationale Koordination der Sequenzierung des menschlichen Genoms. Die verschiedenen Forschergruppen mußten so aufeinander abgestimmt werden, dass doppelte Arbeit vermieden und kein Bereich des Genoms ausgelassen wird - Ein Vorhaben, das ohne die weltweite Vernetzung der Forschergruppen via Internet nicht denkbar gewesen wäre.
Am 1. Oktober 1990 schließlich begann das - staatlich finanzierte - Humangenomprojekt (HGP) als multinationaler Forschungsverbund seine Arbeit. Getragen wird es vor allem vom US-Department of Energy, den amerikanischen National Institutes of Health, und dem britischen Wellcome Trust. Das Mammutunternehmen wurde mit 3 Milliarden Dollar ausgestattet, 16 Forschungsinstitute mit rund 1000 Wissenschaftlern der führenden Industrienationen schlossen sich an (Liste der sechzehn weltweiten Institutionen, die das Sequenzierkonsortium des Humangenomprojektes bilden ).
Börsenwerte
Neu ist heute, dass sich Forschungsergebnisse sofort an der Börse ausdrücken: Noch im Herbst 1999 war der gesamte Gentech-Sektor an den Börsen etwa fünf Milliarden Dollar wert. Heute beläuft sich der Aktienwert des größten Biotech-Konzerns Amgen auf 68 Milliarden Dollar.
Zunächst leitete James Watson das HGP - berühmt geworden mit der Idee, die Struktur der DNS als Doppelhelix zu entwerfen, sah er die Sequenzierung als Vollendung seines Lebenswerkes an. Als 1992 bekannt wurde, dass Watson Aktien der Unternehmen Amgen, Glaxo, Eli Lilly, Oncogene und DuPont-Merck besaß, musste er zurücktreten.4
Damals galt es noch als anrüchig, wenn der Leiter des HGP mit dem Erbgut Geschäfte macht. Heute besitzen fast alle Genom-Forscher auch Anteile an Firmen. Als Nachfolger des obersten Genom-Jägers wurde Francis Collins berufen. Er ist seit 1993 Direktor von HUGO und fährt eine 750er Honda Nighthawk. Die Namen der unter seiner Regie entdeckten Gene klebt er trophäengleich als Abziehbilder auf seinen Motorradhelm. Mit dem üblichen Understatement sagt Collins über sich selbst: "Ich leite das wichtigste Projekt der Menschheitsgeschichte und arbeite mit Kollegen, die zu den intelligentesten Wissenschaftlern der Welt gehören."5
Das staatliche Monopol über das Humangenomprojekt war jedoch nicht von Dauer - schließlich galt "Bio-Information" inzwischen als "Rohstoff der Zukunft", deren Besitz eine enorme Macht verleihen würde.
Ein Ex-Beachboy mischt sich ein
Über den US-Genomforscher Craig Venter schreiben die Zeitungen, er habe in seiner Jugend lieber am Strand von Kalifornien gesurft, anstatt Klassenarbeiten zu schreiben. Erst der Vietnamkrieg habe ihn verändert - als Sanitäter lernte er, "dass Zeit wertvoll ist, dass jede einzelne Sekunde zählt", wie seine Frau Claire berichtet. So nannte er seine Firma denn auch Celera (von celer, lat. schnell).
Mit dem von ihm gemeinsam mit dem Sequenzierroboter-Hersteller Perkin Elmer im Mai 1998 gegründeten Unternehmen bekam das öffentliche Humangenomprojekt private Konkurrenz: Venter kündigte an, alle wichtigen Teile des Genoms innerhalb von nur drei Jahren zu sequenzieren - also drei Jahre früher als das HGP (Wer gewinnt den Wettlauf?). Anstatt das menschliche Erbgut - wie die HGP-Forscher - erst zu kartieren, sollte es mit massivem Robotereinsatz gleich komplett sequenziert werden. Die Human Genome Organisation nahm die Herausforderung ernst und stockte den Etat für die Analyse der Basenabfolgen des Genoms erstmals im Juli 1998 auf. Die "Schlacht um das Erbgut" konnte beginnen (Speed Matters II).
Exkurs zur Patentierung von Genen: Geheime Daten
Während sich die HGP-Forscher 1997 in einer so genannten "Bermuda-Konvention" verpflichtet hatten, ihre Ergebnisse sofort ins Internet zu stellen, damit sie von allen interessierten Unternehmen genutzt werden können, gab Craig Venter bekannt, seine Sequenzierungsergebnisse nicht zu veröffentlichen.
Dahinter steht einerseits das Interesse Celeras, Daten, die vom HGP noch nicht sequenziert und kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, an interessierte Unternehmen zu verkaufen. Für den Zugang zu bestimmten - aufbereiteten - Daten zahlen diese Firmen eine jährliche Gebühr von fünftausend bis fünf Millionen Dollar. Die Pharmariesen Novartis, Amgen und Pharmacia & Upjohn haben mit Celera solche Exklusivverträge für die Nutzung der Ergebnisse abgeschlossen.6
Andererseits will sich Venter Gene mit kommerziellem Nutzen selbst patentieren lassen. Nach US-amerikanischem Patentrecht könnte er seine Ergebnisse zwar veröffentlichen, ohne den Patentschutz zu gefährden: Innerhalb einer sogenannten Grace Period (Neuheitsschonfrist) von einem Jahr kann eine veröffentlichte Erfindung noch zum Patent angemeldet werden. Da Venters Firma Celera aber auch in Europa Patente anmelden will, geht das nicht - denn eine Veröffentlichung in den USA würde der Patentierung in Europa entgegenstehen. Indem Celera bestimmte Gensequenzen erst nach der US-Patentierung veröffentlicht, sichert sich das Unternehmen weltweit, d.h. auch in Europa Patentschutz.
Bereits im Herbst 1999 hatte Celera für etwa 6500 ausgemachte Gene sogenannte vorläufige Patentanträge gestellt.7 Dazu informierten die Forscher von Celera das US-amerikanische Patent and Trademark Office (PTO) über die Entdeckung einer Gensequenz und fügten eine vage Vermutung über die Funktion des entdeckten Gens bei, die sie sich aus dem bekannten Wissen über Krankheiten zusammengereimt hatten. Ab der Antragstellung konnten sie dann ein Jahr lang in diesem Meer von Gensequenzen nach verwertbarem Material fischen. Wenn sie fündig wurden, hatten sie außerdem eine bevorrechtigte Option auf einen Patentantrag.
Das HGP im Bermuda-Dreieck
Die Forscher des öffentlich finanzierten Projekts müssen sich gegenüber dieser Strategie vollends ins "Bermuda-Dreieck" versetzt gefühlt haben: Sie befürchteten, dass Venter im Zuge seiner schnelleren Sequenzierungsmethode auch als erster wichtige Gene patentieren würde und ein Genom-Datenmonopol erlangen könnte. Dann läge es in seiner Macht, zu bestimmen, woran geforscht wird - und nur finanzkräftige Konzerne würden die entsprechenden Lizenzgebühren zahlen können. Das Bonmot vom "Bill Gates der Gene" machte die Runde.
Zudem standen die HGP-Forscher "unter extremem Druck, zu rechtfertigen, warum sie mit vielen hundert Millionen Mark Fördergeldern nach zehn Jahren so weit waren wie Venter nach nur zwei Jahren ohne jede öffentliche Unterstützung", wie Christian Stein, Chef der deutschen Patent- und Lizenzagentur zusammenfasste.8
In dieser misslichen Lage inszenierten die HGP-Forscher ein grandioses Ablenkungsmanöver: den "Streit um die Rohdaten". Sie machten sich den Umstand zu Nutze, dass Celera - wie oben beschrieben - bei den meisten Gen-Entdeckungen nicht angeben konnte, welche Funktion sie haben bzw. ob sie überhaupt zur Herstellung von Medikamenten dienen könnten. Diese auch als Rohsequenzdaten bezeichneten Basenreihen werden von vollständig beschriebenen Gensequenzen unterschieden.
Obwohl nur die letzteren nach US-amerikanischem Patentrecht patentierbar sind, konnte Venter vorläufige Patentanträge auf Sequenzen beantragen, deren Funktion noch unklar ist - was der Definition von Rohdaten nahe kommt. Diese Ambivalenz nutzten die Wissenschaftler des staatlichen Humangenomprojekts, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Absichten des bösen "Gentech-Kapitalisten" Craig Venter zu lenken.
Im März 2000 erklärten der amerikanische Präsident Bill Clinton und der britische Premier Tony Blair gemeinsam, die Rohdaten aus der Entschlüsselung des menschlichen Genoms müssten ForscherInnen weltweit frei zugänglich gemacht werden. Innerhalb weniger Minuten nach der Erklärung fielen die Werte der marktführenden Biotech-Unternehmen um mehr als 25 Prozent - allein der Celera-Kurs sank von 275 auf 70 Dollar. Kurze Zeit später erließ das US-Patentamt neue Prüfungsrichtlinien, die klarstellten, dass nur Gene mit genauer Funktionsbeschreibung patentiert werden können. Offen bleibt nun, wie viele von Venters vorläufigen Patentanmeldungen tatsächlich gerichtlich anerkannt werden.
Das HGP - Bollwerk gegen die Patentierung von Genen?
Vier Monate nach dem öffentlichkeits- und börsenwirksamen Auftritt der beiden Regierungschefs bestätigten Biotech-Experten der deutschen Bundesregierung: "Die Gefahr einer umfassenden Patentierung der Rohdaten hat nie wirklich bestanden."
Dennoch konnte die private Konkurrenz mit diesem strategischen Schachzug im Zaum gehalten werden. Während des monatelangen Streits zwischen Craig Venters Celera und dem HGP konnte man sich schließlich nicht des Eindrucks erwehren, die öffentlich finanzierten Forscher seien die schärfsten Patentierungsgegner überhaupt. Nun ist es jedoch nicht so, dass sich das HGP grundsätzlich gegen die ökonomische Verwertung des menschlichen Erbguts aussprechen würde. Im Gegenteil: Die HGP-Forscher sprechen sich nur gegen die Patentierung der Rohdaten aus. "Ist die Funktion eines Gens bekannt und kann ein wirtschaftlicher oder medizinischer Nutzen genannt werden, sollen sie auch unter Patentschutz gestellt werden können."9
Die Veröffentlichung der Rohsequenzdaten durch das HGP steht also nicht der Patentierung darin enthaltener Gensequenzen mit aufgeklärter Funktion entgegen. So wurden aus dem HGP heraus ebenfalls eine Vielzahl von Patenten angemeldet. Allein die amerikanische Regierung besitzt Patente für mehr als zweitausend Gene10, und die National Institutes of Health, an denen HGP-Chef Francis Collins arbeitet, sind in den USA der zweitgrößte Patentanmelder im Bereich der Genomforschung.11
Patentierung in Europa: Die Biopatent-Richtlinie
Auch in Europa können Gene patentiert werden - im Gegensatz zu den USA ist hier aber eindeutiger geregelt, unter welchen Voraussetzungen Gen-Patente erteilt werden: Die Sequenz eines Gens kann laut der "EU-Richtlinie zum Schutz biotechnischer Erfindungen" nur dann patentiert werden, wenn klar ist, "welche Funktion sie hat". Zudem müsse sie "gewerblich anwendbar" sein. "Wird durch die Kenntnis einer Gensequenz ein Medikament oder eine Therapie entwickelt, dann wird per Patent für zwanzig Jahre ein exklusives Verwertungsrecht für das Gen eingeräumt - nicht nur für das Medikament."12 Und - wie bereits erwähnt - darf auf bereits veröffentlichte Erbgutsequenzen in Europa kein Patentschutz mehr erteilt werden.
Kritiker der Biopatent-Richtlinie bemängeln, dass die Reichweite der Patente nicht begrenzt sei. "Nach der Richtlinie können Globalpatente für Gene erteilt werden, die alle möglichen Anwendungen erfassen", warnte Christoph Then, Gentechnik-Experte von Greenpeace. Obwohl die Funktion von Genen heute oftmals noch gar nicht bekannt ist, werde die Reichweite der Patente nicht begrenzt. Als sich beispielsweise herausgestellt hatte, dass ein für Brustkrebs relevantes Gen auch bei Prostatakrebs eine Rolle spielt, sei die Forschung an dieser zweiten Funktion dadurch blockiert worden, dass interessierte Unternehmen an den Brustkrebspatent-Inhaber Lizenzgebühren zu zahlen gehabt hätten.13
Katastrophalerweise verschwindet in dieser eher dem Forschungsfortschritt verpflichteten Argumentation von Greenpeace die grundsätzliche Kritik an der Patentierung von Genen. Eine Differenz zu den Interessen von Wissenschaft, Industrie und Regierung ist nicht mehr erkennbar: Auch Forschungsministerin Edelgard Bulmahn, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Professor Ernst- Ludwig Winnacker und Detlef Ganten, Chef der Helmholtz-Gemeinschaft, sprachen sich Anfang Juli 2000 gegen zu weit gefasste Patente aus. In Abweichung zu der EU-Richtlinie erklärten sie erstens, ein Patent auf ein Gen dürfe die kommerzielle Verwertung des Gens nicht völlig abdecken. Eine weitere entdeckte Funktion - wie beim angeführten Brustkrebs-Gen - solle also nicht im ersten Patent enthalten sein. Zweitens wandten sie sich gegen die bisherige Praxis, dass für veröffentlichte Gen-Sequenzen kein Patentschutz mehr beantragt werden kann - auch dahingehend müsse die EU-Richtlinie geändert werden. Höchstens dieser letzte Punkt, der eine Ausweitung von Patentierungsmöglichkeiten bedeutet, wird bei Greenpeace anders gesehen.
Deutsche Gen-Patente
Auch für Deutschland ist der Eindruck zu korrigieren, staatlich geförderte Genomforschungseinrichtungen hätten grundsätzlich etwas gegen die Patentierung von Genen. So unterhält das deutsche Humangenomprojekt (DHGP eine eigene Patent- und Lizenzagentur, und viele deutsche Wissenschaftler haben Patente auf menschliche Gene eingereicht. Der Sprecher der Patentagentur, Christian Stein, bestätigte, dass aus dem DHGP etwa 300 Gene zum Patent angemeldet und zwei davon erteilt wurden.14
Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Professor Ludwig Winnacker, ließ nach Informationen von Greenpeace schon vor über zehn Jahren die menschlichen Gene für Insulin und Interferon unter Patentschutz stellen. Der Genomforscher André Rosenthal vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMB) in Jena ist bei insgesamt fünf Patenten als Erfinder mit aufgeführt, die alle von der Schering-Tochter "Metagen" eingereicht wurden. "Rosenthal, der mit zu der Führungsriege des Deutschen Humangenomprojektes gehört, ist außer beim IMB auch bei Metagen beschäftigt. Bei den patentierten Genen handelt es sich um Sequenzen aus Prostata, Bauchspeicheldrüse und Brust".15
Die Verkündigung Teil I
Schon zu Beginn des Jahres 2000 zeichnete sich ab, daß das staatliche Humangenpmprojekt mit dem von Celera vorgegebenen Tempo bei der Genomentschlüsselung nicht mithalten konnte. Verhandlungen über eine Zusammenarbeit der Kontrahenten blieben zunächst ergebnislos, da Venter nicht davon abrückte, seine Daten erst mit einer halbjährigen Verzögerung veröffentlichen zu wollen.
Anfang April 2000 schließlich war es dann soweit: "Das menschliche Erbgut ist entschlüsselt" jubilierte die Presse. Craig Venter hatte mitgeteilt, seine Firma Celera habe 99 Prozent des menschlichen Genoms sequenziert. Sofort stiegen die Aktien von Celera wieder von rund 70 auf mehr als 133 Dollar.16 Damit hatte Venter das Rennen um die Sequenzierung des Erbguts für sich entschieden. Und die HGP-Forscher befanden sich erneut in Rechtfertigungsnot, wieso sie in zehn Jahren nicht bewältigt hatten, was Venter innerhalb eines knappen Jahres schaffte.
Sie versuchten, die Qualität der Daten anzuzweifeln: wegen ihrer Geheimhaltung sei eine Überprüfung nicht möglich. Höchstens "Entwurfsqualität" habe Venters Ergebnis (Speed matters V, Speed Matters VI). Das ganze sei "nur ein PR-Trick", versuchte André Rosenthal vom Deutschen Humangenomprojekt herunterzuspielen. Im HGP hingegen arbeite man mit hoher Genauigkeit. Über die Aufwertung der eigenen forscherischen Qualität sollte die Schnelligkeit des Gegners abgewertet werden. Schließlich stand nun die eigene Verkündigung an (Das Human Genome Project hat das zweite menschliche Chromosom vollständig sequenziert).
Die Verkündigung Teil II
Wenn selbst der US-Präsident ins Spiel kommt, kann es sich eigentlich nur um die Mondlandung handeln. Diesmal fehlten aber die Astronauten, denen er per Weltraumtelefon hätte gratulieren können. Die Glückwünsche galten der "Mondlandung der Biologie": Im White House wurde "die Entschlüsselung" inszeniert. "Heute lernen wir die Sprache, mit der Gott das Leben schuf" sagte Bill Clinton am 26. Juni 2000 in Washington (Wissenschaft als Medienereignis: Arbeitsversion des menschlichen Genoms veröffentlicht). Und diese Sprache war wider Erwarten nicht aus der unendlichen Weite des Makroskosmos, sondern aus der unsichtbaren Welt des Mikrokosmos zu vernehmen.
Das weltweite öffentliche Humangenomprojekt präsentierte auf dieser Pressekonferenz nun seine Version des menschlichen Erbguts. Alle waren gekommen: Mr. President himself, Francis "Lord Helmchen" Collins vom Human Genome Project (HGP) und Craig "speed matters" Venter von Celera. Tony Blair, der britische Premier, war virtuell anwesend, per Videokonferenz "zugeschaltet". Celera und das HGP hatten sich geeinigt, ihre Ergebnisse im Herbst gemeinsam zu publizieren. Venter versicherte, seine Daten dann kostenlos zur Verfügung stellen. Zeitgleich fanden weitere Pressekonferenzen in Japan, China, Großbritannien, Deutschland und Frankreich statt. Und weltweit befand man sich in diesen Stunden auf der Suche nach passenden Vergleichen für die Bedeutung des Forschungsergebnisses.
Ein Deutscher Beitrag: Chromosom 21
Seit 1995 beteiligt sich auch die Bundesrepublik am Genomprojekt. Das Deutsche Humangenom Projekt (DHGP) ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Konzentriert wurde die Forschung in drei Zentren: der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung mbH in Braunschweig, dem Institut für Molekulare Biotechnologie in Jena und dem Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Im Rahmen des DHGP laufen derzeit 42 Projekte, die das BMBF mit jährlich 44 Millionen Mark finanziert. Die deutschen Erbgut-Analytiker taten sich vor allem mit der vollständigen Entschlüsselung des Chromosoms 21 hervor, das sie gemeinsam mit japanischen Forschern Anfang Mai 2000 der Öffentlichkeit präsentierten. Für die Ende Juni vom HGP vorgestellte "Arbeitsversion" des menschlichen Genoms haben die deutschen Forscher "Daten von den Chromosomen 2, 3, 7, 8, 9, 11, 17, 21 sowie X" beigesteuert. "Insgesamt haben die drei deutschen Zentren 57,8 Millionen Basen für die Arbeitsversion sequenziert" - dies wurde auf der Pressekonferenz mit deutscher Präzision bekanntgegeben.
Eine Woche nach der Genom-Präsentation des HGP kündigte Forschungsstaatssekretär Wolf-Michael Catenhusen an, der Bund werde sein Budget für Forschungsprojekte im kommenden Jahr von 83 Millionen Mark auf 144 Millionen Mark aufstocken. "Ingesamt werden 2001 damit 400 Millionen Mark für das Erforschen genetischer Baupläne ausgegeben. Gemessen an staatlichen Mitteln liegt Deutschland nun an zweiter Stelle hinter den USA." (Aktionsplan der Regierung für Genomforschung)
Nachdem Deutschland bei der Sequenzierung aufgrund der späten Beteiligung eine eher untergeordnete Rolle spielte, wird nun eine führende Position bei der Analyse der Gen-Funktionen (dem "Proteom-Projekt) angestrebt.
Auf ebenjener Pressekonferenz in Washington wähnte sich der Celera-Chef auf dem "Höhepunkt von 100 000 Jahren Menschheitsgeschichte". In Deutschland bemühte Genomforscher André Rosenthal die Erfindung des Rades und die bereits angesprochene erste Mondlandung.17 Der britische Guardian schließlich meinte die Entzifferung des menschlichen Genoms mit den Werken von Shakespeare, den Bildern von Rembrandt und der Musik von Wagner vergleichen zu müssen.
Selbst wenn aufmerksamkeitsökonomisch alle verfügbaren Kniffe zum Einsatz kamen, kann nichts darüber hinwegtäuschen, dass auch der zweite Verkündigungstermin vom Markt diktiert war. Schließlich mussten die HGP-Forscher zugeben, das Genom liege in dieser "Arbeitsversion" bzw. "Rohfassung" nur zu "97%" und außerdem nur in "Fragmenten" vor, von denen wiederum lediglich "85%" als Basenfolge entziffert seien.18
Auf der parallel stattfindenden Veranstaltung in London ließ sich ein Reporter ob dieses "Ergebnisses" zu der Frage hinreißen: "Warum veranstalten sie eine Pressekonferenz?" Wir sollten uns also vorsorglich auf weitere "Entschlüsselungen" einstellen. Folge Zweieinhalb folgt spätestens im Herbst, wenn öffentliche und private Forscher ihre Ergebnisse gemeinsam publizieren wollen. Vermutlich ist es die angedrohte "historische Konferenz", welche die Verantwortlichen des Humangenom-Theaters beim nächsten Mal auffahren werden, um uns die Langeweile zu vertreiben.
Vom Komplott...
Im Gegensatz zu den heute vorherrschenden Verheißungsszenarien gab es vor zehn Jahren noch skeptische Stimmen aus der Wissenschaft selbst. So nannte der Mikrobiologe David Baltimore vom Massachusetts Institute of Technology das Genom-Projekt "ein Komplott zur Geldbeschaffung, ein Unternehmen, das nur durch seinen PR-Wert, nicht aber durch seine wissenschaftliche Bedeutung gerechtfertigt wird". Sein Kollege Robert Weinberg sagte sogar, "es überrascht mich, dass erwachsene Menschen in aller Öffentlichkeit darüber reden. Es ergibt keinen Sinn."
Kritisiert wurde, die Entschlüsselung des Genoms eines Menschen könne nicht davon ablenken könne, dass sich das Genom jedes individuellen Menschen unterscheide. Zudem verändere sich die in jeder Zelle liegende Erbinformation im Laufe des Lebens. Francisco Ayala, amerikanischer Genforscher, machte sich lustig: Wer das Genom sequenziere, um Krankheiten zu erklären, sei vergleichbar mit jemandem, der anhand einer Straßenkarte erklären will, wie es zu Autounfällen kommt.19
... zur Verheißung: Jedes Ende ist ein neuer Anfang
Manchmal erscheinen einem die Metaphern der Gentechnologie selbst wie eine Doppelhelix, eine Spirale oder ein geschlossener Zirkel: Auch die Entschlüsselung gipfelt wieder in einem Schlüssel: "Wir haben jetzt den Schlüssel für das Goldene Zeitalter. Die Gentechnik wird uns einen Reichtum bescheren, der das Ende der sozialen und wirtschaftlichen Evolution bedeutet. Die Menschheitsgeschichte ist damit am Endpunkt angelangt." So der Nobelpreisträger Walter Gilbert 1989.20
Paradoxerweise soll dieser "Endpunkt" gerade durch die Überwindung der Endlichkeit des Menschen erreicht werden. Denn hinter dem Ziel des Humangenomprojektes, "Krankheiten besser verstehen und heilen zu können" steht letztlich der Wunsch nach Unsterblichkeit. Die Heilung der vielen kleinen Tode (Krankheiten) mündet in der Vision, den einen großen Tod zu besiegen.
In der fortschreitenden Bewegungslogik der Genomforschung ist also jedes Ende ein neuer Anfang. Wenn die vorgestellten Forschungsergebnisse als "rough map" - Rohfassung - oder "working draft" - Arbeitsversion - des Erbgutes bezeichnet werden, dann nicht eigentlich deswegen, weil die Sequenzierung noch nicht vollständig abgeschlossen ist, sondern weil hier eine "Version", nämlich die Version 1.0 des Erbgutes vorliegt. Es ist noch roh und unbehauen. Es harrt der Bearbeitung. So ungekocht ist es ungenießbar - das Update wartet schon.21
So sagte Craig Venter, die Sequenzierung sei "das erste, nicht das letzte Kapitel dieser Revolution" in der Biologie. "Das letzte Kapitel wird die vollkommene Erkenntnis der Lebensprozesse zum Inhalt haben - so dass wir endlich Krankheiten direkt an der Wurzel behandeln und heilen können."22
Diese dem Reagenzglas entwichene Hoffnung auf "Heilung und Therapie" kann als "Einstiegsdroge für alles weitere" bezeichnet werden, wie es die Kulturwissenschaftlerin Gerburg Treusch-Dieter ausdrückte. Im Namen der herzustellenden allseitigen Gesundheit soll das gesamte Repertoire der Biowissenschaften in Anschlag gebracht werden.
"Wir sind auf dem Weg zu einer Wunscherfüllungsmedizin!" konstatiert auch Dietmar Mieth, Mitglied des Ethik-Beirates beim Bundesministerium für Gesundheit. "Auf dem Weg zu sein" - das heißt, nie dort anzukommen, im "Goldenen Zeitalter". In dieser Struktur ist das Glück als ein zukünftig zu habendes Glück, nie als gehabtes Glück vorgesehen. Die molekularbiologisch aufgerüstete Medizin produziert unaufhörlich Wünsche - die Erfüllung der produzierten Wünsche ist innerhalb dieser linearen Struktur aber nicht vorgesehen. "Psychologisch sind wir damit in der Suchtstruktur".23
Nach den Basen die Proteine - der molekularisierte Mensch
Noch nie war soviel Anfang: "Willkommen im Zeitalter der Post-Genomics!" Mit diesem Schlachtruf eröffnete Gudrun Tiedemann, Leiterin des BioTOP Berlin-Brandenburg die "Nachsequenzierzeit". Auch sie sagt, nachdem die Basensequenz des menschlichen Genoms entschlüsselt und spätestens in drei Jahren "alle Gene bekannt" seien, beginne die Arbeit erst. Nun gelte es, mehr über die Wechselwirkung der Proteine in lebendigen Körpern zu lernen. Hier setze die Proteom-Forschung an, die klären soll, welche Rolle die Proteine in der einzelnen Zelle spielen (Proteine am laufenden Band).
So wie zur Genomforschung alles zählt, was mit DNA zusammenhängt, umfasst die Proteomforschung also die Analyse aller Eiweißstoffe (Proteine) einer Zelle. Tiedemann schreibt, das Genom bleibe über den gesamten Zeitraum des Lebens das selbe. "Das Proteom indes definiert den jeweils aktuellen Zustand einer Zelle, bzw. eines Organs und letztlich des gesamten Phänotyps. Es geht um das Verständnis des individuellen lebendigen Menschen auf molekularer Ebene."24
Diese Erkundung des Zusammenspiels von Genen und ihren Produkten, den Eiweißen, sei "ein Vorhaben, gegen das sich die Genomentzifferung als bloße Fingerübung ausnimmt", befand auch DIE ZEIT (http://www.ZEIT.de/). Nun seien die "Eiweißforscher" am Zuge. Das Genom habe bloß die Theorie beflügelt, "doch das Proteom sagt uns, was tatsächlich passiert" wird Raj Parekh, Forschungschef der britischen Proteomikfirma Oxford Glycosystems zitiert.
Da ist sie wieder, die Suchtstruktur. Auch der US-Bioethiker Arthur Caplan meint, die eigentliche Arbeit beginne erst jetzt. Die Genomentzifferung sei erst der "Startpunkt der genetischen Revolution". Währenddessen ist Craig Venter längst dabei, seine Firma Celera zur Proteomfabrik auszubauen. "Wir werden uns durch jedes Organ, jedes Gewebe, jede Zelle arbeiten", gibt er an. Perkin-Elmer arbeite derzeit an neuen Supercomputern für die Proteomforschung. In naher Zukunft werde er "eine Proteomfabrik bauen und eine Million Proteine am Tag identifizieren."25 Das Ende ist eben erst der Anfang.